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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

nur die Namen Pius Alexander Wolf und dessen unübertreffliche Gattin, Eßlair, Ludwig Löwe, Korn, Vespermann, Gerstäcker, Blume, Sophie Schröder, eine Händel-Schütz, Neumann-Haizinger und die berühmte Stich-Crelinger zu nennen, um die Anregungen zu bezeichnen, welche dem jugendlichen Künstler zu Theil wurden. Auch die Liebe sollte ihre bildende Macht an Emil bewähren und zur Entwickelung seines Talents wesentlich beitragen. In Leipzig lernte er die geniale Dorothea Böhler kennen, die Schwägerin des trefflichen Genast in Weimar, eine der vorzüglichsten Soubretten, die Deutschland je besessen hat, voll Geist, Anmuth und sprühenden Launen. Während Emil für das ernstere Drama sich den maßvollen Wolf und desden ideelle, von Poesie durchhauchte Darstellung zum Muster nahm, war seine Gattin seine Lehrerin in dem heitern Genre, seine komische Muse, welche den ideellen Zug seiner poetischen Natur mit der Wirklichkeit versöhnte.

Von allen Seiten lächelte das Glück seinem bevorzugten Liebling, und nun sollte auch sein innigster Wunsch in Erfüllung gehen, auf der königlichen Bühne seiner Vaterstadt als Gast erscheinen zu dürfen. Unter den Augen seines großen Onkels trat er mit Beifall in Berlin als „Don Carlos“, „Ferdinand“ in Kabale und Liebe und in einigen minder bedeutenden komischen Rollen auf. Ein zweites Gastspiel im Jahre 1829 sollte zu einem Engagement führen. Dasselbe scheiterte jedoch nicht nur an der unbedeutenden Gelddifferenz, sondern vorzüglich an dem Gutachten des berüchtigten Demagogenverfolgers Tzschoppe, der Emil wunderbarer Weise eine „zu schwache Brust“ decretirte. Andere Gastspiele in Dresden, Prag und Wien lieferten den Beweis, daß der Ruf des jungen Künstlers schnell eine weitere Verbreitung und Anerkennung gefunden hatte. Da das Küstner’sche Unternehmen in Leipzig am 1. Mai 1828 zu Ende ging, so wandte sich Emil zunächst nach Magdeburg und von dort nach Hamburg, wo er schnell wie überall der Liebling des gebildeten Publicums wurde. Hier wurde ihm von dem bereits mehrfach erwähnten Director Schmidt mancher praktische Wink zu Theil. Zu seinem Umgange zählte er daselbst den humoristischen Lebrun, den geistvollen Dramaturgen Zimmermann, den politisch und literarisch anregenden Dichter von „Maltitz“ und – Heinrich Heine, den ungezogenen Liebling der Grazien, mit dem Devrient so manchen fröhlichen Abend, gewürzt durch kaustischen Witz und sprudelnden Humor, verlebte.

Unterdeß erhielt das Devrient’sche Ehepaar, dessen Ruf in der Theaterwelt gegründet war, einen höchst glänzenden und ehrenvollen Antrag von der Dresdner Hofbühne. Beide sollten unter annehmbaren Bedingungen ohne Probegastspiel auf Lebenszeit engagirt werden. Trotz seiner sehr angenehmen Stellung in Hamburg glaubte Emil ein solch schmeichelhaftes Anerbieten für sich und seine Gattin nicht zurückweisen zu dürfen. Am 30. August 1830 spielte er zum ersten Male als neu engagirtes Mitglied auf dem Hoftheater in Dresden, wo es ihm bald gelang, neben seinem eben daselbst verweilenden Bruder Carl durch den Glauz seiner Erscheinung, durch den Reichthum seiner Mittel und die künstlerische Ausbildung seines Talents eine hervorragende Stellung einzunehmen. Schon früher hatte er sich von der Oper zurückgezogen und sich vorzugsweise dem recitirenden Schauspiele zugewendet, mit besonderer Vorliebe aber sich dem höheren Drama gewidmet, ohne darum das feinere Lustspiel und selbst die derbere Posse gänzlich zu vernachlässigen, mehr aus Gefälligkeit gegen seine in diesem Fache excellirende Gattin, als aus innerem Drange und Beruf. Immer mehr entwickelte sich das Talent des Künstlers, wozu Dresden und dessen gesellschaftliche und literartsche Kreise, so wie die eigenthümlichen Theaterverhältnisse wesentlich beitrugen. Der hochgebildete König und der ganze Hof nahmen den lebendigsten Antheil an den dramatischen Aufführungen; die selbst als Bühnenschriftstellerin anonym auftretende Prinzessin Amalie übte ihren Einfluß aus und fand in Devrient den geeignetsten Darsteller ihrer Stücke. Der berühmte Tieck stand dem Generaldirector Grafen von Lüttichau als Dramaturg zur Seite und wirkte, abgesehen von mancher Wunderlichkeit, als Lehrer und Vorleser immerhin anregend und begeisternd auf das Publicum und die Schauspielerwelt, Auch Emil fühlte sich von dem genialen Dichter anfänglich angezogen, obgleich er später ihm ferner stand, um nicht wie viele seiner Collegen in den Verdacht der Servilität und Rollenschleicherei zu kommen. Tiedge, Wachsmann, Böttiger und das durch seine Bildung ausgezeichnete Haus des Majors Serre empfingen den Künstler mit Auszeichnung und traten mit ihm in nähere Berührung. Das gebildete Publicum erkannte schnell seine Vorzüge und ließ es nicht an Aufmunterung und Beifall fehlen, besonders schwärmte die Damenwelt für Emil und seine ideelle Darstellung, welche ganz geeignet war, das weibliche Urtheil zu bestechen.

Achtzehn Jahre behauptete er sich so als Liebling des Dresdner Publicums, und auch im übrigen Deutschland fand er auf seinen vielen Gastreisen die reichste Anerkennung und goldenen Lohn in Hülle und Fülle. Das Glück begünstigte ihn auffallend, als ein schmerzliches Ereigniß sein ganzes Leben tief erschütterte und verbitterte, aber zugleich seiner künstlerischen Richtung erst die echte Weihe gab und ihn zum Manne reifte. Die nothwendige Scheidung von seiner Gattin, der Mutter seiner innig geliebten Kinder, lehrte ihn zum ersten Mal den Ernst des Lebens, die Macht eines großen Schmerzes kennen. Um sich und sein krankes Herz zu heilen, riß er sich aus den gewohnten Verhältnissen und reiste nach Paris, wo er von der noch lebenden Mars, von der noch unentweihten, in ihrer ersten Blüthe stehenden Rachel, von Arnal, Bouffé und den übrigen Künstlern der Weltstadt unvergeßliche Eindrücke empfing. Sein Blick erweiterte sich unwillkürlich unter dem Einfluß großer, zuvor nie gekannter Verhältnisse. Voll von dem Gesehenen und Erlebten betrat er den heimischen Boden, wo er in Frankfurt a. M. in der Unruhe eines lärmenden Gasthofslebens die Bekanntschaft mit dem „jungen Deutschland“ und mit Gutzkow’s „Richard Savage“ machte.

Die Stimmung der Zeit, die Leidenschaft der Gegenwart und ihre Forderungen fanden jetzt ein Echo in seiner Brust. Anders als er gegangen, kam er nach Dresden zurück, bewußter, selbstständiger und schöpferischer, frei von dem immerhin beengenden Einfluß einer genialen, aber seiner ursprünglichen Richtung fremden Frau. Mit Vorliebe spielte er in den Dramen Gutzkow’s, Mosen’s, Laube’s, der neueren Dichter, und es gereicht ihm zu keinem geringen Verdienst, daß er vorzugsweise der jüngeren Literatur und den modernen Schöpfungen trotz der entgegengesetzten Ansichten Tieck’s siegreich Bahn gebrochen. Es folgten eine Reihe von Gastspielen, unter denen das Londoner Unternehmen unstreitig den ersten Rang einnimmt. Hauptsächtich muß es den Bemühungen Devrient’s beigemessen werden, daß die deutsche Schauspielkunst durch ihn, Ludwig Dessoir[1], Lina Fuhr u. s. w. die glänzendsten Triumphe in Englands Metropole feierte. Es war kein geringes Wagstück von einem deutschen Künstler, den „Hamlet“ nach dem Vorgange eines Kean und Kembles vor einem englischen Publicum, das noch dazu durch die Tradition verwöhnt, zu spielen. Wie seine Leistung in dieser Rolle aufgenommen wurde, bezeugt das enthusiastische Urtheil der Londoner Blätter und der ersten Kunstrichter Englands, die ihn ihren Kunstheroen nicht nur gleichstellten, sondern vielfach sogar vorzogen. Nicht minder groß sind seine Verdienste um das Gesammtgastspiel der deutschen Schauspieler bei Gelegenheit der großen Industrieausstellung in München gewesen. Nicht nur verzichtete Devrient uneigennützig auf jedes Honorar, sondern er übernahm auch im Interesse des Ganzen öfters unbedeutende und seinem Talent kaum angemessene Rollen, wie z. B. den „Valentin“ in Goethe’s Faust mit anerkennungswerther Selbstverleugnung. Mit Recht schreibt der berühmte Künstler in einem Privatbriefe: „Auf die beiden künstlerischen Führungen der Londoner Theater-Unternehmung lege ich besonderen Werth und bin stolz darauf, meinen Theil beigetragen zu haben, daß deutsche Kunst dort zuerst sich geltend machen konnte und durch die Protection der Königin und des Prinzen Albert, die mir zu Theil wurde, deutsche Kunst-Unternehmung dort zuerst einen glänzenden Anfang und Ausgang hatte.“

Im Jahre 1856 feierte Emil Devrient sein fünfundzwanzigjähriges Künstlerjubiläum, wobei ihm von allen Seiten die glänzendste Anerkennung und Auszeichnung zu Theil wurde. Mit selbsterworbenen Glücksgütern gesegnet, im Besitze eines schön gelegenen einträglichen Ritterguts hatte er die Absicht, sich von der Bühne gänzlich zurückzuziehen, obgleich seine ganze Erscheinung und die seltene jugendliche Frische seiner Leistungen einen derartigen Entschluß weder forderte, noch rechtfertigte. Die sächsische Regierung fand den geeigneten Ausweg für die Vereinigung seiner Wünsche mit dem Interesse des Publicums, das seinen Liebling nicht vermissen wollte. Devrient wurde zum Ehrenmitglied des Dresdner Theaters ernannt, indem er die verlangte Entlassung und Pension

  1. Siehe den betreffenden Artikel in der Gartenlaube: Aus dem Leben deutscher Schauspieler – Ludwig Dessoir
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_679.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)