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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


in dieser halb komischen Aeußerung des Arbeiters, und sie kann wohl als der Ausdruck der Volksstimmung gelten, die sich für den Herzog gebildet hat. Herzog Ernst war noch vor einem Jahre in der Schützenjoppe zu Frankfurt gewesen und hatte vor den Augen von Zehntausenden als Ehrenpräsident des deutschen Schützenbundes die Bundesfahne eingeweiht, er war ja überdies lange genug in den reactionären Blättern als der Herbergvater des Nationalvereins geschmäht worden, ihm konnte, wo er sich auch blicken ließ, der Jubel des Volkes nicht fehlen. Aber die Volksgunst ist wandelbar, und man hat es gerade Herzog Ernst, dem „schlichten Patrioten“, wie er sich in der Schützenfesthalle selbst genannt, nicht wohl genommen, daß er bei der Wahl zwischen den Forderungen Oesterreichs und den Forderungen des Abgeordnetentages, zwischen Delegirtenversammlung und Parlament für die Delegirtenversammlung und gegen das Parlament sich erklärt hat. Großherzog Friedrich von Baden, der nichts weiter hat sein wollen, als ein verfassungstreuer, für das Wohl seines Landes thätiger Fürst, ist auch dem Ruf des Kaisers gefolgt, aber er hat darum doch nicht die Rechte des Volkes verleugnet. Dieser Vergleich ist am Schluß des Fürstentages vielfach angestellt worden und zwar nicht zum Vortheil des Herzogs. Herzog Ernst ist ein begabter, kluger Mann; das spricht aus den fest geschlossenen Lippen und dem ganzen geistig durchwehten Ausdruck seines Gesichtes, das haben auch seine Reden in Gotha und in Frankfurt bewiesen. Aber das Volk schätzt Festigkeit höher als Klugheit, und wenn der Herzog den Ruhm des Diplomaten mit dem Ruhm des Volksvertrauensmannes verbinden will, so darf er in den Fragen der Freiheit des Volkes den Diplomaten nicht über den Volksmann Herr werden lassen. Der Fürstentag ist an dieser Klippe gescheitert; mag Herzog Ernst sich vorsehen, daß ihm – wenn auch vielleicht mit Unrecht – nicht Gleiches widerfährt.

Die übrigen Fürsten – mit Ausnahme des wackern volksfreundlichen Großherzogs von Weimar, den ich aus eigener Anschauung nicht zu schildern vermag – traten wenig oder gar nicht in den Vordergrund, und die Frankfurter und alle hier anwesenden Fremden haben sich auch wenig um sie gekümmert.

Die regierenden Herren sind seitdem aus Frankfurt wieder geschieden, ein unfertiges Werk als das Ergebniß vierzehntägiger Verhandlungen hinterlassend; unfertig nicht blos deshalb, weil es ihnen weder gelungen, unter sich eine Einigung zu erzielen, noch auch Preußens Zustimmung zu erlangen, nein unfertig vor Allem deshalb, weil sie es abermals nicht über sich vermocht, dem Volke zu geben, was des Volkes ist: ein aus freier Wahl hervorgegangenes Parlament. Es hat den deutschen Fürsten bei ihren Berathungen an einer warnenden Stimme nicht gefehlt. Noch ehe sie zur fünften Sitzung fuhren, lag schon das einstimmige Urtheil des deutschen Abgeordnetentages über den österreichischen Entwurf fertig da. Entgegenkommender konnten die deutschen Abgeordneten sich nicht äußern, als sie es gethan. An den Fürsten wäre es gewesen, von all den gegründeten Bedenken, welche vorgebracht waren, vor Allem wenigstens das Entscheidende zu berücksichtigen: die Forderung einer deutschen Volksvertretung auf Grund freier Wahlen. Vergebens! Man verfiel auf’s Neue in den unbegreiflichen Irrthum, daß man den jungen Wein in alte Schläuche füllen, daß man denselben Geist, dessen gewaltiges Drängen und Streben überhaupt doch den ganzen Fürstentag zusammen gebracht, daß man dem mächtig aufstrebenden Geist der deutschen Nation die Form für seine Bethätigung beliebig zurecht schneiden könne.

Die Folgen dieses Verfahrens liegen bereits klar am Tage. In allen Theilen Deutschlands hat sich das Volk den Forderungen des Abgeordnetentages angeschlossen und die von den Fürsten beschlossene Bundesreform zurückgewiesen; Preußen hat seinerseits die Forderung eines freigewählten Parlaments sich angeeignet und verlangt, daß in Ministerialconferenzen die Verhandlungen weiter geführt werden, und in Folge dieses gemeinsamen Widerstandes Preußens und des deutschen Volkes ist die vom Fürstentag beschlossene Bundesreform wirklich geworden, was der Abgeordnetentag vorausgesagt hatte: „schätzbares Material“ für die Zukunft. Wo sind die Hoffnungen und Erwartungen hin, mit denen wir dem Zusammentreten des Fürstentages entgegengesehen? Ist es wirklich wahr, was man sich jetzt schon voll Mißtrauen in’s Ohr flüstert: das ganze Project habe weiter keinen Zweck gehabt, als eine Handhabe zu bieten zur Sprengung des Zollvereins? Wir wissen nicht, ob die Zweifler Recht haben, und noch berechtigt Nichts zu der Annahme, daß man es wirklich gewagt, mit den heiligsten Interessen unserer Nation ein schnödes Spiel zu treiben.

Aber wie dem auch sei, ganz ohne Ergebniß ist denn doch der deutsche Fürstentag nicht auseinander gegangen, mag im Uebrigen aus seinen Beschlüssen werden was da will: das ist die abermalige und diesmal freiwillige und deshalb unwiderrufliche Anerkennung der Fürsten Deutschlands, daß der jetzige Zustand unserer Bundesverfassung „schlechthin chaotisch“ sei, daß „der Boden schwankt unter den Füßen dessen, der sich auf ihn stellt,“ und daß „der bloße Wunsch, die morschen Wände möchten den nächsten Sturm noch aushalten, die dazu nöthige Festigkeit nimmermehr zurückgeben kann.“ An diesem Geständniß aber wollen wir festhalten, denn es ist ein von den Fürsten selbst ausgestellter Frei- und Majestätsbrief für die deutsche Nation. Wo ist der Richter, der künftig noch Bestrebungen in den Volkskreisen verurtheilen mag, die auf die Herstellung einer besseren deutschen Bundesverfassung gerichtet sind? Selbst wenn sie irrig wären, diese Bestrebungen, können sie deshalb für schuldig erklärt werden, nachdem die Bestrebungen der deutschen Fürsten selbst sich als irrig herausgestellt?




Octoberfeuer.
Von Johannes Scherr.

Napoleon, der letzte eigenwüchsige und großangelegte Despot, hatte seinen Kaiserthron mit beispielloser Genialität bis hoch in die Wolken hinaufgebaut. Auf der schwindelnden Höhe desselben stehend, sagte er nach der Geburt des Königs von Rom zu Cambacérès: „Ein Sohn ist Uns geboren! meine Dynastie hat unausrottbare Wurzeln geschlagen; mich zu fällen ist unmöglich!“ In diesen Worten rasete schon die tolle Ueberhebung des Kaiserwahnsinns, in welchen die Nichtswürdigkeit seiner Anbeter und seiner Sclaven – und letztere zählten nach Millionen – den glücklichen Abenteurer, den Meineidigen vom 18. Brumaire, den wundersamen Mischmasch von Heros und Histrio allmählich hineingeschmeichelt hatte. Mit kolossaler Wucht lastete die eiserne Adlerkralle des Eroberers auf dem Festland von Europa. Als er jedoch im Wahnwitz seines Weltherrschaftstraumes die erobernde Kralle über den Niemen, über die Wolga, über den Ural hinweg und nach Asien hinein, nach Indien hinüber strecken zu wollen sich vermaß, als er, dem Moloch seiner Herrschergier eine unerhörte Menschenhekatombe darzubringen, sechsmalhunderttausend Söhne aller continentalen Völker auf die russischen Steppen und in’s Verderben schleppte, da trat ihn die Nemesis an. Drei Werkzeuge aber erwählte sich zunächst die rächende Göttin: – den Stein, welcher zu Petersburg in der Seele des Czaren die Glut des Napoleonhasses schürte; den Rostoptschin welcher in das heilige Moskau die Brandfackeln schleuderte – eine That, deren Größe der kleine Sinn unserer kleinen Gegenwart kaum noch zu ermessen vermag – und den York, welcher durch den in der poscheruner Mühle mit den Russen abgeschlossenen Vertrag von Tauroggen der schwankenden Politik Preußens endlich wieder einen Halt und zur Befreiung Deutschlands von der schmach- und jammervollen napoleonischen Zwingherrschaft das Signal gab.

Sie wurde vollbracht. Aber „wenn heut’ ein Geist herniederstiege“, der Geist von einem aus jenen heldenmüthigen Tausenden, welche dafür gestorben, und die Frage erhöbe. „Was ist aus dieser Befreiung geworden?“ – was würdet ihr, die ihr damals den Söhnen des Vaterlandes so viel versprachet, was würdet ihr zu antworten vermögen? Ah, es ist nicht schwer zu errathen. – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In grandioser Monotonie und doch zugleich mit buntestem Scenenwechsel bethätigt sich das welthistorische Gesetz von Ebbe und Fluth. Zeiten giebt es, Ebbezeiten, wo das Feld des Denkens wüst liegt und „Alles des Nutzens hartem oder des Genusses schwelgerischem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_664.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)