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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Aus jüngstvergangenen Tagen.
2. Die Fürsten des Fürstentages.
Franz Joseph – Der Liebling des Volkes – Max von Baiern – Der Mecklenburger – Georg von Hannover – Johann von Sachsen – Der Coburger – Das Resultat.

Es ist in den deutschen Blättern viel zu lesen gewesen von den Aeußerlichkeiten des Fürstentages, von dem feierlichen Empfang des Kaisers Franz Joseph, von dem großen Banket im Römersaal und dem Feuerwerke mit der mißlungenen Germania, von der Gallavorstellung im Theater und was sonst noch der Senat der Stadt Frankfurt seinen hohen Gästen zu Ehren gethan und unterlassen hatte. Wir wollen auf diese Festlichkeiten nicht zurückkommen. Einmal war das, was geschehen, gar nichts Besonderes und Großartiges, und sodann giebt es ein ganz falsches Bild vom Fürstentag, wenn man bei einer Beschreibung desselben dem dabei entfalteten äußeren Glanz einen besonders großen Raum gestatten wollte. Es ging in Frankfurt Gott Lob nicht so her wie auf dem Wiener Congreß vor 50 Jahren, wo die österreichische Regierung 30 Millionen Gulden in Festlichkeiten vergeudete, während ihr vom Kriege erschöpftes Land aus tausend Wunden blutete, während in Ungarn gar die Menschen Hungers starben und den deutschen Staatsmännern über all dem tollen Jubel in den raffinirtesten Genüssen Sinn und Verständniß für die wichtigsten Interessen abhanden kamen. In Frankfurt ist – dies Zeugniß wollen wir den deutschen Fürsten nicht versagen – vor Allem mit vollem Ernst gearbeitet worden, und weil es die Fürsten persönlich gewesen sind, auf deren Thätigkeit das wenn auch schließlich mißlungene Werk des Congresses beruht, so haben wir den Versuch gemacht, einige der hervorragendsten Persönlichkeiten unter ihnen nach ihrer äußeren Erscheinung und ihrem allgemeinen Verhalten zu charakterisiren.

Es gab einmal eine Zeit, da hieß in einem gewissen Schlag deutscher Blätter Oesterreich nicht anders als der „große Kaiserstaat mit seinen unerschöpflichen Hülfsquellen“, und wenn vom Kaiser Franz Joseph die Rede war, so fehlte nie das feststehende Beiwort: „der ritterliche Kaiser“. Das war die Zeit, in der das Concordat abgeschlossen wurde, in der Oesterreich seine Staatseisenbahnen verkaufen mußte, in der ein Darlehn von 500 Millionen Gulden ausgeschrieben wurde und die Staatsfinanzbehörden nicht davor zurückschraken, statt für 500 für 611 Millionen Schuldverschreibungen auszugeben; das war die Zeit, in der das Staatsdeficit mitten im Frieden alljährlich beinahe 50 Millionen betrug und die österreichische Presse nicht wußte, wie sie sich winden und drehen sollte, um nicht Tag für Tag dem Schicksal der Confiscation zu verfallen. Und dann kam eine Zeit, da hörte man nichts mehr von dem „großen Kaiserstaat“ und seinem „ritterlichen Kaiser“, aber die Lombardei ging bei Magenta und Solferino verloren, der österreichische Finanzminister schnitt sich selbst den Hals ab, General von Cynatten, des groben Betrugs angeklagt, hing sich im Gefängnisse auf, und es trat ringsum in der Staatsverwaltung eine Fäulniß zu Tage, daß das verwunderte und entsetzte Europa die Hände darüber zusammenschlug. Das Geschick, das noch zu allen Zeiten die Schmeichler und Speichellecker den Fürsten bereitet, hatte sich an Kaiser Franz Joseph unerwartet rasch erfüllt. Man hatte dem jungen achtzehnjährigen Fürsten bei der Uebernahme der Regierung in die Feder dictirt, er wolle den „Glanz der Krone“ aufrecht erhalten, und rechne dabei besonders auf die „Tapferkeit, Treue und Ausdauer der glorreichen Armee“, und das war allerdings das rechte Programm für einen „ritterlichen“ Kaiser. Aber das 19. Jahrhundert gehört nicht mehr den Rittern, und seit der große Friedrich von Preußen die Aufgabe des Fürsten dahin bestimmt, ein Diener des Staates zu sein, jagt nur noch die fürstliche Romantik dem verderblichen Trugbild des „Glanzes der Krone“ nach. Die furchtbare Lage, in welche das Regiment der fünfziger Jahre den Staat Oesterreich gestürzt, hat seitdem den Kaiser Franz Joseph wohl anderen Sinnes gemacht. Es ist besser, weit besser geworden in Oesterreich. Zwar das Concordat besteht noch und das Deficit ist noch nicht geschwunden, die Silberwährung noch nicht eingeführt, und die Gefängnisse werden noch nicht leer von den Vertretern der österreichischen Presse – die doch die zahmste ist in ganz Europa, die französische und russische ausgenommen; aber es tagt doch in Wien nun auch ein Reichsrath, den wenigstens die Mehrzahl der Provinzen beschickt, der Staat hat doch wieder Credit und leidlich geordnete Finanzen, und zum Beweis, daß auch nach außen hin das Ansehen des Kaiserstaates sich wieder mächtig gehoben, hatte Kaiser Franz Joseph es unternehmen können, dem eben noch so einflußreichen Preußen zum Trotz die Fürsten Deutschlands in Frankfurt zu versammeln.

Wie wird der Kaiser aussehen? war in Frankfurt die allgemeine Frage nicht blos der Neugierigen. Es hing denn doch Etwas, wenn nicht Alles, für den Verlauf des Fürstentages davon ab, daß der Mann auch wirklich eine Persönlichkeit war, der im persönlichen Verkehr und in persönlicher Leitung der Verhandlungen die deutschen Fürsten zu einer Reform der Bundesverfassung bestimmen wollte. Das Urtheil aber über die Persönlichkeit des Kaisers, welches sich seither allmählich in Deutschland gebildet hatte, war Dank der unglücklichen Phrase vom „ritterlichen Kaiser“, offen herausgesagt, nicht gerade das günstigste. Auf der andern Seite stritt wieder eine leichterkärliche natürliche Sympathie für den Mann, der so eben den blendenden kühnen Schachzug in der deutschen Politik gethan. Und mit der einmal erwachten Sympathie schweiften denn auch alsbald die wohlwollenden Gedanken weiter. Man gedachte der Jugend des Kaisers und des verhängnißvollen Geschickes, daß auf die Schultern eines achtzehnjährigen Jünglings in schwerer, schwerer Zeit die Last der Regierung eines Staates gelegt worden war, der unbestritten zu den am schwersten zu regierenden gehört; man gedachte der bitteren Prüfungen, die dies erst dreiunddreißigjährige Leben schon hatte durchkosten müssen und – zu seinem Vortheile bestanden hatte, man gedachte, daß kein einziger deutscher Fürst bis jetzt Krieg geführt, außer dem unblutigen Krieg gegen die eigenen Stände, und daß, den alten König von Würtemberg ausgenommen, keiner von ihnen im Kampfe gegen den äußern Feind die Kugeln pfeifen gehört, außer Franz Joseph. So stritt das Mitgefühl, das die Geschichte des Kaisers erregte, mit dem Zweifel, den der Unwille über die feilen Schmeichel-Federn hervorgerufen hatte.

Endlich kam der Zug, der Kaiser stieg aus, vom Frankfurter Senat ehrfurchtsvoll begrüßt, die Musik spielte die österreichische Nationalhymne, und nach kurzer Besichtigung der Ehrenwache des Frankfurter Bataillons ging es im einfachen zweispännigen Wagen nach dem Gallusthor und auf einem ganz unvermutheten Umwege durch die harrende Volksmenge nach dem Bundespalast. Die Menge stand zu Tausenden noch lange dicht gedrängt in der Eschenheimer Gasse und wartete auf „den Kaiser“, als dieser schon längst vorbeigefahren und im Hofe des Taxis’schen Palastes abgestiegen war. Man hatte sich wenigstens eines achtspännigen Wagens und Gott weiß welches Gepränges versehen und auf den Zweispänner mit dem Manne in der einfachen Obersten-Uniform gar nicht weiter geachtet. Diese vornehme Schlichtheit im öffentlichen Auftreten, die vielleicht bei der Einfahrt eben so sehr der natürlichen Neigung als einer klugen Berechnung entsprach, hat Kaiser Franz Joseph während seines ganzen Aufenthaltes in Frankfurt bewahrt. Die Menge kannte ihn natürlich schon nach wenigen Tagen trotz seines Zweispänners, und er ist selten durch die Straßen gefahren, ohne daß ihn ein Hoch begrüßt hätte, aber bei aller Freundlichkeit, mit der er auf jeden Gruß dankte, hat er nie gezeigt, daß er besonderen Werth auf diese Huldigungen lege, oder gar, daß er es darauf abgesehen habe. Er nahm die Begrüßungen der Menge auf wie ein vornehmer Herr, der es nicht anders weiß, als daß man ihm in der Oeffentlichkeit vorzugsweise Beachtung schenkt, und doch zugleich mit noch gerade so viel Wärme, daß der Begrüßende einen Austausch gegenseitiger Höflichkeit darin erkennen konnte. In diesem seinen, wohlthuenden, wahrhaft fürstlichen Takt ist Kaiser Franz Joseph von keinem der anderen Fürsten erreicht, geschweige denn übertroffen worden.

Wie sich der Kaiser im Verkehr mit den anderen Fürsten gegeben, haben wir natürlich nicht im Einzelnen beobachten können. Sein Auftreten bei dem Banket im Römersaal bewies, daß er sich denn doch bei allem Entgegenkommen seiner überwiegenden Stellung sehr wohl bewußt war. Er schritt als der Erste aus dem Empfangszimmer in den Römersaal und nahm zunächst ganz allein auf dem für ihn bestimmten Ehrenplatz seinen Sitz ein, und dann erst gruppirten sich die übrigen Fürsten im Allgemeinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_661.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)