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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Beim Wirth in der Glashütte war Musik. Der Schullehrer mit seinem Gehülfen saß zu hinterst an der Mauer, auf einem Bretergerüst, das untergelegte Fässer stützten, und fiedelte lustig drauf los. Köhler, Bauernbursche, Jäger mit ihren Mädchen, Alles tummelte durch einander und strampfte, als sollte der Boden einstürzen. Seitab am Tische saßen Gruppen von Bauern mit ihren Weibern, die Mädchen, wenn sie nicht tanzten, gingen ab und zu, um sich in der Hitze mit einem Schluck Gerstensaft zu laben. An einem solchen Tische saß nun Auer’s Weib und Stina, ihre Tochter, beide vorläufig in ein Stück Braten vertieft, den ihnen der Wirth mit einer Schüssel Gurkensalat vorgesetzt hatte. Stina entsandte von Zeit zu Zeit die glänzenden braunen Augen auf das bunte Gemisch des Tanzes, wie es schien, war sie aufgelegt recht lustig mitzuspringen. Mitunter schaute wohl auch ein Bursch herüber, ob sie bald fertig gegessen, um sie sodann aufzufordern. Sie war aber auch die Königin des Festes; dazu erhob sie ihre Schönheit und ihre Tracht. An dieser hatte sie alles Auffällige vermieden, aber auch die häßlichen Bauschen und Falten, welche das Weibsvolk im bairischen Gebirge so abscheulich entstellen. Die langen schwarzen Zöpfe waren um eine silberne Nadel geschlungen, das braune Mieder schloß knapp an den schlanken Leib, während Nelke und Rosenknospe an der Brust mit den Lippen und Wangen zu wetteifern schienen.

Da lief ein Flüstern durch den Saal, Stanis war eingetreten. Lust und Uebermuth sprühte aus seinem Auge, in der Tasche trug er eine Rolle harter Thaler, denn die Gemse war gut verkauft. Er musterte die Gesellschaft, sein Blick blieb an Stina haften. Er hatte nie ein Wörtlein mit ihr geredet, sie nie gesehen, das kümmerte ihn aber wenig, er schritt zum Tisch, und nachdem er die Mutter um Erlaubnis gefragt, bat er sie um ein Tänzchen. Auch ihr war der Fremde aufgefallen, unwillkürlich erhob sie sich und reichte ihm die Hand. Sie war sehr hoch gewachsen, man hätte streiten können, ob sie nicht größer sei als Stanis, dieser behauptete jedoch trotzdem durch die Mächtigkeit des Gliederbaues neben ihr den vollen Rang. Er legte den starken Arm um sie und trat vor die Musikanten, ihm nach die übrigen Tanzpaare. Schnalzend warf er in den Zinnteller, welcher auf dem Fenstersims stand, einen Kronenthaler und sang:

A Gamsl hon’ i g’schoß’n,
Daß der Berg widerhallt,
Und iatz tanz i mit ’m Diendl,
Dös mir am allerbesten g’fallt!
     Juchhui!

Er patschte auf die Lederhosen und tauchte sich in die dichtesten Wogen des Reigens. Schade, daß der alte Bauerntanz mehr und mehr verschwindet und Walzer, Mazurka und all’ der einförmige Schnickschnack auf dem Lande sich einschmuggeln. Hier konnte man ihn noch in seiner wilden Grazie, in seiner verschämten Liebe, in seiner tollen Freude bewundern; auch bei diesem Tanz gilt, wie bei der Schlacht, jeder so viel er werth ist, – versuch es einmal ein Berliner Galan und wage mit seinen Schwefelspähnen solche Sprünge gleich unserem Stanis, der Stinele wie ein feuriger Planet umkreiste und sie dann wieder jauchzend hoch aufschwang, aus dem Arm ließ, sehnsüchtig verfolgte und wieder umfaßte. Da sang ein Jägerbursch, den die Haut juckte:

’S Gamsel hast g’stohl’n
Da drenten in Wald,
’S Stinele, des kriegst nit,
Und wenn’s Dir no a so g’fallt.

Stanis war zu selig, um die Herausforderung zu hören; so ein Mädel im Arm, dachte er sich, ist doch was anders als einen Hirsch pirschen. Ein tüchtiger Schütz hat beides am liebsten. Während des Tanzes fragte ein Nachbar Auer’s Weib: „Wo hast denn deinen Mann?“

„Ich weiß nicht,“ antwortete sie, „warum er heut so saggrisch ist, durch’s ganze Haus rennt er hin und her und brummt wie eine Hummel. Später kommt er schon.“

Immer wilder wogte der Tanz, die Kleider flogen und der Busen hob sich in feuriger Lust. Da hatte Stinele den Strauß verloren, Stanis holte ihn aus dem Gewühl, anstatt ihn jedoch der Tänzerin zu reichen, steckte er ihn auf den Hut und nahm von diesem eine üppige Staude Jochraute. „Das kann Dir keiner geben von denen, die da sind!“ flüsterte er ihr in’s Ohr, und sie steckte den Büschel erröthend an die Brust.

Jochraute! Schönes ist nichts daran, aber der Aelpler kennt kein edleres Kraut; was ist Edelweiß dagegen! So mancher kühne Bursche hat sich todt gefallen, wenn er seinem Schatz am Himmelfahrtstage einen Strauß bringen wollte, er lag zerschmettert unter den Felsen, die Stäudchen in seiner Hand schmückten dann den Sarg.

Der Jägerbursche hatte Alles gesehen und gehört, noch einmal sang er sein Trutzliedl, da erwiderte Stanis lachend:

„Wer die Rauten mecht hab’n,
Steig aufi auf d’ Wand;
An boarischen Jaga
Fallt’s gewiß nit in d’ Hand’.“

Das wäre sonst das Signal zu einer Rauferei gewesen, einige stämmige tyrolische Holzknechte traten schon an Stanis’ Seite, dieser war aber nur zu einem Handel mit Stinele aufgelegt, die Musik fiel wieder rauschend ein, und von Neuem begann der Tanz. Indessen hatte sich Auer eingefunden, er fragte die Alte nach der Tochter, sie deutete mit dem Finger auf das Paar, der Alte verstummte, von dem, was sich seinem Auge zeigte, keineswegs sehr erbaut. Alles nimmt ein Ende, so auch der Tanz, Bursche und Mädchen suchten verathmend die Plätze, und Stanis führte Stinele an den Tisch zurück.

„Grüß Gott, Vater!“ rief sie schon von Weitem.

„Bist Du Auer’s Tochter?“ flüsterte Stanis.

„Hast Du das nicht gewußt?“ erwiderte sie heiter und eilte auf den Vater zu.

Stanis zögerte einen Augenblick den Kopf senkend, ermannte sich jedoch rasch und trat zu den Eltern. Aug’ in Auge standen die Männer, kein Zug jedoch verrieth, was heute zwischen ihnen vorgegangen, der Tanzboden war neutrales Gebiet wie die Kirche. Da neigte sich Stanis: „Herr Förster, ich dank’ für den Tanz mit Eurem Stinele!“ Dem Mädchen bot er die Hand, welches den Druck arglos erwiderte. „Leb’ wohl,“ fügte er bei, „ich hab’ noch einen weiten Weg, und muß jetzt gehen.“

Das war nur eine Ausrede; die Furcht trieb ihn nicht fort, wohl aber ein Gefühl, als ob es sich nicht schicke, unter solchen Verhältnissen im Angesicht des Greises zu verweilen. Man will ihn beobachtet haben, wie er aus dem Dunkel der Bäume, welche vor dem Tanzsaal standen, in diesen hineinlugte, bis der letzte Geigenstreich verklang und Alles müde nach Hause ging. Er folgte Auer’s Familie von fern auf dem weichen Grase neben der Straße; als bereits die Hausthüre geschlossen war, stand er noch lange und spähte nach den Fenstern.

Am nächsten Morgen holte Stanis sein Gewehr, das er unter einer Haselstaude verborgen, wieder hervor, und stieg in die Wände des Blauberges. Erst gegen Abend gelang es ihm, eine Gemse zu erlegen. In einer baierischen Alpe mochte er nicht einkehren, zur nächsten österreichischen war es über den Schiltenstein zwei gute Stunden, dazu die bei der Dunkelheit halsbrechenden Pfade, er besann sich daher nicht lange und suchte in einer verlassenen Hütte, wo die Bauern das abgefallene Laub bis zum Winter aufzubewahren pflegen, ein Nachtlager. Brod und Käse waren ihm Mittagskost und Abendmahl. Ein Hirtenbube hatte ihn beobachtet, wie er in das Laub schlüpfte, und es einem Jäger, welcher durch den Schuß alarmirt worden war, verrathen. Dieser holte allsogleich seine Cameraden, die Morgendämmerung war noch nicht angebrochen, als sie die Hütte von allen Seiten umstellt hatten. Der Kühnste kroch hinein, nahm Stanis’ Gewehr und reichte es dem Nächsten an der Thüre. Nun folgten zwei Andere nach. Stanis lag im tiefsten Schlafe; als man ihm Stricke um die Hände wand, murmelte er von Stinele und dem Tanz. Die Jäger lachten höhnisch. Nachdem ihm jede Möglichkeit eines Entrinnens, eines Widerstandes geraubt war, schoß der Bursche, der ihn Abends zuvor mit dem Trutzliedchen geneckt, den Stutzen neben ihm ab.

Er fuhr auf – welches Erwachen! Die scharfe Morgenluft gab ihm rasch die volle Besinnung, er schaute grimmig herum im Kreise der Peiniger und biß knirschend in die Stricke. Alles war vergeblich. Als sie ihn mit den Kolben vorwärts stießen, kam kein Laut über seine Lippen; wie die Wilden Amerika’s hätte er sich lieber todt martern lassen, als seine Feinde um Schonung gebeten, und wäre sie auch mit einem Worte zu erlangen gewesen. Diesen Triumph gönnte er ihnen nicht. Da sang der Bursche das Trutzliedl von gestern und rief spöttisch: „Jetzt führen wir Dich zu Stinele!“ Er blieb stumm, aber in seinem Blick loderte tödtlicher Haß.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_658.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)