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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Seine Gnaden der Marquis ** setzt sich platt auf die Erde; Mylord – in verschiedenen Exemplaren – macht es sich bequem auf einem Feldstuhl. Bruder „Stromer“ in zweideutigem Costüme nimmt neben ihm Platz; hinter ihm lagert Einer, dessen Gesicht halb verschämt sich hinter einem feinen Taschentuche versteckt. Ist es nicht derselbe Kopf, der am vergangenen Sonntage in London auf einer Kanzel erschien und den Segen über die friedliche Gemeinde sprach? Hier ein Banquier, dort ein Rudel geschwätziger Clerks, wiederum ein wohlbekannter Squire des Unterhauses, ein Member of Parliament in feinstem Schwarz, hier und da wohl andere größere und kleinere Büreaukraten für Großbritannien und Ostindien, mit sultanisch-verschränkten Beinen auf dem Rasen hockend oder über die straffgespannten Seile des Ringplatzes lehnend. Roués und junge Verschwender, „junge Väter“ und „ältere Söhne“, Officiere in Civil, hier und da auch elegante Taschendiebe – denn die Ernte ist oft reich und leicht, wenn Aller Augen auf quellendes Blut geheftet sind. Am zahlreichsten aber ist die Classe der „Turfiten“, oder der „Quäker des Turfs“ vertreten, Spottnamen für Sportsmen. Diese Classe ist sogleich herauszuerkennen. Sie rekrutirt sich an der Pferde- und Wettrennenbörse am Tattersall an der Ecke von Hydepark täglich um vier Uhr Nachmittags. Wie verschieden auch an Bildungsgraden, sie sind durchweg – lateral, horizontal, vertical und diagonal – Pferdeliebhaber oder solche, die von den Interessen des Pferdefleisches leben. Weiße oder gelbe Halstücher mit absonderlichen Knoten, schwarze, graue, grüne Röcke mit absonderlichem Schnitt, hartblickende Gesichter, ernsthafte Mienen, meist mager, und von der Neigung, beide Hände in die Seitentaschen zu stecken, knappe Pantalons und Hüte mit sehr breiter oder sehr schmaler Krempe, Stulpstiefeln oder leichte, weite Schuhe. – Da giebt es keine Mißverständnisse, das sind „Turfiten“. Mit dem geschäftsmäßigen Enthusiasmus für Pferdefleisch verbinden sie eine fixe Idee, daß das britische Reich nicht ohne Preisboxkämpfe bestehen könne, wie sie sagen, von einem „christlich-muskulösen“ Gesichtspunkte aus betrachtet. Boxkampf und Constitution! Boxkampf und alte Institutionen! Boxkampf und Freiheit! Vor dem „Ring“ sind Alle gleich, Aristokraten und Demokraten. So lange beide Parteien ihre Wetten bezahlen, begegnen Herzoge und Lumpensammler, Pfandleiher und Jockeys sich auf dem gemüthlichen Fuße von „Mann gegen Mann“ auf dieser echt nationalen Grundlage.

„Platz! Platz! Ruhe!“

Mace erscheint auf der einen Seite des Rings, Goß auf der anderen. Beide werfen herausfordernd ihre Flanellkappen in die Mitte. Donnernde Cheers ringsum. Jetzt werfen Beide eine Münze empor, „Kopf oder Schwanz!“ um den besten Platz. Mace gewinnt, d. h. diejenige Ecke, wo er dem störenden Sonnenlicht den Rücken zukehrt. Mit feierlicher Langsamkeit geht nun die Entkleidung durch die Secundanten vor sich. Jeder hat zwei Gentlemen dieser Art zur Hand, von denen je einer sein gebogenes Knie dem Kämpfer als Sitz bietet. Die Stiefel werden gegen weiche Schuhe vertauscht, Rock und Weste, Alles bis auf festgeschnürte Beinkleider abgelegt. Der ganze Oberkörper bleibt nackt. Mit welchem „Kunstsinn“ die athemlos Zuschauenden die kräftigen Gestalten kritisiren!

„Beide sind zu fast gleichem Gewicht trainirt!“ – „Ihr Fleisch ist so weiß wie Bienenwachs, ihre Haut dünn wie Seide!“ – „Herrliche Politur der Gliedmaßen!“ – „Aber Mace hat den kräftigsten Schädel!“ – „Wie sie einander messen, Auge um Auge!“ – „Goß hat mehr tierische Ausdauer in seiner Gestalt ausgeprägt!“

Dies die Conversation, wie sie von Mund zu Munde geht. Die Speculanten machen Wetten über Wetten – fast anderthalb Stunden währen die mit pedantischer Genauigkeit vorgenommenen Rüstungen, – die Ungeduld steht auf den Zehen – Furcht blickt rechts und links nach der Richtung des Bahnhofes von Swindon, wo der verdächtige Polizeimann sichtbar gewesen!

Jetzt!

Mace steht mit gekreuzten Armen in der Mitte des Ringes. Goß tänzelt um ihn herum mit Finten und Scheinangriffen. Jeder sucht den ersten dröhnenden Hieb zu ertheilen oder zu vermeiden. Bald wieder senken sie die Arme und lächeln einander an mit convulsivischer Mundverzerrung. Die Zuschauer hetzen sie aufeinander, wie zwei knurrende Hausdoggen. Jeder hat seine Capuletti und Montecchi unter der Versammlung, die im rohesten Englisch sich gegenseitig „aufbieten“ und die Champions preisen oder verhöhnen. Lärm, Gelächter, Fluchen und Schwören ringsum, Händeklatschen und Fersenstampfen. Noch immer drehen sich die Kämpfer mit wachsamem Lauern in Ringe hin und her. So vergehen zehn Minuten. Tiefste Spannung überall. Noch fiel kein Schlag. Da – ein Schrei!

„Die Coppers!“

Verwirrung überall. Coppers ist ein Spottname für Polizeiconstabler, von Yankee-Ursprung vermuthlich.

Der blanke Hut des Polizei-Inspectors, den man in Swindon erblickte, erschien in der Ferne, und vor ihm her stürmten drei Wächter der öffentlichen Sicherheit, um durch die festgerammte Menge zu brechen. Einige Londoner Rowdies riefen, man solle die Viere gefangen nehmen, bis der „Modellkampf“ ausgefochten, indessen die Loyalität überstimmte. Langsam löste sich der dichte Kreis in Gruppen auf, und während einige berittene Gentlemen die lachenden Policemen in eine merkwürdig lange Unterredung verwickelten, wurde den halbnackten Champions ein Ueberrock übergeworfen, und wie auf Commando trabten die gespannten Zuschauer – achthundert nunmehr – zur Eisenbahn zurück. Man glaube nicht, daß die Sache damit zu Ende. Eine lustige Meute ruht nicht eher, als bis sie Blut gesehen!

In der That! Die gesammte Menge stieg wieder in die wartenden Waggons, rasselte achtzig Meilen entlang nach London, stürmte dort über den Bahnhof, – Hunderte in Cabs und in Omnibus, andere Hunderte überrumpelten die sich dort anschließende unterirdische Eisenbahn – und passirten Alle, was Pferde und Dampf leisten konnte, sieben englische Meilen quer durch London, überall mit Cheers begleitet, nach dem südöstlichen Bahnhof in Fenchurch-Street. Alles folgte einem geheimen Losungsworte. Diesmal in ganz entgegengesetzter Richtung – achtzig Meilen ostwärts nach der Küste von Essex! Die Scene vor dieser zweiten Abfahrt war unbeschreiblich. Hülferufe überall aus dem summenden Gedränge! In fünf Minuten wurden nicht weniger als sieben gewaltsame Ausplünderungen mit Hülfe von Boxerhieben verübt. Ich sah einen Dandy von Sechsen umzingelt, halb ohnmächtig geknufft und vergeblich protestiren, als Uhr, Kette, Börse, Busennadel ihm unter vielseitigem Hohngelächter abgenommen wurden. Es gelang einem Trupp Policemen, sich zu ihm Bahn zu brechen, aber der Geplünderte rief:

„Laßt die Burschen in Ruhe! Ich habe keine Zeit zum Denunciren und will nicht den Bahnzug versäumen!“

Und Diebe und Bestohlener stiegen in ihre Coupés. Wer sollte es heute mit practical jokes zu genau nehmen!

Es war vier Uhr Nachmittags, als der Zug in der Kentischen Marsch anlangte. Aber, o Mißgeschick, ein Fluß war zu überfahren – und nur drei Boote vorhanden! Dies war Alles zum Transport von nunmehr tausend aufgeregten, erhitzten, enttäuschten Sportsmännern, die auf der Fahrt durch London allerlei verdächtige Verstärkungen erhalten. Wieder hatten nur die Stärkeren Recht! Jeder Platz in den Booten wurde erkämpft. Manche sprangen in das Wasser und wateten hinter den ersten sich entfernenden Fahrzeugen her, die bis zum Sinken überladen waren. Dort angelangt, klammerten sie sich an den Rand und erzwangen sich einen Platz oder ließen sich halbschwimmend nach dem jenseitigen Ufer hinüberschleppen. Andere boten zwei Guineen (14 Thaler) für einen Sitz und erhielten doch nur Ruderschläge als verächtliche Antwort. Hin und her gingen die Boote – es währte volle zwei Stunden, ehe nur die Hälfte der Truppen übergesetzt war. Die Boote waren halbzermalmt und zeigten unrettbare Lecks; somit blieb die Hälfte in ohnmächtiger Erbitterung zurück, ein Geheul ausstoßend, das einer Indianerhorde Ehre gemacht hätte. Daß nicht Einer ein nasses Grab gefunden, nicht ein Boot seine wüste Bürde ausgeschüttet – erscheint demjenigen ein Wunder, der die Geschicklichkeit englischer Ruderer nicht kennt. Etwa ein Dutzend vertraute sich sogar schwimmend den Wellen an und erreichte das gegenüberliegende Ufer unter brausendem Hurrah der vor ihnen Angelangten. Nun lag Wasser zwischen den Landfriedenbrechern und der Polizei, wenn solche ja es wagen sollte, ihnen ein zweites Fiasco zuzugedenken.

Dieses Mal gingen die Vorrüstungen zum Ehrenkampf für tausend Pfund Sterling mit größter Eile von Statten. Der Ring war in fünf Minuten gesteckt, auf ödem Seesand, halbversteckt hinter alten Dünen und Rohrgebüschen, über sich den bleifarbenen Wolkenhimmel. Daß der Faustkampf begonnen, bewies den am

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