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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


auf welchem die Hoffnung der Napoleonischen Dynastie beruht. Obschon noch Kind, so ist ihm doch schon in dem großen Lagerleben eine Rolle übertragen. Sie besteht hauptsächlich darin, sich beliebt zu machen, Capital für die Zukunft zu sammeln. Und wahrlich, das Kind versteht seine Aufgabe; sie muß ihm gut einstudirt sein. Jede Bewegung, jeder Blick, jedes Lächeln ist ein Minutenstein auf der großen Rue Napoleon, welche mitten durch das Lager und von da zu dem Throne von Frankreich führt.

Wo eine Schildwacht auf Posten steht, taucht er plötzlich auf, stellt sich der Wache mit gewinnendem Lächeln vor und überreicht dem Soldaten ein Loos zu der Lotterie, welche am Abende im Hauptquartiere gezogen wird. Der Glückliche gewinnt, er muß gewinnen, denn das verhängnißvolle Loos ist ihm durch die Hand des kaiserlichen Prinzen zugegangen.

Bei dem erwähnten Manöver waren außer dem Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen auch noch der Herzog von Tetuan, General Hamilton und andere hervorragende Persönlichkeiten zugegen; aber Alles drehte sich doch um den Fürsten. Er ritt beständig an des Kaisers Seite und war fortwährend in lebhafter Unterhaltung mit demselben begriffen.

Hieraus haben die Politiker den Schluß ziehen wollen, als sei der Fürst mit einer hohen Mission beauftragt gewesen. Wo hohe Personen zusammenkommen, will man immer nach tiefen Motiven suchen. Für diese Zusammenkunft möchte das ein vergebliches Beginnen sein; denn der Kaiser und der Fürst haben sich nur als Verwandte und Soldaten gesehen.

H.



Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.
Von Carl Vogt in Genf.
Nr. 9. Die Schrecken oder Geradflügler.
Die Schrecken – Eine Gottesanbeterin – Die Wanderheuschrecke – Die Maulwurfsgrille und deren Fang – Die Liebe der Werren.

     Meine Herren!

Während wir bisher nur mit Insectenordnungen zu thun hatten, welche eine vollkommene Verwandlung besitzen und wenigstens während einiger Zeit einen ruhenden Puppenzustand durchmachen, so gehören die Schrecken und Wanzen, welche wir in der Folge betrachten werden, im Gegentheil zu denjenigen Insecten, die niemals der Ruhe genießen, stets fressen und nur eine unvollkommene Verwandlung durchmachen, indem sie in mehreren aufeinander folgenden Häutungen nach und nach sich Flügel anschaffen. Die Schrecken aber insbesondere zeichnen sich vor den übrigen Insecten durch ihre vier großen häutigen Flügel aus, von welchen die vorderen niemals gefaltet, sondern deckenförmig in der Ruhe über den Leib geschlagen werden, während die hinteren einem Fächer gleich in der Ruhe strahlenförmig sich zusammenfalten. Der Kopf dieser Thiere ist meist mit sehr langen, fadenförmigen Fühlern und außerordentlich kräftigen Kinnbacken und Kinnladen ausgestattet, die Hinterbeine häufig sehr verlängert, die Schenkel verdickt, so daß sie bedeutende Sprünge machen können. Auch in dieser Ordnung finden wir nur Feinde, und da sie mit einziger Ausnahme der Fangheuschrecken nur von pflanzlichen Stoffen sich nähren und häufig in ungeheuren Schwärmen auftreten, welche im wahren Sinne des Wortes gewaltthätig über die menschlichen Pflanzungen herfallen, so ist es nicht mehr als billig, ihnen in jeder Weise nachdrücklich den Krieg zu erklären. Auch hat sich in dieser Beziehung der Volksglaube niemals getäuscht, und nur hinsichtlich der erwähnten Fangheuschrecken sind fromme Naturforscher, namentlich Franz von Paula-Schrenk, der specifisch katholische Zoologe Baierns, auf höchst absonderliche Gedanken gekommen. Wir besitzen im südlichen Deutschland, wenn auch selten, eine Art Heuschrecken, welche auch das Weinhähnel oder die Gottesanbeterin (Mantis religiosa) genannt wird und sich durch den äußerst beweglichen Kopf und die höchst eigenthümlichen vorderen Fangfüße von allen übrigen Insecten auf den ersten Blick unterscheidet. Diese Fangfüße sind nämlich mit einer innen scharfgezähnten, schneidenden Klinge als äußerstem Gliede versehen, die ganz wie ein Taschenmesser gegen das Mittelglied, das ebenfalls auf der Innenseite scharf ist, eingeschlagen werden kann. Den schlanken Vorderleib mit diesen Fangfüßen trägt das Thier stets in die Höhe gerichtet, sodaß es gleichsam die Stellung eines Betenden zeigt, der seine Hände nach dem Himmel ausstreckt. Natürlich mußte denn auch die Bestie als Beispiel für alle jene seltsamen frommen Nutzanwendungen und gottseligen Gedanken dienen, welche man an diese Stellung knüpfte. Der Schöpfer habe sie dem Menschen selbst zur Mahnung erschaffen, um ihn beständig an das Beten zu erinnern; das magere Thier nähre sich nur vom Thau, der ihm zur Belohnung seines gottseligen Lebenswandels vom Himmel direct zugesandt werde, freilich aber auch nur gerade genüge, um es nothdürftig zu ernähren. Durch seinen magern, klapperdürren Leib soll es die sündige Menschheit mahnen, zu dem Gebet noch Fasten und Kasteiungen hinzuzufügen, und auf diese Weise durch Beispiel und Exempel auf den Pfad zur Tugend leiten. In der That aber ist die Fangheuschrecke ein grimmiges Raubthier, welches anderen Insecten auflauert, sie mit den klammerförmigen Fangfüßen packt und zerschneidet und sich vorzugsweise gern von Fliegen und Heuschrecken nährt, ja sogar und namentlich in der Gefangenschaft seines Gleichen nicht verschont.

Unter den eigentlichen Heuschrecken ist es namentlich die Wanderheuschrecke (Gryllus migratorius), welche sich durch die Verheerungen, die sie anrichtet, in unliebsamer Weise berüchtigt gemacht hat. Ihr eigentliches Vaterland ist der Orient, die flachen Steppen Südrußlands, die grasreichen Ebenen der Tatarei und des Inneren Asiens und Afrikas. Von dorther kommen jene ungeheuren Schwärme, welche zuweilen gleich den Heerzügen der Mongolen in schrecklich zerstörender Weise über ganze Länder herfallen, die Sonne bei ihrem Zuge verfinstern und nicht nur alles Grüne bis auf die Wurzel zerstören, sondern auch durch ihre modernden Leiber verpestende Dünste erzeugen. Vor einigen Jahren erst zeigte sich in den Gouvernements Cherson und Bessarabien ein solch ungeheurer Schwarm, der einen Strich Landes von 60 Werst Länge (etwa 17 Stunden) und 20 Werst Breite einnahm. Der Schwarm passirte den Dniester, Alles auf seinem Zuge verheerend, und näherte sich dem schwarzen Meere. Man versammelte eine wahre Armee von etwa zwanzigtausend Bauern mit einigen Kosakencompagnien, welche während drei Wochen Millionen von Heuschrecken tödteten und den Ueberrest in die See trieben. Aus dieser einzigen Angabe kann man sich etwa ein Bild der ungeheuren Schwärme machen, welche jene Gegenden vermüsten.

Man hätte indessen Unrecht, zu glauben, daß die Wanderheuschrecke einzig auf den Osten beschränkt sei und nur auf einer irren Wanderung zuwelien in Deutschland und der Schweiz einbreche. Sowohl in der Mark Brandenburg, als auch namentlich in dem durch seine zoologischen Eigenthümlichkeiten so merkwürdigen Wallis findet sich die Heuschrecke ziemlich häufig, und ohne Zweifel könnten bei geringer Cultur und genügender Rückkehr zu den gepriesenen mittelalterlichen Zuständen auch größere Schwärme in günstigen Jahren entstehen. In dem schmalen Rhonethale, welches die Sohle des Wallis bildet, ist die Wanderheuschrecke schon eine ganz gewöhnliche Plage, und nicht selten kommen kleinere Schwärme über den See bis nach Genf herüber, wie ich denn seit meinem achtjährigen Aufenthalte schon zwei Mal häufige Exemplare auf der Ebene von Plainpalais gefunden habe. Am leichtesten gelingt die Zerstörung dieser Heuschrecken zu der Zeit, wo ihre Flügel noch nicht gehörig ausgebildet sind, da man sie dann mit Leichtigkeit todtschlagen kann; während später, wenn sie einmal vollkommen fliegen, die Treibjagden, welche man anstellen könnte, nur sehr geringen Erfolg haben. Das Weibchen legt die Eier, in schaumigen Schleim gehüllt, in Gruppen von etwa hundert Stück in zolltiefe Erdlöcher, zu deren Anlegung es besonders gerne leichten, sandigen Boden wählt, welcher der Sonnenwärme recht ausgesetzt ist.

Alle übrigen Heuschrecken sind ähnlich in ihrer Lebensweise und würden nicht minder zerstörend auftreten, wenn sie in eben so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_646.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)