Seite:Die Gartenlaube (1863) 642.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Das blasse Weib wandte sich ab. „Sprich nicht so!“ sagte sie dringend, „ach, Rudolf, martere mich nicht, indem Du Dich anklagst, wo ich allein die Schuldige bin – ich – ich – so furchtbar gesündigt habe.“

„Nenne es nicht so, Natalie, und wäre es selbst, wie Du sagst, so ist’s doch einzig aus übergroßer Liebe zu mir geschehen.“

„Das weiß der Allmächtige!“ flüstert sie mit erstickter Stimme; dann die Hände faltend, ruft sie mit ergreifenden Tone: „o könnt’ ich zurücknehmen, was ich damals gethan!“

„Liebes Weib, Du hast Alles tausendfach gut gemacht.“

„Und doch kann ich’s nie vergessen, und werde es ewig und ewig bereuen.“

„Doch – doch, Natalie. Du wirst endlich der traurigen Vorgänge jenes Tages nicht mehr gedenken, wenn sich eine so heitere, glückliche Erinnerung daran knüpft, wie die heutige ist, und darum wählte ich ihn, diesen Tag, auch als Verlobungstag unserer Tochter. Möchte sie stets ihrem Gatten das sein, was Du mir gewesen bist, Natalie.“

„So warst Du glücklich, Rudolf?“

„Weißt Du es nicht, Geliebte? –“ fragte er innig.

„Immer und wieder hör’ ich’s gern, denn immer zweifle ich von Neuem.“

Sie trocknete die Spuren der Thränen, welche einem so ganz andern Quell entsprangen, als er vermuthete, und zeigte wieder jenes Lächeln, hinter dem sie ihre Ruhe barg. Einen Moment leuchtete dies Lächeln hell auf, wie in vergangenen Tagen, die ernsten Züge verriethen ein reines Glück, – es war als ihr Auge auf eine liebliche, jugendliche Erscheinung fiel, – ihre älteste, glückliche Tochter. Rosig wie der junge Tag, leicht wie ein Zephyr, schwebte sie daher, gefolgt von einer schönen männlichen Gestalt, die sie zu erhaschen strebte.

„Ihr spielt ja wie die Kinder!“ rief der Vater lächelnd.

„Alexander will mir meinen alten Ring entreißen, lieber Papa.“

„Und hab’ ich nicht Recht, daß Olga nur einen, meinen Ring tragen soll, liebe Mama? Außerdem ist der Reif entzwei.“

„Er sprang vorhin erst, Alexander.“

„Was ist das für ein Ring?“ fragte der Graf.

„Der von Miß Ellen, lieber Vater! den sie mir gab, als sie von uns ging – ich bewahrte ihn, da ich es ihr versprochen, und trag ihn seit Jahren. Sag, Mama, wirst Du Miß Ellen schreiben, daß ich verlobt bin?“

Die Gräfin stand abgewendet neben einer Blumengruppe.

„Wie kann Mama ihr schreiben,“ sagte der Graf, „wir wissen ja über neun Jahre Nichts von Miß Wood.“

„So! – ach ja, wir sprachen schon davon! Wo sie wohl sein mag, Papa?“

„Was kümmert Dich jene Dame!“ rief der Verlobte.

„O Mama, Alexander ist auf Alle eifersüchtig, die ich lieb habe. Das ist aber schön von Dir, mein Alex; und zur Belohnung für Deine Liebe mag der Ring als Opfer fallen.“

Sie warf ihn lächelnd in den Kamin; er wollte sie jubelnd umschlingen, da erdröhnte ein schwerer Fall. Im Tanzsaale nebenan war einer der Kronleuchter zu Boden gestürzt.

Der Graf klingelte und eilte aus dem Zimmer, das junge Paar folgte ihm, die Zurückbleibende aber warf sich vor den Kamin hin, durchstöberte die glimmende Asche, fand das Gesuchte nicht, und auf den Knieen liegen bleibend, betete sie leise: „O Gott – o Gott, laß das kein böses Omen sein!“




Das glänzende Fest, das sich das junge Brautpaar zur öffentlichen Feier seiner Verlobung erbeten, ging froh und ungetrübt von Statten, und erst beim anbrechenden Morgen fuhren die Wagen mit den heiter angeregten Gästen heim.

Als der greise Thürsteher das Portal schließen wollte, trat ein Mann in schäbiger Kleidung hinter dem Pfeiler hervor, händigte dem Diener einen keinen Brief ein und bat, dem Herrn Grafen das Papier sogleich zu übergeben, da es von höchster Wichtigkeit für ihn sei.

Graf B**** las staunend die seltsamen Worte, welche ihm völlig unverständlich waren, ließ aber den Mann in sein Zimmer bescheiden, der in so mystischen Ausdrücken angedeutet, Mitwisser eines Verbrechens zu sein, das eine ihm nahestehende theure Person vor vielen Jahren begangen.

Stundenlang war dieser Mann schon wieder fort, mit dem das Elend die Schwelle dieses Hauses überschritten, hell und strahlend schien die Sonne in ein Gemach, wo dieses Elend einen Menschen zu Boden geworfen, der Zeit seines Lebens so stolz, so kühn und frei sein Haupt erhoben, und zu diesem freien Aufblick auch völlig so berechtigt war, da bisher kein Flecken seine Ehre getrübt, nicht ein Schatten auf seinen Thaten lag.

„Rudolf, ich sterbe vor Angst!“ wimmerte das Weib vor der verschlossenen Thüre ihres Gatten, der auf alle Bitten keine Antwort gegeben.

Endlich, endlich öffnete sich diese Thüre, eine eiskalte Hand erfaßte die ihre und zog sie in’s Gemach. Eine tonlose Stimme frug dann: „Beantworte einfach meine Frage: ermordetest Du vergangene Nacht vor acht Jahren Ellen Wood im Damenzimmer zu E*?“

Und ob sie seit jener Nacht lange, lange Jahre hindurch täglich, ja stündlich gefürchtet, diese Frage einst zu hören, schmetterte sie die Wirklichkeit doch nieder, und seine Kniee umklammernd, ächzte sie: „Gnade, Erbarmen!“

Mit Todesangst, mit Todespein schaute er auf sie – auf sie, die lang sein Stolz – lang sein Glück, fast seit er denken konnte, sein Ein und Alles gewesen! Sie eine Verbrecherin! eine Mörderin, welche nun die Hand der irdischen Gerechtigkeit ereilen – bestrafen sollte. – Fast undenkbar, und dennoch mußt’s durchdacht, immer und wieder klar gemacht werden.

Eine tiefe, furchtbare Stille herrschte unter den Gatten, endlich beugte er sich zu ihr nieder und hob sie auf. „Natalie,“ sagte er sanft, „Du mußt sterben, sterben – doch nicht allein – ich begleite Dich auf dem dunkeln Wege.“

„Nein! – nein!“ schrie sie laut, „wie könnte man Dich tödten!“

„Mich tödten? – Niemand!“ sprach er ernst und voll Würde. „Ich muß es selbst thun, Natalie! – ich könnte nicht gegen Dich zeugen, noch weniger könnt’ ich Dich mit Schmach bedeckt sehen, Dich in Gefangenschaft wissen. Sieh denn ein, mein noch immer heiß geliebtes Weib, daß es besser ist, ich – ich tödte Dich – dann mich, entreiße Dich dem Elend – mich der Qual! – Die Kraft habe ich mir in langem Gebete errungen – nun fasse auch Du Muth und sage mir, wann Du bereit bist. Mir bleibt nur noch wenig zu thun.“

Er fügte einem offen daliegenden langen Briefe noch Einiges hinzu, siegelte dann das Schreiben und berief den Portier in das Zimmer.

„Meiner Schwester! – Du übergiebst nur ihr selbst das Schreiben und sagst Niemand ein Wort davon.“

Er warf sich jetzt einen Moment mit verhülltem Antlitz in die Ecke des Divans; als er nach einer Weile ruhig, gefaßt aufblickte, sah er seine Frau vor sich auf den Knieen liegen. „Bleib’ leben, Rudolf!“ rief sie unter Händeringen, „laß auch mich leben, laß uns, was kommt, erwarten, vielleicht ist der Himmel gnädig mit mir und …“

Er zog sie zu sich empor, lehnte ihren Kopf an seine Brust und flüsterte mit halb erstickter Stimme: „Wir haben das Furchtbarste zu erwarten, Natalie. Er – er ist hier.“

„Wer?“ schrie sie entsetzt.

„Christian Grunewald! Er kehrte aus Amerika als Bettler, als Trunkenbold zurück und ist eine elende giftige Natur. In seiner Hand liegt unser Geschick, und er weiß, was das heißt! – Ich habe ihn gesprochen. Nachdem die Gäste fort waren, kam er zu mir – in diesem Augenblicke, Natalie, ist er vielleicht schon auf dem Gerichte – mindestens drohte er damit, weil ich mich weigerte, ihm eine Summe zu verschreiben, die weit über die Hälfte meines Vermögens beträgt, und jenes Gut, wo wir einst lebten.“

„Wollte er dann schweigen, Rudolf?“

„Vielleicht so lange, bis er es vergeudet, wie jene anderen Summen, die er von Dir seit jener Nacht erpreßte. Er sagte mir Alles, Natalie.“

Sie verbarg ihr Antlitz und weinte still. Der arme Mann legte seine Hände auf das Haupt der unglücklichen Frau. „Warst Du je ruhig, Natalie,“ frug er dann, „einen Tag ganz sicher?“

Nie eine Stunde, Rudolf! – o, es waren furchtbare Jahre, Jahre endloser Qualen!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_642.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)