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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Herzens genommen, was den Schlaf von ihrem Lager scheuchte und sie nicht mehr Rast noch Ruhe finden ließ und jetzt einen entsetzlichen, einen furchtbaren Argwohn in ihrer Seele wach rief – den Argwohn: daß sie auf Befehl ihres Gatten an demselben Abend die Gegend hatte verlassen sollen, wo dieses Mädchen dahingekommen war! –

Wunderbares Verhängniß dieses Finden – trostloses, entsetzliches Verhängniß dieses Begegnen! – Erst nach und nach löste sich die Erstarrung ihres Körpers – ihres Geistes, wie Feuer rollte aber dann das Blut durch ihre Adern, und im wilden Chaos drängten sich die finstersten Gedanken; bald preßte sie die eiseskalten Hände gegen die brennende Stirne, bald gegen das laut pochende Herz, dann umklammerte sie den nahstehenden Stuhl, auf dem die kleine Reisetasche der Fremden lag, und sinnend, grübelnd verharrte sie so mehrere Minuten, ohne sich zu rühren.

„Ruhe Dir – Ruhe mir!“ so lautete die kurze, furchtbare Entscheidung eines entsetzlichen Kampfes, eines Kampfes, der ihr Alles – alles Andere, nur keine Ruhe gab! Und diese Frau, die wenige Stunden zuvor, in leidenschaftlichster Aufregung, dadurch zur Besinnung gekommen war, daß ihretwegen das Leben eines Thieres geopfert werden sollte, sie bebte jetzt nicht davor zurück, das eines Menschen, eines wehrlos daliegenden Wesens mit eigner Hand zu vernichten.

Ohne Beben, ohne Zittern traf die Frau ihre Vorbereitungen. Unhörbaren Schritts glitt sie zuerst zur Thüre, blickte sich in dem Saale um – als Alles leer – Todtenstille ringsum, zog sie rasch ein kleines Flacon aus der Tasche ihres Kleides, das sie wohl zu anderm Zweck dort verborgen. – Mit der linken Hand fest ihren Mantel vor Nase und Mund pressend, hob sie mit der Rechten vorsichtig den Deckel auf, schlich zum Sopha zurück und ließ die Schlafende nur wenige Minuten das tödtliche Gift einathmen!

Ein Aufzucken jener schlanken Gestalt, ein Umhergreifen der kleinen Hände, ein kurzer Blick aus umflorten Augen in das Dunkel – tiefes lautes Aufathmen – dann stärkeres convulsivisches Zucken des ganzen Körpers, ruhloses Hin- und Herwerfen, Röcheln – kurze Verzerrung aller Gesichtsmuskeln – plötzlich – Ruhe, völlige Ruhe und gänzliche Regungslosigkeit.

Starren Blicks verfolgte die Mörderin diesen kurzen Todeskampf, dann schüttete sie vorsichtig – zu ihrer völligen Beruhigung vielleicht – einige Tropfen der dunkeln Flüssigkeit in den halb geöffneten Mund der Todten, preßte hastig das Flacon zwischen die festgeschlossenen Finger der Hand, die auf dem Mantel ruhte, ergriff die kleine Tasche und stürzte aus dem Zimmer, durch den leeren Saal, hinaus in’s Freie. – In fliegender Hast über den Hof eilend, den ein hoher Breterzaun von der Landstraße schied, begegnete ihr an der letzten Ausgangspforte ein Mann, der eine kleine Laterne trug. Er hatte die Thür aufgestoßen, als sie eben um die Ecke bog und in nächster Minute vielleicht in Sicherheit gewesen wäre. Beim plötzlichen Schein des Lichts, der auf ein ihr wohlbekanntes Gesicht fiel, prallte sie entsetzt zurück und blieb stehen. Einen Moment nur schaute der Mann auf in das erdfahle Gesicht. „Frau Gräfin!“ rief er voller Bestürzung, aber in demselben Augenblick schlug ihn die Angerufene auch mit gellendem Aufschrei die Laterne aus der Hand und stürzte durch die offene Pforte, hinaus in das Dunkel der Nacht.

Einen Augenblick stand er betroffen da und horchte mit angehaltenem Athem, wohin sie ihre Schritte lenkte. Dann sprang er mit raschen Schritten in’s Haus, in das Damenzimmer – sah eine Secunde in das Antlitz der Todten und eilte in der nächsten der Entfliehenden nach. – Der letzte Schreck schien ihre Kraft gebrochen zu haben; zitternd lehnte sie an einem Baum und sah mit angsterfülltem Blick in die Nacht hinaus. Da vernahm sie ein Geräusch – Schritte die sich ihr näherten! – Die Todesangst trieb sie vorwärts – immer vorwärts, auf einem Wege zwischen steil aufsteigender Felswand und rauschendem Gebirgsbache fort. Sie flog so pfeilgeschwind auf dem schmalen Pfade dahin, daß sie bald nicht mehr den Schritt ihres Verfolgers hörte. Plötzlich aber rauschte es im Laub an ihrer Seite, sie vernahm einen Sprung ganz in ihrer Nähe – sah eine Gestalt dicht vor sich – er hatte ihr den Weg abgeschnitten; doch ehe er sie ergreifen konnte, suchte sie sich durch einen Sturz in das Wasser zu retten. – Ein Strauch verhinderte ihren Fall zur Tiefe, eine kräftige Hand riß sie in der nächsten Secunde empor. „Still, Frau Gräfin,“ flüsterte eine Stimme hastig, „still – ich will ja nicht Ihr Verderben. Verständigen wir uns – dann wird Alles gut.“ Besinnungslos fiel sie zu Boden.

Zum Leben erwachend, fühlte sie bald die ganze Schwere desselben, und als sie vielleicht nach einer Stunde die Stätte verließ, auf den Arm ihres Verfolgers gestützt im Dickicht des nahliegenden Berges verschwand, da würde sie, wenn ihr die Wahl geblieben wäre, sicher lieber an der Stelle der Todten im Damenzimmer gewesen sein.

Die Würfel ihres Lebens aber waren gefallen, und die Reue – wie früh sie auch eingetreten, dennoch – zu spät!

Voll Mitleid blickte dem unglücklichen Weibe ein junger Mann nach, der von Beiden unbemerkt auf seinem Wege nach dem Bahnhofe sich ihnen genähert hatte, durch ihr leises Schluchzen, durch einzelne seiner Worte seinen raschen Schritt unwillkürlich gehemmt sah und, von dieser nächtlich geheimnisvollen Scene angezogen, den weitern Verlauf abzuwarten beschloß. Vorsichtig hatte er sich hinter einen nahliegenden Felsvorsprung zurückgezogen, an diesem Ort ihre kurze, aber entsetzliche Beichte gehört und voll Angst den Bedingungen gelauscht, die der Mitwisser des Geheimnisses für sein Schweigen stellte.

Längst waren die Beiden fort, und noch immer stand der junge Mann wie gebannt an seinem Platze, dann schritt er in der tiefen Finsterniß unruhig hin und her und begrüßte mit sichtlicher Freude das erste anbrechende Licht des Tages. Genau sah er sich beim schwachen Schein des jungen Morgens die Umgebung an, machte im kleinen Notizbuch sogar eine Skizze von dem Platze, ging dann suchend herum und als er am Abhang des Rasens eine Reisetasche liegen sah, nahm er sie auf und mit sich.

(Schluß folgt.)



Die Frankfurter Jugendwehr.

Regt sich’s in Deutschland aller Orten.
Und weht ein frischer Geist durch’s Land.
So öffnet willig Eure Pforten.
Daß Ihr den Geist nicht wieder bannt!

Schaut auf, es leuchten Aller Augen.
In Aller Augen wird es hell,
Und Alles eilet einzufangen
Den lichten frischen Lebensquell.

Wir wissen längst schon, was wir wollen
Und was uns fehlt zu dieser Stund’;
Doch jetzo wird uns, was wir sollen,
Und was wir müssen, endlich kund.

Auf, greift zur Waffe, macht Euch fertig,
Gerüstet seiet, Alt und Jung,
Und steht, des Schlachtenrufs gewärtig,
In eiserner Vereinigung.

Wo in deutschen Landen lebte nicht heutzutage die Sehnsucht, das Bild von dem großen im Innern geeinten, nach außen mächtigen Vaterlande verwirklicht zu sehen? Wo lebte nicht das Bewußtsein, daß zur Erreichung dieses Zieles nicht ebene, glatte Pfade, sondern beschwerliche und gefährliche Wege führen, daß dieses hohe Gut uns nicht im Schlafe bescheert werde, sondern unter schweren, schweren Kämpfen von uns erobert werden müsse? Aber wenn wir das wissen, da gilt es auch jetzt schon, die Hände nicht müßig in den Schooß zu legen, sondern sich vorzubereiten für die kommenden Tage des Kampfes und der Gefahr. Das deutsche Volk ist sich auch dieser Pflicht, dieser Nothwendigkeit bewußt, und die Turn- oder Schützenvereine thun das Ihre, die heranwachsende und herangewachsene Jugend kampfbereit und tüchtig zu machen.

Auch der zu Frankfurt a. M. neugegründete Jugendwehrverein verfolgt zum großen Theil den gleichen Zweck. Dort ist es nicht nothwendig, daß die Bürgersöhne selber ihrer Wehrpflicht genügen; man pflegt das nöthige Bundescontingent durch Söldlinge zu bilden, und es kann deshalb die Aufgabe der dortigen Jugendwehr nicht sein, durch frühe militärische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_628.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)