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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Sparen Sie Ihre Worte, Comtesse Clara, ich bleibe – ich reise nicht.“

„So helf Dir Gott!“

„Ja, mag er mir helfen, ein Herz wieder zu erringen, das Du mir völlig entfremdet – geh, Scheinheilige.“

„Ich habe Dir noch diesen Brief zu übergeben, er ist von Rudolf.“

Der Brief wurde heftig aus der Hand gerissen, das Abschiedswort nicht beachtet, und als die Andere das Zimmer verließ, entfaltete Jene hastig das Schreiben, dessen Inhalt lautete:

„Für den Fall die Prophezeiung meiner Schwester sich erfüllt, Sie trotz meines entschieden erklärten Willens und Ihres mir gestern gegebenen Wortes heute dennoch nicht zu Ihrer Mutter reisen – diese Zeilen! – Mag der kurze Inhalt des Briefes Sie an das lange Leid mahnen, das Sie mir bereitet, an die lange Geduld, die ich mit Ihnen gehabt und welche nun endlich ihr Ende erreicht hat.

Als vor ungefähr vier Jahren Miß Ellen Wood zu unserer ältesten Tochter als Bonne kam, nannten Sie dies junge Mädchen einen Engel, behandelten sie während der ersten Monate wie eine Schwester. Ich bat Sie zu verschiedenen Malen die Grenze inne zu halten, die zwischen Ihnen und jener jungen Engländerin bestehen sollte. Sie scherzten über meinen Stolz, Sie nannten mich sogar hochmüthig und ahmten in liebenswürdiger Neckerei die Mienen des „Weiberfeinds und Tyrannen“ nach, ja Sie versicherten, Miß Ellen, das sechzehnjährige Kind, fürchte sich fast zu Tode vor meinem Ernste, meiner Strenge und starren Unbeugsamkeit. Plötzlich, ohne allen Grund, beschuldigten Sie Ihren bisherigen Liebling der Koketterie, der Gefallsucht, tadelten die Wahl ihrer Kleidung, spotteten über ihre unpassende Haartracht und – beleidigten das arme erschrockene Geschöpf täglich – stündlich durch die liebloseste, ungerechteste Behandlung. Ich schwieg dazu, indem ich hoffte, Miß Ellen würde ihr Ehrgefühl von dannen treiben; leider war sie Waise, gänzlich unbemittelt und – wie Sie mir einst selbst erzählt – von harten Verwandten roh behandelt und scheute auch, so schnell aus ihrer ersten Stellung zu treten. Am Geburtstage unseres Töchterchens – dem siebenten Jahrestage unserer Ehe – da, Gräfin, verlangten Sie unter Thränen von mir, ich solle Miß Wood aus dem Hause jagen, weil sie gewagt, heimlich mein Bild zu zeichnen und es unserm Kinde zu schenken. Vergeblich warf ich ein, daß sie ja auch Ihr Bild gemalt, vergeblich bat ich Sie, uns nicht lächerlich zu machen, und verweigerte entschieden, ein junges schutzloses Mädchen auf so ehrlose Weise zu entlassen.

Wie Sie jene Weigerung und meine Worte auslegten – Wissen Sie! – Ebenso wenig, wie ich aber jene furchtbare Stunde vergessen, wo ich die erste entsetzliche Entdeckung Ihres Verdachtes, dieses so unwürdigen, unbegründeten Verdachtes machte, wo ich einsah, Ihr Vertrauen verloren zu haben – ebenso wenig werde ich je die Erinnerung an die Schmach verbannen können, mit der Sie wenige Wochen später mich – den völlig Schuldlosen, überhäuften. Haben Sie diesen schrecklichsten aller Tage vergessen? Wie ich eines Morgens arglos in die Bibliothek trat und dort Miß Ellen Wood fand, die ein Buch suchte, und wie Sie, ehe wir noch eine Sylbe zusammen geredet, kaum uns begrüßt hatten, wie eine Furie in den Saal stürzten und unter Thränen behaupteten, diese zufällige Begegnung sei eine verabredete Zusammenkunft, eine Zusammenkunft, die bereits Stunden gewährt! Erinnern Sie sich?

Ich schweige von jenem Eindruck – schweige von allen Folgen, ich mahne Sie nur an den Augenblick, als da, wo Sie in sinnloser Heftigkeit mich, Ihren Gatten, zu beschuldigen wagten, ein junges ganz unschuldiges Wesen des Schlimmsten anklagten – als da plötzlich mein Diener, jener freche Bursche Christian Grunewald, aus dem an die Bibliothek stoßenden Lesezimmer trat und versuchte, den Zeugen unserer Unschuld abzugeben, Sie – Sie die Gattin – der Treue des Gatten versicherte!

Sie schickten in richtiger Erkenntniß der Thatsache, daß mir der Anblick jenes Menschen ein furchtbarer sein würde, Christian Grunewald mit einem Geschenk von 500 Thlr. aus dem Hause. Doch haben Sie gedacht, mit seinem Fortschicken auch in mir die Erinnerung an das bannen zu können, was die Veranlassung Ihres Schrittes gewesen? – haben Sie wirklich gedacht, durch großmüthiges Geschenk die Zunge jenes Elenden zu binden?

Christian Grunewald ist jetzt wieder in unserer Nähe, vor einigen[WS 1] Tagen sprach er mich an. Sie werden ihn sicherlich auch wiedersehen, und vielleicht bringt sein Anblick Sie zur vollen Einsicht dessen, was Sie mir einst angethan! – Von mir wollte dieser Freche Geld erpressen, damit er über jenen Vorfall ferner schweige. Kommt er mit ähnlich beleidigendem Antrag einmal zu Ihnen, weisen Sie ihn zurück, wie sich’s gebührt – geben Sie sich nicht, durch gar Nichts in die Hand dieses Menschen, der trotz manches Guten ein Elender, ein Verworfener ist!

Genug davon. Ich kehre zu unserm Leben, diesem furchtbaren fernern Leben zurück, das sich durch den Umstand um Nichts besserte, daß Miß Wood in gerechter Empörung und tiefgekränkt noch in derselben Nacht unser Haus verließ, wo Sie sie so ungerecht beschuldigt. Leider hatte sie keine andere Zufluchtsstätte, als bei der Baronin F*. Daß diese Dame das junge Mädchen nicht einsperrte und sie manchmal mit in Gesellschaft nahm, in der wir sie einige Mal trafen, das gab Ihnen neuen Anlaß zur Eifersucht! Fügte ein unglücklicher Zufall solch Zusammentreffen, wie unwürdig Ihrer benahmen Sie sich da – mit welch’ unwürdigem Verdacht beleidigten Sie das Mädchen – beleidigten Sie mich! – Zwei Jahre ertrug ich dies Leben – da trieb Sehnsucht nach einigen ruhigen Wochen mich nach der Schweiz. Was konnte ich dafür, daß Miß Wood, deren Ruf Sie ja in unserer Gegend systematisch untergraben, gerade in der Zeit aus Rücksicht gegen uns von der Baronin F* aus ihrem Hause entfernt worden? – Ich hörte davon bei meiner Rückkehr zuerst, und Sie blieben bei Ihrer Annahme: Miß Wood sei mir nachgereist, und wir – –

Nein, ich kann die Schmach nicht niederschreiben, mit der Sie mich, den Mann Ihrer Wahl, den Vater Ihrer Kinder abermals überhäuften! – Furchtbarer denn je zuvor war nur nach jener Reise unser Leben. Ein Dämon beherrschte Sie – Sie entwürdigten sich täglich mehr, indem Sie zum Spion Ihres Mannes herabsanken und selbst – jeden an mich anlangenden Brief heimlich öffneten. – Ich versuchte Alles: ich verließ mit Ihnen jene Gegend, wo man uns beobachtete und Sie stets an die unschuldige Ursache Ihres Mißtrauens gemahnt wurden; – ich hoffte, der Aufenthalt auf diesem Gute, wo wir die ersten glücklichen Jahre unserer Ehe verlebt, würde besänftigend auf Sie wirken, ich ließ meine Schwester, dies sanfte, engelgleiche Wesen, kommen – Alles – Alles vergeblich – Alles – Alles nur neuer Grund zu Scenen und Auftritten! – Als meine Geduld endlich zu Ende, als der Bogen sprang, den Sie zum Zerspringen angespannt, da wollten Sie in Schmerz und Reue vergehen, da gelobten Sie Aenderung – Besserung!

Ich glaubte Ihnen, hoffte auf Ihre Liebe, und was war das Resultat meiner Nachgiebigkeit? – In der Stunde, wo ich Sie überraschte, als Sie abermals einen an mich adressirten Brief öffneten – betheuerten Sie mit heiligen Schwüren, daß es nie wieder geschehen solle – ich aber gab Ihnen einfach mein Ehrenwort, daß, wenn Sie noch einmal in den Wahnsinn der Eifersucht auf Miß Wood verfielen, Trennung zwischen uns die Folge sein würde. Der Zeitpunkt kam früher, als ich gefürchtet, Sie brachen Ihren Schwur – ich aber halte mein Wort!

Rudolf, Graf B***.“

Gräfin Natalie hatte den Brief kaum beendet, da hörte sie das Fortrollen eines Wagens. Sie stürzte aus dem Zimmer und flog durch alle Räume des Hauses, wo sie ihren Gatten, ihre Kinder zu finden wähnte – fort Alle – fort auch ihre Schwägerin!

„Einen Wagen! – meinen Wagen!“ rief sie der Dienerschaft zu.

Bis auf den Haushofmeister zogen sich Alle zurück. „Der Herr Graf,“ sagte dieser ernst, „haben verboten, Ihnen heute und morgen einen Wagen zu geben.“

Obgleich sie wußte, ihr Befehl gelte gegen den seinen nichts, so forderte sie abermals das Verbotene, und erbleichte, zitterte, als Niemand ihr Wort beachtete, Keiner sich rührte. Sie eilte hinab zu den Ställen, ergriff den Zügel ihres Rosses; aber o Schmach für diesen stolzen, eigenwilligen Charakter – man entwand ihren Fingern den Zaum, führte das Pferd bei Seite, und als sie sich ihm abermals nähern wollte, sah sie, daß einer der Jäger ein Gewehr ergriff und nach dem edlen Thiere zielte.

„Was wollt Ihr thun, Anton?“ schrie sie entsetzt.

„Der Herr Graf befahlen, das Pferd zu tödten, wenn –“

„Gut – ich verstehe! ich will’s nicht! meinetwegen soll es sein Leben nicht verlieren.“

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_626.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)