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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

wendete sich die Wuth der Menge gegen den Scharfrichter und durchbrach alle Dämme. Steine flogen auf die Blutbühne, die Knechte und der Meister wurden gemißhandelt, und so ereignete es sich zu Lübeck, daß bei einer verfehlten Hinrichtung fünf Scharfrichter erschlagen wurden. Am 7. August 1611 ward in Magdeburg der Nachrichter Albrecht Galle erschlagen. Von seinen beiden Knechten erhenkte der Pöbel den einen, der andere kam, ganz mit Wunden bedeckt, davon.

Dies Alles bewegte denn doch das Gemüth eines Jungmeisters am Tage der ersten Blutprobe. Um sich zu stärken, wurden in der abergläubischen Zeit allerlei Mittel versucht. Zumeist war der Glaube vorhanden, man könne sich am besten gegen die Zaghaftigkeit, als Hauptgrund des Mißlingens, wahren, wenn man vor dem Richten Menschenblut trinke. Es sind Fälle vorgekommen, wo der Vater sich die Ader geöffnet, um dem Sohne, der sein Meisterstück machen wollte, den muthmachenden Trunk reichen zu können. Weniger abergläubische Henker betrachteten die Sache als ein Geschäft, und noch Andere stärkten sich durch ein Gebet in der Kirche des Ortes, wobei sie das Richtschwert mit sich führten.

Eine besonders große Feierlichkeit war es, wenn die Ablegung einer Meisterprobe mit der Aufrichtung eines neuen Hochgerichtes zusammenfiel. War die Aufstellung einer gezimmerten Blutbühne (Schaffot) nothwendig (wie das immer bei Städten der Fall, welche keine gemauerten Hochgerichte besaßen), so rief ein Befehl die Maurer und Zimmerleute zur Arbeit. Sobald man bis zum Richten des hölzernen Schaffotes gekommen war, schrieb der Rath der Stadt eine Feierlichkeit aus, bei der sämmtliche Maurer und Zimmerleute, welche an dem Erbauen des Hochgerichtes Theil genommen, sich einzufinden hatten. Von den übrigen Handwerkern: Schlosser, Steinmetz etc., brauchten sich nur die Meister und Altmeister zu stellen. Sie mußten sich auf dem Rathhause versammeln, um „den neuen Galgen zu richten“. Ein Commando Stadtmiliz oder Soldaten ward ebenfalls bestellt. Voran zogen: Richter, Amtleute, Vögte und Schöppen, eine Abtheilung Gerichtsdiener mit Spießen; die Soldaten mit klingendem Spiele; der Oberrichter mit dem Schreiber; die Alt- und Obermeister nach Rang und Ordnung mit ihren Waffen und Wehren gliederweise; die Maurer und Zimmerleute, letztere mit ihren Aexten, deren Schneiden in die Höhe gekehrt; wieder eine Rotte Soldaten mit Spiel.

An dem bestimmten Ort angelangt, wurden sie von dem Scharfrichter empfangen, der mit seinen Knechten die Schaufeln und Hacken bereit hielt, um die Löcher zu graben oder die Vertiefungen zu hauen, in welche die Balken gelegt werden sollten. Diese Werkzeuge stellte der Oberrichter, und sie blieben im Besitze des Nachrichters, weil sie gewissermaßen anrüchig geworden waren. Der Oberrichter ritt nun auf den Platz, entblößte sein Haupt und bewillkommnete die sämmtlichen Anwesenden, bedankte sich bei ihnen, daß sie pünktlich erschienen, und bat sie, Hand anzulegen und nunmehr das Werk zu vollenden. Hierauf las er einen Paragraph aus der peinlichen Hals-Gerichtsordnung Kaiser Carl’s V., wonach es Niemandem an seiner Ehre, guten Namen und Ruf schaden solle, beim Aufrichten des Galgens geholfen zu haben. Sofort begann die Richtung oder Setzung der Balken.[1] War ein eiserner Arm zur Aufhängung der Verurtheilten angebracht, so setzte der Nachrichter diesen ein. Wurden neue Balken auf die Untermauerung gelegt, so zog man diese mittelst Kloben heraus, woselbst sie dann von den Maurern festgekittet wurden. Das Aufwinden der Balken geschah durch die sämmtlichen Altmeister. Nach geendigter Arbeit zog man in derselben Ordnung zurück. Die Maurer und Zimmerleute erhielten vom Rathe doppelten Tagelohn, das Hochgerichts-Personal gab einige Tonnen Bier zum Besten. In einigen Ländern waren es gewisse Zünfte, denen die Erhaltung und Erbauung der Hochgerichte oblag. So mußten in Baiern die Weber das Hochgericht bauen lassen, die Müller lieferten die Galgenleiter.

Die blutige Einweihung des Galgens oder Rabensteines durch ein Meisterstück war ein Festtag für die Stadt. Am Morgen des Executionstages begab sich der peinliche Richter in die Zelle des Gefangenen. Hier fragt er ihn, ob er auf seinem Bekenntniß beharre.

Sünder erwidert. „Ja, ich beharre.“

Hierauf rufet der Richter: „Meister Hans (der Scharfrichter), so ist der Reus der Eurige.“

Hiernach lässet der Richter die Armen-Sünderglocke läuten. An manchen Orten stößet man auch in die Posaunen. Es soll, nach Carl’s V. peinlicher Gerichtsordnung, ein solch Gericht unter freiem Himmel Morgens zwischen 9 und 10 Uhr ergehen. Sodann führet man den Sünder in den Saal vor die Schöppentafel, allwo der Richter sitzet in Mitten der Schöppen und einen weißen Stab oder ein bloßes Schwert in der Hand hält. Nach dem sächsischen Inquisitionsrecht „ziehet der Richter das Schwertt nicht allsogleich aus, sondern er entblößet es erst, wenn er sich niedersetzet, auch soll er von Rechts wegen eine gewappnete Hand (d. h. einen Blechhandschuh) haben. Doch ist dieses an den Orten verschiedentlich. Hernach nun heget der Richter das peinliche Gericht, befraget nochmals den Sünder, und wenn dieser Alles gestanden, so bricht der Richter den weißen Stab entzwei, nachdem der Schreiber das Urtheil verlesen. Die Stücke des Stabes hebet der Frohnbote sorglich auf, dieweil damit sonsten mancherlei Hexenwerk getrieben wird. Hierauf giebt der Richter dem Henker den armen Sünder. Der leget die Hand auf seine Schulter. Spricht der Richter: „Thuet, Meister, nach buchstäblichem Inhalt des Urtheils.“ Hierauf bindet der Henker den Maleficanten, und soll es seine Sache sein, dem Sünder zuzureden, ihn zu bitten, sich nicht für dem Tod zu fürchten, denn er wolle ihn schnell abthun mit dem Schwertte, oder glimpflich von der Leiter werffen und im schweren Augenblicke noch ein Gebetlein ins Ohr ruffen.“ Der erste Knecht des Henkers führt nun den Sünder an einem Strick, der von den gebundenen Händen herabhängt, zur Richtstatt. Der Meister „gehet im rothen Mantel hinterher“ und hat sein Schwert versteckt. Am letzten Hause reicht der Nachrichter dem Sünder einen Trunk Wein mit den Worten: „Gebet Wein denen, die umkommen sollen, und stark Getränk den betrübten Seelen, daß sie ihres Unglücks nicht gedenken.“ „Doch soll der Richter zusehen, daß der Henker kein berauschendes Mittel hineinwerfe, auf daß er nicht den Sünder um seine Andacht bringe.“

Kommt nun der Verurtheilte in den Kreis oder auf das Hochgericht, so führt der Henker ihn drei Mal herum, bis er drei Paternoster gebetet. Der Priester absolvirt und segnet den Sünder. Während dessen machen die Knechte den Stuhl zurecht, auf welchem die Execution geschehen soll. Nun ist der letzte Augenblick nahe. Die Scharfrichter pflegten vor den Verurtheilten hinzutreten und ihn um Verzeihung zu bitten, „da sie nur handeln müßten, wie es das Gesetz gebeut.“[2]

Die Knechte setzen den Verurtheilten nun auf den Stuhl und binden ihm die Arme rückwärts fest, schlingen auch eine Binde um die Augen und binden das Haar auf, wenn es nicht abgeschnitten worden ist. Vorher hat der Meister schon den Hals des Sünders entblößet. Während dessen spricht der Nachrichter zum Volke: „Ich gelobe den hier befindlichen N. N., einen Mörder, der verurtheilt ist, von Rechtswegen zu köpfen, daß er es nicht mehr thun soll.“

Letzteres war die alte gebräuchliche Formel, noch in der Mitte vorigen Jahrhunderts üblich. – Nach dieser Ansprache grüßt der Henker mit dem Schwerte und tritt zu dem Verurtheilten, ruft ihm Muth zu und unter dem Zurufe des Priesters „Herr Jesu, dir leb’ ich, Herr Jesu dir sterb’ ich“ fällt das Haupt. Ist der Nachrichter ein Meister in seiner Kunst, so schlägt er mit einer Hand, die linke Handfläche auf den Kopf des Verurtheilten legend, oder seine Haare fassend. Wo keine Blutbühne war, kniete der Missethäter vor einem Sandhaufen. Ebenso wenn die Hinrichtung im Felde oder Lager geschah. Sobald die Execution vorüber ist, stützt sich der Henker auf sein blutiges Schwert und rufet dem Richter zu:

„Herr Richter, habe ich recht gerichtet, wie Urtel und Recht spricht? wie Urtel und Recht gegeben hat? wie es der arme Mann verschuldet hat?“

Antwortet der Richter. „Ja, Du hast recht gerichtet, wie Urtel und Recht spricht.“

Antwortet der Henker: „Das danke ich Gott und meinem Meister, der mich diese Kunst gelehrt.“ Zum Schluß thut er eine Vermahnung an das Volk, daß Jedermann sich hüten möge unter seine Hände zu kommen. Die Knechte bestreuen unterdessen den Platz mit Sägespähnen und unter Absingung eines Liedes legen sie die Leiche des Gerichteten in den Armensündersarg.

  1. Dieselbe Ceremonie fand auch bei den gemauerten Hochgerichten, den sogenannten Rabensteinen statt, oder wenn auf gemauerte Unterlagen die höheren Balkengerüste gesetzt wurden.
  2. Diese Ceremonie stammt aus England. „Dorten,“ sagt ein alter Berichterstatter, „müssen die Scharfrichter Standespersonen richten, wobei sie oft masquiret sind, und bitten sie um Verzeihung.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_619.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)