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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

das jetzt der Familie Osten anhaftete und sich von dieser auch auf ihn zu übertragen begann.

„Osten muß Hanna um Verzeihung bitten und das Unrecht, das er ihr zugefügt, soweit es möglich ist, dadurch gut zu machen suchen, daß er sich der Unglücklichen annimmt und ihr eine sorgenlose Existenz sichert,“ sprach er, als der Voigt schwieg. „In diesem Sinne werde ich mich für das arme Geschöpf verwenden.“

„Steuerbord! Laßt abfallen!“ rief in demselben Moment der Voigt den Knechten zu und erfaßte mit kräftiger Hand selbst die Steuerpinne; denn gerade vor durch den zerfließenden Nebel strich, die rothbraunen Segel wie die Flügel eines Raubvogels am Schaft seines Mastes ausspannend, ein Ewerschiff und drohte mit der Smak zusammen zu rennen. Der kräftige Handdruck des Voigtes, den Capitain Krahn sogleich unterstützte, als er, sich wendend, die Gefahr erblickte, verhinderte zwar einen vollen Zusammenstoß beider Fahrzeuge, ein Streifen aber war nicht zu vermeiden. Dabei brach die eine Segelstange des Ewers und ward gegen den Mast der Smak geschleudert, in dessen Tauwerk sie sich verwickelte.

Wie immer bei solchen Unfällen entstand sogleich am Bord beider Fahrzeuge ein starker Lärm, und herüber hinüber rief man sich harte Worte zu. Dabei erkannte man sich an den Stimmen.

„Du bist es, Vater?“ sprach der Capitain, das Steuer wieder mit fester Hand regierend. „Seid ihr Alle wieder auf freien Füßen?“

„Alle, Moritz!“ klang es zurück vom Bord des Ewers. „Leg’ um und lass’ uns heimkehren! Es hat sich wunderbar gefügt, daß der im Spiel gewonnene Jakobsthaler zur Ermittelung des Diebes und dieser wieder zur Sühne alten Unrechts führte, über das Alle, die davon wußten im alten Lande, längst schon Gras gewachsen glaubten.“

Capitain Krahn befahl den Knechten, die Segel der Smak zu wenden; dann steuerte er Backbord, um das Fahrzeug genügend von dem Ewerschiffe zu entfernen, und geräuschlos stromabwärts segelten beide Fahrzeuge der Heimath wieder zu, die sie vor der Morgendämmerung glücklich erreichten.




10.

Am Nachmittage desselben Tages war im Baumhofe Osten’s eine zahlreiche Gesellschaft um den Tisch des vornehmen Zimmers versammelt, und es herrschte die ungebundenste Fröhlichkeit. In der Mitte des großen Tisches fiel Dortchen durch den farbigen Glanz ihrer reichen und kostbaren Kleidung und das Glück, das jetzt ihr liebliches Antlitz verklärte, Jedem in die Augen, und zog auch in der That die Blicke Aller auf sich. Neben ihr saß der Capitain Moritz Krahn, der vor wenigen Stunden seiner Braut zum zweiten Male die „Echte“ überreicht hatte. Dieser fehlte nicht der uralte Jakobsthaler, dem der Fluch, er sei entwendetes Gut, nicht mehr anklebte.

Gegenüber dem glücklichen Brautpaare finden wir den Baumhofsbesitzer Heinz Osten zwischen seiner Frau und der blinden Hanna Moll. Letztere trägt die dunkle Kleidung, welche im alten Lande die Wittwen anlegen. Außer den silbernen Knöpfen an den Handgelenken der weiten Aermel gewahrt man keinen blinkenden Schmuck an der gealterten Frau. Dagegen schlingt sich um den Hals der Mutter Dortchens eine Schnur großer, unregelmäßig geformter Bernsteinstücke, und um die Taille eine mehrere Ellen lange silberne Kette, welche der aus Hamburg anwesende Goldarbeiter auf einige hundert Thaler nur an Silberwerth taxirt.

Zur Linken Hanna Moll’s und neben den Brüdern der Braut sitzt, wohl gekleidet, ein junger Mensch von etwa zwanzig Jahren, in dem wir denselben Heiny wieder erkennen, welcher vor Jahr und Tag von der blinden Frau in den Baumhof geschickt wurde, damit er ihr ein genau beschriebenes Kästchen hole, mit dem wir ihn später auch wirklich zurückkehren sahen.

Osten ist still, aber heiter. Sein helles Auge sagt’s Jedem, daß kein Geheimniß mehr seine Seele belastet. Ist es ihm doch gelungen, durch ein sonderbares Zusammentreffen verschiedener Umstände eine unüberlegte Handlung vergangener Tage zu sühnen, insofern es Sterblichen überhaupt gestattet ist, begangenes Unrecht wieder gut zu machen.

Ein Gespräch unter vier Augen mit seiner treuen Hausfrau hat dieser die ganze Vergangenheit Osten’s enthüllt, die ihr bis dahin ein sorgsam bewahrtes Geheimniß gewewen war. Am Schlusse dieser lange dauernden Unterredung ließ Heinz Osten Hanna Moll und deren Sohn Heiny eintreten.

„Denke, es sei eine ältere Schwester, die ferne von uns im Auslande gelebt hat,“ sprach er. „Sie liebte mich aufrichtig und leidenschaftlicher, als ich glaubte. Aus Liebe zu mir ist sie unglücklich gewesen lange Jahre, bis Noth und Liebe die ihres Augenlichtes Beraubte in die Heimath zurück trieb. Sie zog Erkundigungen über mich ein und versuchte sich mir zu nähern. Es gelang aber nicht, weil sie unseren Frieden hätte stören müssen, wenn sie sich mir zu erkennen gab. Da beschloß sie, mir im Geheim einen empfindlichen Schlag beizubringen. Das Gerücht, unser ältester Sohn werde sich bald verheirathen, trieb sie an, die einst ihr überreichte Echte uns heimlich zu entwenden. Nur diese Echte, die sie für ihr rechtmäßiges Eigenthum hielt, suchte sie. Weil aber der übrige Schmuck in dem selben Kästchen mit den alten Silberthalern lag, war sie gezwungen auch diesen uns mit zu entfuhren. Hanna setzte nämlich voraus, ich würde mich in dem Augenblicke, wo ich den an mir begangenen Raub entdeckte, sogleich ihrer erinnern, nach ihrem Schicksale mich erkundigen und sie aufsuchen. Denn daß ich die entwendete Echte wieder zu erhalten mich bestreben und selbst schwere Geldopfer dafür bringen werde, setzte sie voraus. Im Besitz unseres Schatzes begab sich Hanna mit Heiny, den wir von heute an als unsern Sohn betrachten wollen, nach Hamburg, um dort das Kommende in stillster Zurückgezogenheit abzuwarten. Das Gerücht von der baldigen Verlobung unseres ältesten Sohnes bestätigte sich aber nicht, und der Raub blieb unentdeckt. Da warfen Angst und Sorge die Unbemittelte auf’s Krankenlager, und in der höchsten Bedrängniß ward sie genöthigt, um das Leben fristen zu können, einen Theil der Kostbarkeiten des Ebenholzkästchens zu – versetzen!“

Osten schwieg bewegt. Die dadurch entstehende Pause benutzte der Goldarbeiter Ulfsen, der jetzt auch vor Allen die Verpflichtung hatte, zur Erklärung des noch Unklaren einige Worte beizufügen.

„Die Krankheit Hanna’s ließ deren Sohn den Tag versäumen, an welchem das Pfand wieder eingelöst werden sollte,“ sagte er. „In Folge dieser Versäumniß hielt der Pfandleiher sich zu dem Verkauf der verschiedenen Kostbarkeiten berechtigt. Er kam zu mir, bot sie mir an und bemerkte, daß bei ihm Auction abgehalten werde; da ich den Preis, den er dafür verlangte, sehr billig gestellt fand, ward ich bei dieser ihr Eigenthümer. Auf welche Weise einige Zeit nachher der Jakobsthaler, den ich seines schönen Gepräges wegen einzuschmelzen mich nicht entschließen konnte, in die Hände des älteren Krahn überging, ist ebenso bekannt, wie alles Folgende, das sich an diesen neuen Wechsel des Besitzers der seltenen Münze knüpfte. In dem ärgerlichen Streite, welcher vor wenigen Tagen alle dabei Gegenwärtigen in Haft brachte, müssen wir jetzt einen glücklichen Zufall erblicken. Durch ihn kamen wir mit Heiny zusammen, der sich durch den Verkauf der wenigen Silberknöpfe, welche Hanna von allen ihren Werthsachen noch übrig geblieben waren, verdächtig gemacht hatte, und durch das scheue Wesen, das schon bei der ersten an ihn gerichteten Frage ganz von ihm Besitz nahm, diesen Verdacht noch verstärkte. Der Pfandleiher und Heiny erkannten sich gegenseitig. Es kam zu Erklärungen, die uns schnell Licht gaben und dem Besitzer dieses schönen Grundstückes Anlaß gaben, sich großmüthig zu beweisen. Heiny ward durch ihn frei; ich machte mir ein Vergnügen daraus, den noch vorhandenen Inhalt des Ebenholzkästchens dem rechtmäßigen Besitzer wieder zurückzugeben, und so zur Sühne einer alten Schuld nach besten Kräften das Meinige beizutragen.“

Osten war aufgestanden. Er flüsterte zuerst seiner Frau leise einige Worte in’s Ohr, welche diese durch eine herzliche Umarmung erwiderte. Dann ruhte seine Hand lange in der der blinden Hanna, die mit bebender Lippe die Worte: „ich vergebe Alles, nur verstoße mich nicht zum zweiten Male!“ stammelte.

„Du bist meine Schwester, und Heiny ist mein Sohn.“ entgegnete Osten. „An Dortchens Hochzeitstage werde ich ihn allen Gästen als den Aeltesten, der meinen Namen trägt, vorstellen.“

Der wackere Baumhofsbesttzer hielt Wort. Der Trauungstag Dortchens mit dem Capitain Moritz Krahn war auch für Heiny und dessen blinde Mutter ein Tag der Freude und Ehre. Beide wurden an ihm in ihre Rechte eingesetzt.

Als spät am Abend die junge Frau sich zum ersten Male in der prächtigen, farbenreichen Landestracht der jungen Hausfrauen den fröhlichen Hochzeitsgästen zeigte, auf dem zierlich geformten

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