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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

hervortretender Zug im Ideenkreise der siegreichen Völker, daß sich für sie die eigentliche Rückkehr der alten guten Zeit, ja selbst der Freiheit, mit der Rückkehr ihrer alten Fürsten identificirte, mochten dieselben vorher so unbeliebt gewesen sein, so wenig zur Wiedererlangung ihrer Throne geleistet haben, als sie wollten.

Wie viel mehr mußte dies in Preußen der Fall sein, wo man die guten Eigenschaften des gedemüthigten Königs wahrhaft schätzte, ihn liebte und, vor der Hand wenigstens, alle seine beim Durchfechten des großen Kampfes an den Tag gelegte Unschlüssigkeit und Schwäche ignorirte.

Auch hätte zu jener Zeit noch die alte Hyder Zwietracht kein Haar ihres Satansmutterkopfes zu zeigen wagen dürfen, die später so frech und niederträchtig das Haupt erhob, daß sie sogar die Helden in Feld und Cabinet, die Deutschlands Freiheit mit ihrem materiellen und moralischen Herzblute erkauft hatte, als mißliebige Personen von den Stufen des Thrones verdrängte, den sie gerettet hatten und der, von ihren Schultern getragen, einer der ersten Europa’s hätte werden können.

Gerade in den Tagen, wo Weber in Berlin ankam, waren russische Truppen daselbst einmarschirt, und in der Person der schönen, drall uniformirten glänzenden Garden des Kaiser Alexander, deren Officiere von den Berliner Damen fast alle für ebenso schön und liebenswürdig, wie ihr unwiderstehlicher Kaiser und Herr war, erklärt wurden, sollte die Anhänglichkeit an den mächtigen Bundesgenossen gefeiert werden, sobald der König zurückgekehrt sein würde, zu dessen hochfestlichem Empfange die ganze Bewohnerschaft der Residenz aus vollem Herzen bereits Vorbereitungen zu treffen und dieselbe zu schmücken begann.

Alle Berühmtheiten des Kriegs, der Diplomatie, der Kunst und Wissenschaft, die ganze Aristokratie der Geburt, des Geldes und der Stellung strömte zu den bevorstehenden Festen, um den König unter den Ersten begrüßen zu können, nach Berlin zurück. Die Stimmung war festlich, der Ton gehoben, eine heitere Menge wogte durch die Straßen und erfüllte Theater, Concertsäle und öffentliche Locale, die Herzen waren frohen und liebevollen Eindrücken geöffnet und zu enthusiastischen Kundgebungen geneigt.

Es konnte daher kaum einen Moment geben, wo Weber, um bedeutsame Anregungen zu erhalten und durch Liebe und Anerkennung gehoben zu werden, glücklicher nach Berlin hätte kommen können. Gleich den ersten Abend nach seiner Ankunft empfing er, den sein unbeachtetes Wandeln in Prag fast glauben gemacht hatte, er sei von der Welt vergessen, überraschende Beweise von dem guten Andenken, das man ihm in den geistig am höchsten stehenden Kreisen Berlins bewahrte. Er ging, um seine musikalischen Freunde versammelt zu finden, nach der Singakademie, wo eine glänzende Versammlung, 300 Mitglieder und eben so viel Zuhörer, unter denen Blücher, Prinz Georg und andere Sterne der Zeit, beisammen waren, und trat in einer Pause hinein. Da sah ihn Lichtenstein, eilte auf ihn zu, umarmte ihn, dann Wollank, dann Rungenhagen, dann die Seebolds – Einer rief es dem Andern zu, daß er da sei, alle Freunde verließen ihre Plätze, man umdrängte ihn händeschüttelnd, Fremde ließen sich ihm bekannt machen, und ehe er sich’s versah, mußte er bemerken, daß er der Mittelpunkt einer frohen Menge sei, die der, welche Blücher selbst umstand, an Zahl kaum etwas nachgab, und daß der alte Zelter grimmige Gesichter schnitt. – Am andern Morgen setzte sich der erhebende Eindruck fort, als er zum Bankier Beer (Meyerbeer’s Vater) eintrat, der eben die Waisenkinder speiste und mit einer Gesellschaft von 80 Notabilitäten der Kunst bei Tafel saß. Die Mama Beer flog auf ihn zu, umarmte ihn mit dem Ausrufe: „Unser Weber!“ vor allen Kindern und Gästen und rief, als Letztere in Beifall ausbrachen: „Nicht wahr, er darf nicht wieder fort?“ Die beiden Romberg’s und Rhode, die er hier traf, begrüßten ihn auf’s Herzlichste und boten ihm bereitwilligst ihre Dienste bei seinem Concerte. War hier überall sein Empfang auszeichnend, so war er rührend, liebevoll im Kreise seiner „Baschkiren“.[1] Gern, Jordans, Kielmann, Lichtenstein, Wollank, Gubitz fand er wieder und nur das Grab eines einzigen, seines theuren Flemming, hatte er zu besuchen.

Er schreibt über seinen Empfang in Berlin an seine Braut Caroline Brandt:

„Ich kann nicht leugnen, daß diese enthusiastische, beinahe übertriebene Verehrung meiner Arbeiten, und diese herzliche Aufnahme von allen Seiten mich recht aufgeregt und meinem Geiste einen neuen Anstoß und Schwung gegeben hat, und ich hoffe recht viel zu leisten und neue Lust und Kraft zur Arbeit mitzunehmen. Der Gedanke ist mir innig wohlthuend, wenn ich so manchmal hoffen kann, daß meine Lina recht stolz auf ihren Carl sein könnte.“

Dieser Schöpferdrang erhielt in Berlin selbst, trotz des Anliegens seiner Freunde, gleich am Platze eine größere, auf die Zeit Bezug habende Arbeit zu liefern und so mit einem Schlage das ganze Terrain zu erobern, noch keine bestimmte Form, wohl aber eine bestimmte Richtung durch die Kraft der neuen Ideen und Empfindungen, welche die sich vor Weber entrollende Welt in ihm erregte. Zum ersten Male fühlte der bis dahin nur im Königreich des Schönen heimische Künstler sich politisch als Deutscher, zum ersten Male erwärmten die Begriffe von Freiheit, Vaterland, Heldentod, Bürgertugend, Tyrannenhaß seine Seele, und gewanen bald eine so intensive Kraft in ihm, daß sie auf eine Zeit lang alle anderen künstlerischen Motive in den Hintergrund drängten und ihn mit allem Feuer den Stoff suchen ließen, in dessen künstlerischer Gestaltung er seine Wärme für diese Ideen, die sehr bald die Gestalt von glühendem Enthusiasmus annahm, austönen lassen könnte.

Diesem Enthusiasmus, der in seiner directen Beziehung zu den positiven Interessen der Außenwelt zu viel Heterogenes von Weber’s ganzem Kunstdenken hatte, um dauernd dasselbe zu beherrschen, verdanken die unsterblichen Freiheits-Sturm- und Dranglieder ihre Existenz, die einige Monate später entstanden, auf dem Boden des preußischen Enthusiasmus von 1814 gewachsen sind und bald, alle politischen Lieder seiner Vorgänger verdunkelnd, die Herzen der deutschen Jugend entflammten. Sie haben unzweifelhaft nicht wenig dazu beigetragen, die Liebe zur Freiheit und das Gefühl für Völker- und Manneswürde im deutschen Volke heimisch zu machen. Diese Lieder waren es auch, die Weber’s Ruf nicht allein in Ruhm umwandelten, sondern ihm auch eine ehrenvolle Stelle unter den Männern erworben haben, die in dichter, Schulter an Schulter geschlossener Phalanx, von Ulrich von Hutten bis Schlosser und Uhland, geistige und materielle Sclaverei bekämpften und das deutsche Volk sich seines Werthes bewußt machten.

Diese Lieder, die Producte einer fast momentanen Stimmung und Richtung, reihten ihn, den treuen Diener und guten ruhigen Bürger, dem sogar fast vielleicht zu viel Respect vor Fürstenrang und hoher Stellung beiwohnte, aber auch, wunderlicher Weise, für immer unter die den Fürsten nicht sympathischen Individualitäten und, in den Augen der Rückschrittspartei, in die Glieder der Volksführer und Stimmungslenker ein, mit denen er eigentlich niemals Beziehungen pflog, obgleich er aus Jugend und Volk jederzeit unwillkürlich eine fast magnetische Anziehungskraft geübt hat.

Der König von Preußen kehrte in seiner verdrießlichen Weise, alle liebevollen Absichten seiner Residenzbürger kreuzend, mehrere Tage vor der bestimmten Zeit, am 5. August, früh in aller Stille nach Berlin zurück, nachdem ihm schon York, Bülow, Tauenzien, Hardenberg und andere Herrliche vorangeeilt waren, und brachte dadurch alle Festordner in die empfindlichste Verlegenheit.

Trotz der Webern gewordenen trefflichen Aufnahme stellten sich doch der Aufführung der „Sylvana“, die er beabsichtigte, sehr wesentliche Hindernisse entgegen, zu deren Hinwegräumung sich Anselm Weber, dem, wie Carl Maria sich ausdrückt, „beim Gedanken an seine (Carl Maria’s) Anstellung in Berlin schon der Angstschweiß auf der Stirne stand,“ nicht gerade sehr beeifert zeigte. Iffland lag im Sterben, der neue Intendant war noch nicht ernannt, eine Commission verwaltete interimistisch die Bühne, es geschah daher in den königlichen Theatern gerade nur so viel, daß sie nicht geschlossen zu werden brauchten, und die Aufführungen gingen weniger exact und nachlässiger denn jemals. Weber schreibt darüber: „Die hiesigen Vorstellungen wollen mir gar nicht recht schmecken. Der dritte Act von „Fanchon“ ging sehr schlecht, und ich wollte nicht rathen, daß bei uns solche Lücken entständen.“ Dazu kamen Festspiele und Freitheater für die fremden Truppen, so daß an ein festes Arrangement für die fast ganz neu einzustudirende Oper nicht zu denken war.

Indeß ließ Weber den Jubelstrom beim wirklichen öffentlichen Einzuge des Königs am 7. August, die Festvorstellungen in den beiden Theatern, die im Opernhause in einem Prologe von Kotzebue und einem militärischen Ballete, „die glückliche Rückkehr“ betitelt, im Nationaltheater in Himmel’s „Fanchon“ bestanden (!), an sich

  1. Eine kleine musikalische Gesellschaft.
    D. Verf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_601.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)