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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

war nicht sogleich möglich, dem Lieutnant Müller, der sich auf dem rechten Flügel befand, Nachricht davon zu geben. Die Oberjäger Bellermann, Fallenstein, v. Nostiz, Ackermann, Ribbeck und Förster erhielten indeß das Ganze in bester Ordnung; letzterer, obgleich verwundet, verließ das Gefecht nicht.

Bei Wiederkehr der Besinnung erkannten wir, daß hier für’s Erste nichts weiter zu thun sei, als unsere Geschütze in Sicherheit zu bringen. Das Bataillonsfeuer der Feinde war so hageldick, daß wir nicht im Stande waren, auch nur ein einziges von den Pferden der Bespannung, welche in der Nähe standen, ganzbeinig zu entführen. Einige Wagehälse krochen auf dem Bauche bis an den Pferdestall heran, allein die verwundeten Thiere waren so wild gemacht oder stürzten todt nieder, daß es aufgegeben werden mußte, hier Beutepferde zu machen. Sobald wir die Kanonen nur erst bis an den Abhang hatten, rollten sie von selbst die Anhöhe hinab, und dort fand sich bald die nöthige Mannschaft zur fernerweitigen Abführung. Der Oberjäger Ackermann übernahm es, die von den Lützow’schen Jägern genommene Haubitze gegen anmaßliche Eroberungsgelüste anderer Truppentheile zu schützen und bis zu dem commandirenden General zu geleiten.

Mir war plötzlich bei dem Jubeltanz um das Geschütz der Hülferuf unseres armen Trommelschlägers wieder in’s Gedächtniß gekommen, und nur dunkel schwebte mir vor, daß Renz mich mit den Worten festgehalten: „Herr Lieutnant, ich bin ein Mädchen.“ Ich stürzte zurück nach der Stelle, wo ich noch manchen andern Freund hatte fallen sehen. Um Renz fand ich einen unserer Aerzte beschäftigt; eine Kartätschenkugel hatte ihm den Schenkel zerschmettert; man hatte ihm den beklemmenden Waffenrock geöffnet; der schneeweiße Busen verrieth in pochenden Schlägen das jungfräuliche Heldenherz. Kein Laut der Klage kam über ihre Lippen, um die noch sterbend ein beseligendes Lächeln schwebte. Das heldenmüthige Mädchen war Eleonore Prohaska, 21 Jahre alt, aus Potsdam gebürtig. Unter unsäglichen Leiden, welche sie standhaft und mit Ergebung ertrug, entschlief Leonora am 5. October in Dannenberg. Ein Bericht von da vom 7. meldet: „Heute Morgens 9 Uhr wurde die Leiche der in der Schlacht an der Göhrde verwundeten Eleonore Prohaska zur Erde bestattet, welche als Jäger im Lützowschen Freicorps unerkannt ihren Arm aus reinem Patriotismus der heiligen Sache des Vaterlandes geweiht hatte. Gleich einer Jeanne d’Arc hat sie muthvoll gekämpft den Kampf für König und Vaterland. Trauernd folgten dem Sarge, der von ihren Waffenbrüdern getragen wurde, das hannöversche und russisch-deutsche Jägercorps, der Oberst Graf Kielmannsegge nebst sämmtlichen Officieren. Der königl. preußische Grand maitre de la Garderobe, Minister und außerordentliche Gesandte Graf de Groote hatte sich ebenfalls eingefunden. Eine dreimalige Gewehrsalve rief der vom Sturme des Krieges geknickten Lilie den letzten Gruß nach in das Grab. –

Als dem Könige der Bericht über das Gefecht an der Göhrde vorgelegt wurde, erklärte er: „es werde von ihm auf die Erhaltung des ruhmwürdigen Andenkens der für König und Vaterland in den Tod gegangenen Eleonore Prohaska Bedacht genommen werden.“

Von dem, was dafür geschehen, hat nichts verlautet; dafür ist es unserm Friedrich Rückert gelungen, dem Mädchen aus Potsdam ein unvergängliches Denkmal zu setzen in seinem allbekannten Preisgedicht auf die deutsche Heldin.

Wir schließen dieses Lebensbild mit einem Sonett, desen jetzt noch lebender Verfasser, Herr Dr. Friedrich Helms in Harburg, am 17., 18. und 20. September 1813 in Dannenberg am Schmerzenslager der tödtlich Verwundeten stand, „und“ – schreibt er – „was im Sonett ausgesprochen ist, war der Inhalt ihrer wenigen Worte zu mir.“ Es lautet:

Bleich lag sie, auf das Lager hingetragen,
Als sie durchbohrt ein feindliches Geschoß.
Sie litt so still, als meine Thräne floß;
Ich seufzte schwer, ihr Mund war ohne Klagen.

Das matte Auge zu mir aufgeschlagen,
Durch das ein weiches Lächeln sich ergoß:
„Was trauerst Du,“ sprach sie, „mein Kampfgenoß?
Uns blieb der Sieg, der Feind ist ja geschlagen!“

Zu trösten, forscht’ ich nach der Heimath Lande,
Nach Eltern und Geschwistern; ob die Bande
Der Liebe sie gelöst mit leichtem Muth.

Da strahlt ihr Blick, von Thränenglanz durchleuchtet:
„Mein Volk war meine Lieb!“ Ihr Auge leuchtet:
„Dem Vaterland gehört mein Herz und Blut.“




Wie und wo Körner’s „Leyer und Schwert“ von C. M. v. Weber componirt wurde.[1]

Von M. M. v. Weber.

– – Hier (in Berlin im August 1814) trat Weber in eine gewaltig bewegte Sphäre von Anschauungen und Gefühle ein, die in dieser Form, Größe und Allgemeinheit durchaus neu für ihn waren. Die große Volkserhebung vom Jahre 1813 hatte ihre Früchte getragen, die Nation hatte durch eigenen Willen, eigene Opfer, eigene Kraft, den großen Unterdrücker besiegt und stand, wie ein Löwe, ihrer Stärke bewußt, auf dem Siegesfelde. In Prag hatte man den Sieg der Armeen Sr. Majestät des Kaisers Franz über die Sr. Majestät des Kaisers Napoleon gefeiert, in Berlin feierte man den Triumph des deutschen Volkes über seine Dränger, der Freiheit über das Joch, des Nationenrechts über die Eroberergewalt. Dort hatte man sich in Gala gratulirt und dann pflichtschuldigst illuminirt, hier loderte die Begeisterung über die große That in hellern Flammen als alle Illuminationen der Welt! Vom kleinen Straßenjungen an, der seit dem Mai 1814 in Berlin militärisch stramm ging, bis zu dem Generale des aus dem Volke hervorgegangenen Heeres füllte nur ein Gefühl Aller Herzen: Selbsterkämpfter Sieg, Kraft, Freiheit!

Alles was nicht dies zum Hintergrunde, zur Basis hatte, erschien von untergeordneter Bedeutung.

Leben, Kunst, Wissen, Alles mußte sich darauf beziehen, wenn es Gewicht in den Augen des Volkes erhalten, Aufmerksamkeit erwecken sollte.

Wer wollte noch Darstellungen der heiligen Geschichte, des Mittelalters, der süßen Perioden des Friedens sehen, wer noch Liebeslieder singen oder sanfte Weisen hören?

Wie hätten sich so zarte Töne in dem Getöse von Jubel und Kriegslärm lautbar machen sollen? Auf der Bühne wie im Leben hallte es von Waffenrasseln; Schlachtbilder wurden gemalt, und Kriegs-, Sieges- und Freiheitslieder componirt. An letzteren besonders konnte den ebenso musikalischen als patriotischen Berlinern kaum genug producirt werden.

Hoffmann’s „Lobgesang an den Retter Deutschlands“, Methfessel’s Kriegslieder mit Chören, B. A. Weber’s „Patriotischer Rundgesang“, Gottfried Weber’s „Morgenlied der Freien“, des am 8. Mai verstorbenen Himmel „Kriegslieder der Deutschen“ hatten unter der Masse der in dieser Richtung auftauchenden Werke ehrenvolle Aufmerksamkeit erregt, ja selbst des alten Opitz von Boberfeld „Vaterlandslied“ war hervorgesucht und von Max Eberwein componirt worden.

Vor Allem aber legte sich die musikalische Bearbeitung der patriotischen Lieder des jungen deutschen Sängers nahe, der durch seinen poetischen Tod bei Gadebusch auch auf diese an sich schon bedeutsamen Gesänge ein erklärendes Licht geworfen hatte.

Theodor Körner’s Gedichte wurden, von Krufft, Bezwarzowsky, Grund, Gottfried Weber und Anderen componirt, allenthalben gesungen, wo Männer, die Töne im Munde hatten, beisammen saßen.

Berlin hatte z. Z. als Weber daselbst (3. August 1814) ankam, den Charakter des Lagers eines siegreichen Heeres. Glänzende Truppenmassen kamen und gingen, von den Einwohnern begrüßt und entlassen, die Geselligkeit bewegte sich nur um die Kämpfer und feierte sie, und die Rückkunft des Königs wurde als der Glanzpunkt des Siegesfestes erwartet.

Es war ein wunderlicher, damals allenthalben in Deutschland

  1. Ein für die „Gartenlaube“ etwas modificirter Abschnitt aus der demnächst bei Ernst Keil erscheinenden Biographie Carl Maria’s von Weber, von M. M. von Weber.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_600.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2019)