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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

angefeuert ward, besiegt, geknechtet, beschimpft darniederlag. Und die Macht der Idee war es, die Idee der wahren Vaterlandsliebe, des Mühens um und für die höchsten Güter des Menschendaseins im Volks- und Familienleben, welche – neu entzündet durch die Freiheitslieder unserer Dichter, durch die philippischen Reden unserer Wissenschaftslehrer – unserem Volke die Hoffnung neu erweckte, daß es doch noch seine Dränger wieder von sich zu schütteln fähig sei, und welche aus der Hoffnung den Muth, und aus dem Muth die Zuversicht des Angriffs erzeugte.

Das aber war das Schöne und Große jener Tage von 1813, daß damals die vom Himmel aus zurückgekehrte Idee die Menschen aller Stände entzündete, daß damals auch die Geringsten und Schwächsten selbst von der Liebe zum Vaterlande erfüllt und getrieben wurden, ein Jeder von seiner Stelle aus groß und edel zu handeln. Denn auch die Frauen blieben diesmal nicht theilnahmlos und thatlos zurück. Nicht aber nur auf Liebesgaben, Pflege der Kranken und Verwundeten, freudiges Ertragen der Trennung von Vater, Bruder, Gatten und Verlobten beschränkten sie sich damals, nein, einige wurden von der allgemeinen Begeisterung so weit fortgerissen, daß sie unerkannt in die Reihen der Kämpfer traten und heldenmüthig an der Seite der Tapfersten fochten, sich weihend und bereit zum Tode für’s Vaterland.

Den ersten Platz nun unter diesen nimmt ein das Soldatenkind aus Potsdam.

Eleonore Prohaska, die achtzehnjährige Tochter eines invaliden Unterofficiers zu Potsdam, verließ heimlich das elterliche Haus und trat unerkannt in das Lützow’sche Freicorps als Jäger zu Fuß ein. Kein Aufruf der Fürsten, kein Schlachtbericht der Feldherren kann für den Geist, welcher damals alle Herzen im preußischen Volksstamm durchglühte und von da ab bald in alle anderen deutschen Stämme übergehen sollte, ein so wahrhaftes Zeugniß ablegen, als zwei Briefe dieser Heldenjungfrau; sie gehören der Geschichte an und verdienen aufbewahrt zu werden.


Eleonore an ihren fünfzehnjährigen Bruder.
„Aus unserm ersten Bivouac 1813.

Lieber Bruder!

Nun habe ich Dir noch etwas ganz Neues zu erzählen, worüber Du mir aber vorher versprechen mußt, nicht böse zu sein. Ich bin seit vier Wochen schon Soldat! Erstaune nicht, aber schelte auch nicht; Du weißt, daß der Entschluß dazu schon seit Anfang des Krieges meine Brust beherrschte. Schon zwei Briefe von Freundinnen erhielt ich, welche mir vorwarfen, ich sei feige, da Alles um mich her entschlossen ist, in diesem ehrenvollen Kriege mitzukämpfen. Da wurde mein Entschluß unumstößlich fest; ich war im Innern meiner Seele überzeugt, keine schlechte oder leichtsinnige That zu begehen; denn sieh nur Spanien und Tyrol, wie da die Weiber und Mädchen handelten! Ich verkaufte also mein Zeug, um mir erst eine anständige Manneskleidung zu kaufen, bis ich Montirung erhalte; dann kaufte ich mir eine Büchse für 8 Thaler, Hirschfänger und Czako zusammen 3½ Thaler. Nun ging ich unter die schwarzen Jäger; meiner Klugheit kannst Du zutrauen, daß ich unerkannt bleibe. Ich habe nur noch die große Bitte, daß Du es Vatern vorträgst, so vortheilhaft wie möglich für mich. Vater wird mir nicht böse sein, glaube ich, denn er erzählte ja selbst Skizzen von den Spanierinnen und Tyrolerinnen, wobei er meinen Entschluß deutlich aus meinem Gesichte sehen konnte. Ich habe aus Vorsicht meinen Namen geändert; wenn Du mir schreibst, so unterzeichne Dich mit meinem angenommenen Namen als mein Bruder, denn Du weißt, Briefe haben mancherlei Schicksale. Wir exerciren, tirailliren und schießen recht fleißig, woran ich sehr viel Vergnügen finde; ich treffe auf 150 Schritt die Scheibe.

Lebe recht wohl, guter Bruder! Ehrenvoll oder nie siehst Du mich wieder. Grüße Vater und Karolinen tausendmal; sage ihnen, versichere sie, daß mein Herz stets gut und edel bleiben wird, daß keine Zeit, Schicksal oder Gelegenheit mich zu Grausamkeiten oder bösen Handlungen verleiten soll und daß stets mein Herz treu und bieder für Euch schlägt. Mit ewiger Liebe

Deine

Leonora genannt August Renz, freiwilliger Jäger bei dem Lützow’schen Freicorps im Detachement erstes Bataillon.“




„Das Datum weiß ich nicht, wir haben keinen Kalender und man merkt es gar nicht, wenn Sonntag ist.

Lieber guter Bruder!

Uns ist gesagt, daß wir schon in drei Tagen vor den Feind kommen; es ist also vielleicht das letzte Mal, daß ich mit Dir, geliebter Bruder, noch eine Unterhaltung habe; ich bin zwar sehr müde, wir haben in fünf Tagen wohl an dreißig Meilen zurückgelegt und morgen früh um 2 Uhr marschiren wir schon weiter; aber trotz aller Müdigkeit will ich mich diesen Abend nur mit den Meinigen beschäftigen. Es ist mir noch immer geglückt, ganz unerkannt zu bleiben; kann ich nicht ein Quartierbillet für mich allein bekommen, so ist gewöhnlich der kleine Arnold von fünfzehn Jahren mein Camerad. Im Bivouac hab’ ich mein Lager immer für mich allein. Wegen meiner Stimme necken sie mich; da habe ich mich für einen Schneider ausgegeben, die können auch eine feine Stimme haben. Zu thun giebt es im Bivouac auch genug, denn außer mir ist nur noch ein einziger Schneider bei der Compagnie, ein bucklicht altes Männchen, den sie nirgends als Soldat haben annehmen wollen; aber unser Hauptmann sagte: im Kriege sieht Gott nicht den Buckel, sondern das Herz an, wenn das nur auf dem rechten Flecke sitzt. Mit dem halt’ ich zusammen und nähe und wasche fleißig, und weil ich mich auf die Küche verstehe, mögen sie mich alle gern.

Lieber guter Bruder, Du sagtest mir einmal, ich müßte Dein Herz nicht zu dem eines Weibes herabstimmen, sondern in Dir allen Muth zu erwecken suchen. Sieh, Lieber, so denke ich jetzt von Dir und habe die feste Ueberzeugung, daß Du, Vater und Karoline mir nicht böse seid, und so gehe ich, durch diesen Gedanken gestärkt, voll Muth und Entschlossenheit in den Kampf. Komme ich einst glücklich wieder, dann, guter Bruder, wird meine Freude überschwenglich sein; komme ich nicht wieder zurück, dann sage ich Dir in diesem Briefe das letzte Lebewohl, dann, theurer guter Bruder, lebe ewig, ewig wohl. Ich kann vor Thränen nichts weiter sagen, als daß ich auch noch im Tode treu und ewig mit Liebe sein werde Deine Dich ewig liebende Schwester

Leonore genannt August Renz.




Von den Einzelerlebnissen unserer jungen Heldin in ihrem Feldzuge vom Frühjahre bis Herbst 1813 liegt in bis jetzt dem Druck überlieferten Mittheilungen so gut wie gar nichts vor; auch werden sich dieselben auf die herkömmlichen Strapazen und Gefahren, wie sie fast jedem Soldaten im Felde beschieden sind, mehr oder minder beschränkt haben. So viel wissen wir jedoch darüber, daß August Renz von Anfang bis zu Ende sich als einer der bravsten Soldaten des ganzen Freicorps bewährte. Derjenige ihrer Cameraden, welcher ausführlicher die Umstände zu Papier gebracht, unter denen Eleonore ihren Tod auf dem Schlachtfelde fand, hat uns auch darüber Einiges berichtet.

Dr. Friedrich Förster (der Geschichtsschreiber der Freiheitskriege), der als Jenaischer Student mit vielen Commilitonen unter die Lützower gegangen, und der auch, bereits zum Lieutenant avancirt, dem Gefecht bei der Göhrde mit beiwohnte, ist es, welchem wir überhaupt die einzigen näheren Angaben über Eleonore Prohaska und insbesondere ihren Tod in dieser Action verdanken.

Eine ausführliche Schilderung des Treffens liegt außer dem Zwecke dieser Erinnerungsblätter, und wir verweisen dafür auf Beamish, Beitzke, Lange und Förster selbst. Hören wir hier nur den Bericht über den Tag des 16. September, so weit er unsere Heldin angeht.

Der Befehl über das zu Ende des Waffenstillstandes im August 1813 an der Niederelbe versammelte Armeecorps des Nordheeres war dem russischen Generallieutenant Grafen Wallmoden, einem gebornen Hannoveraner, zugetheilt worden; er stand unter dem Oberbefehl des Kronprinzen von Schweden, doch war sein Verhältniß ein bei weitem selbstständigeres als das der preußischen Generale, welche sich in der unmittelbaren Nähe der Schweden befanden.

Am 14. September versammelte General Wallmoden etwa 13,000 Mann und vollführte, durch Lützow’s und Tettenborn’s Zureden bewogen, damit einen der glücklichsten Streifzüge, welche in diesem Kriege unternommen worden sind. Unter diesem Streifcorps befand sich auch der Major Lützow mit 500 Mann zu Pferde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_598.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)