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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Rechtskunde für Jedermann.

4. Das Testament.

„Das Testament zu machen verabsäumen und verweigern nicht nur Solche, die in Folge blödsinnigen Aberglaubens fürchten, daß durch die Niederlegung des Testaments ihr Tod eiligst heraufbeschworen werde, sondern auch die, welche (meistens aus Bequemlichkeitsliebe) meinen, daß es bei ernstlichem Krankwerden schon noch Zeit genug sei, auf Anrathen des Arztes die letzten Verfügungen zu treffen.

Es ist unverständig und gewissenlos, ja oft geradezu sündhaft, wenn Jemand, der vor seinem Tode zum Wohl seiner Angehörigen oder anderer Mitmenschen noch Bestimmungen und Verfügungen zu treffen hat, diese nicht bei Zeiten trifft und zwar so, daß sie rechtskräftig sind. Wenn es Manche für hinreichend halten, ihren letzten Willen nur im Schubkasten für die Angehörigen zu hinterlassen, so irren sie und können in den meisten Fällen, zumal wenn unmündige Erben mit in Betracht kommen, die Vollziehung ihres Willens total vereitelt sehen.“ (Bock’s Buch vom gesunden und kranken Menschen, Supplemente-Band 2, S. 207.)

Von der Wahrheit dieser Worte hat Verfasser schon oft sich überzeugt. Unter den vielen Testamenten, die er als Richter aufgenommen, ist kein einziges, welches der Testator bei gesunden Tagen errichtet, immer nur am Krankenbett hat er einen letzten Willen anhören und zu Protokoll nehmen müssen.

Wie gefährlich es aber ist, wo möglich bis zum letzten Augenblick mit der Errichtung seines Testamentes zu warten, mag nur ein Beispiel lehren.

Die Besitzerin eines großen Bauergutes – eine Wittwe – war erkrankt und hatte schleunigst ihren lange gereiften letzten Willen von einem Rechtscandidaten niederschreiben lassen. Sie hatte einen mündigen Sohn und eine fünfjährige Enkelin. Das Gut war über anderthalbhundert Jahre in ihrer Familie gewesen und sollte es ferner bleiben. Demgemäß hatte sie dasselbe für ihren Sohn bestimmt, ihrer Enkelin aber ein mäßiges, wenig mehr als den Pflichttheil betragendes großmütterliches Erbtheil in Geld ausgesetzt. – Auf Anrathen ihres Sachwalters sollte die Frau unverzüglich eine Gerichtsdeputation in ihre Wohnung kommen lassen, um das Testament gerichtlich niederzulegen. Die Krankheit hatte sich aber zum Guten gewendet, die Testirerin glaubte in den nächsten Tagen persönlich bei Gericht erscheinen zu können (wodurch sie einige Thaler ersparte), und – der Rath ihres Rechtsanwalts wurde nicht befolgt. Ein plötzlicher Rückfall warf die Frau wieder auf’s Krankenbett. In der ersten Bestürzung dachte man natürlich nur an den Arzt, und als die Wittwe einen Boten nach dem Gericht sendete und dieses zur schleunigen Abordnung einer Deputation ersuchen ließ, waren ihre körperlichen, mehr noch ihre geistigen Kräfte bedeutend im Abnehmen. – Kaum drei Stunden nach Absendung des Boten war Verfasser als Gerichtsdeputirter an Ort und Stelle. An das Krankenbett geführt, fand er die Frau bereits mit halbgebrochenen Augen, ihres Bewußtseins nicht mehr mächtig. Sie konnte daher als „verfügungsfähig“ nicht betrachtet und aus diesem Grunde das von ihr noch gar nicht unterschriebene Testament nicht angenommen werden. Die Frau verschied, ohne wieder zum Bewußtsein gekommen zu sein und ohne Testament, da das von ihrem Anwalt verfaßte zur gerichtlichen Niederlegung nicht gelangt und somit ungültig war. Der Nachlaß mußte, weil ein minderjähriger Erbe vorhanden war, gerichtlich regulirt werden, in Folge dessen das Gut zum Verkauf und – in fremde Hände kam. Von dem Erlös, überhaupt der ganzen Verlassenschaft erhielt der Sohn und die Enkelin je die Hälfte, und – der letzte Wille der Verstorbenen war total vereitelt.

Dergleichen Fälle kommen in Folge der Testamentsscheu und Nachlässigkeit leider sehr häufig vor, daher kann man nicht oft genug rathen: zeitig und ordentlich testiren.

Testiren! ja, was heißt das? Haben alle Leser der Gartenlaube einen klaren Begriff von dem Rechtsinstitut des Testamentes? sind sie sich bewußt, wer testiren kann, wer nicht? was zu einem gültigen Testament erforderlich ist? u. s. w.

Wohl nicht! Es ist eine traurige Erfahrung, daß das Volk von seinem Recht, insbesondere seinem Privatrecht nur wenig weiß, daß es über die im gewöhnlichen Leben und Verkehr vorkommenden Rechtsverhältnisse gar nicht unterrichtet ist.

Unser Jahrhundert ist das der Popularisirung aller Zweige der Wissenschaft. Nur die Rechtskunde hat man bisher in dieser Beziehung noch ziemlich vernachlässigt. Hier tappt das Volk noch arg im Dunkeln, und es dürfte kein undankbares Bemühen sein, in diese Finsterniß einige Streiflichter fallen zu lassen, die Rechtsinstitute, die im täglichen Verkehr vorkommen, ihrem Wesen nach dem allgemeinen Verständniß näher zu bringen.

Mit dem Tode einer Person erlöschen deren vermögensrechtliche Verhältnisse, Rechte und Verbindlichkeiten nicht, gehen vielmehr in ihrer Gesammtheit unmittelbar auf Andere über. Diese übergehenden Rechte und Verbindlichkeiten bilden die Erbschaft; die Grundsätze, welche den Eintritt in die Erbschaft einer Person regeln, sind das Erbrecht, und derjenige, der in die gesammten Vermögensrechte eines Verstorbenen eintritt, ist dessen Erbe.

Zur Beerbung eines Verstorbenen kann man auf dreifache Weise berufen werden, entweder 1. durch einen Erbvertrag, oder 2. durch ein Testament, oder in Ermangelung des einen oder anderen 3. durch das Gesetz.

Erbvertrag ist ein gegenseitiges Uebereinkommen über die künftige Verlassenschaft einer noch lebenden Person. Wer sich seinen Erben durch einen solchen Vertrag ernennt, ist in gebundenen Händen. Er kann zwar über sein Vermögen bei Lebzeiten noch frei verfügen, das einmal zugesicherte Erbrecht aber kann er dem Vertragserben einseitig, d. h. ohne dessen Zustimmung, nicht wieder entziehen, oder durch anderweitige letztwillige Verfügungen schmälern.

Das Gesetz beruft ganz bestimmte Personen – Kinder und Kindeskinder, Eltern und Voreltern, Seitenverwandte, Ehegatten – in bestimmter Ordnung und nach bestimmten Quoten zur Erbschaft.

Will daher Jemand durch Vertrag sich nicht binden, aber auch nicht die gesetzliche Erbfolge eintreten lassen oder noch andere Bestimmungen über seine Verlassenschaft treffen, z. B. Legate aussetzen, so muß er rechtzeitig ein Testament errichten.

Unter einem Testament – letztwillige Verfügung, letzter Wille – versteht man die freie, einseitige, jeden Augenblick widerrufliche Verfügung einer Person über ihr nach ihrem Tode vorhandenes Vermögen.

Fähig ein Testament zu machen sind alle Personen, welche zur Zeit der Testamentserrichtung handlungs-, willensfähig und ihren Willen gehörig verständlich zu machen im Stande sind. Taube, Stumme, Taubstumme und Blinde dürfen aber nur gerichtlich testiren, unter Vormundschaft gestellte Verschwender gar nicht.

Volljährig und selbstständig braucht der Testirer nicht zu sein. Die Fähigkeit zur Testamentserrichtung beginnt in den meisten Landen mit dem vollendeten 14. Jahre und bedürfen die, welche noch in väterlicher Gewalt oder unter Altersvormundschaft stehen, der Genehmigung des Vaters oder Vormundes dazu nicht.

Juristische Personen, d. h. Anstalten oder Vereine von Personen, denen vom Staat die Fähigkeit, Vermögensrechte zu haben, beigelegt ist, z. B. Stadt- und Landgemeinden, milde Stiftungen, Eisenbahngesellschaften, können zwar nicht ein Testament errichten, wohl aber in einem solchen als Erben eingesetzt oder sonst bedacht werden.

Um etwaigen Fälschungen vorzubeugen, dürfen Personen in einem letzten Willen, welchen sie für den Testirer verfaßt haben, oder bei dessen Errichtung sie als Zeuge oder Gerichtsperson betheiligt gewesen sind, sowie deren Verwandte weder als Erben eingesetzt noch als Legatare bedacht werden. Die Erbeinsetzung oder das Legat ist in solchen Fällen nur dann gültig, wenn der Testator noch in anderer Weise seinen Willen, diesen Personen etwas zuzuwenden, zu erkennen gegeben hat, z. B. die betreffende Verfügung selbst geschrieben oder eigenhändig unterschrieben, oder seine Genehmigung dazu vor besonderen Zeugen oder vor Gericht erklärt hat.

Wesentliches Erforderniß eines jeden Testamentes ist die Erbeinsetzung, d. h. die Ernennung einer oder mehrerer Personen, welche nach dem Tode des Erblassers in dessen gesammte Vermögensrechte und Verbindlichkeiten eintreten sollen.

Der Willkür einer dritten Person darf die Wahl der Erben nicht überlassen werden, der Testirer muß sie sich selbst ernennen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_590.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2021)