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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

diese entsetzlichen Stunden Eugen’s Adjutant Molostwow in seinem Tagebuche – verkündeten, daß wir durch unser leises Auftreten den schlummernden Löwen geweckt hatten. Vernichtung traf die Lebendigen, Zertrümmerung das Leblose. Siebzehn russische und fünf preußische Geschütze lagen in wenig Minuten zerschmettert auf der Erde und dem aus dem Gefechte zurückgebrachten, schwerverwundeten Oberst Reibnitz folgte der Haufen seiner flüchtigen Schaaren, vom siegestrunkenen Feinde hart und blutig gedrängt. Mit unerschütterlichem Muthe stand unsere übrige Linie, doch von Ueberraschung noch wie versteinert. Der Prinz äußerte hierbei: „Ich hatte es ja vorausgesagt!“

„Das kann uns aber nichts mehr helfen,“ fiel ihm Fürst Schachowskoy in’s Wort, „wir gehen alle zu Grunde, schon fährt die Artillerie ab!“

„Alles soll stehen bleiben!“ rief der Prinz, „nichts sich von der Stelle rühren, was noch stehen kann!“

Adjutanten flogen nach allen Richtungen, um diesen Befehl zu verkündigen, jedoch geschah dies mit Gefahr, von den demontirten Geschützen, die man aus dem Treffen zog, überfahren zu werden. Vergebens tobte ein furchtbarer Kampf um Wachau, dessen Besitz Russen und Preußen in mehrfachen Stürmen den Franzosen streitig zu machen versuchten. Ringsum war das Schlachtfeld mit Leichen besät, aber eine weit reichlichere Ernte hielt der grimmige Tod unter den in der Ebene Gewehr bei Fuß aufgestellten Schaaren des Prinzen von Würtemberg. Ein feuerspeiender Berg schleuderten die französischen Geschosse mit ihren eisernen Kugeln Tod und Verderben unter die Tapferen, die, gleich dem blauen und gelben Regiment Südermannland unter Gustav Adolph auf Lützens Ebenen, Mann neben Mann, wie sie im Leben bei einander gestanden, so jetzt entseelt das schreckliche Schlachtfeld bedeckten. In düsterem Schweigen, während Flintenkugeln ihn umsausten und die Kanonen mit ihren Geschossen die Erde neben ihm durchfurchten, durchritt der Prinz die furchtbar gelichteten Reihen seiner Kampfgenossen; es war eine trübe Musterung, und die Anfrage bei jedem Bataillone: „wie viel habt Ihr bereits verloren?“ wurde meist schweigend mit einem Blick auf die Menge Entseelter, die rings umher lagen, erwidert. Hier war es, wo der Oberst Galubzow zu ihm heransprengte und ihm mit ängstlichen Worten die seiner Batterie drohenden Gefahren schilderte; in demselben Augenblicke tödtete eine Kanonenkugel das Pferd des Prinzen und gleichzeitig das des Obersten und raubte dem danebenhaltenden Adjutanten, Lieutenant von Kursell, sowie einem preußischen Ordonnanzhusaren, das Leben. Sofort bestieg der Prinz ein neues Pferd, rief aber dem Obersten, der seine Batterie verlassen hatte, statt einen seiner Adjutanten zu senden, die mit etwas Spott vermischten Worte nach: „Sie sehen, Oberst, daß wir hier auch nicht auf Rosen wandeln!“

Allein es galt, noch Entsetzlicheres an diesem Tage mit felsenfestem Muthe zu bestehen. Um 3 Uhr Nachmittags verstummte plötzlich das Brüllen der feindlichen Kanonen, aber gleichzeitig vernahm man ein Gerassel wie von hunderttausend ehernen Ketten; die Erde erdröhnte unter dem Hufschlag von 8 bis 10,000 Rossen, die in Sturmeseile auf die gelichteten Schaaren des Prinzen Eugen heranbrausten. König Murat versuchte an der Spitze seiner Geharnischten in diesem welthistorischen Reiterangriff, das feindliche Centrum zu durchbrechen und zu zerschmettern; mit kalter Todesverachtung rief der Prinz in hastiger Eile die wenigen Truppen, die ihm noch verblieben waren, zu sich heran und warf sie kühn dem athemlos heraustürmenden Feinde entgegen. Wie grausig auch das jetzt beginnende Gemetzel war und wie viele der Tapfern auch unter den Säbeln und Lanzen der Feinde erlagen, dennoch wurde derselbe geworfen, und gleich mächtigen Klippen trotzten und widerstanden die Granitcolonnen des Prinzen der Fluthengewalt und behaupteten, als die Ebbe wieder eintrat, kühn und unbeweglich noch ihre früheren Plätze, sodaß ihre Erhaltung in dem tobenden Kriegssturm für ein Wunder gehalten werden mußte. Als die Nacht hereinbrach, sandte der Prinz seinen Adjutanten, Oberst von Wachten, zum General Barclay de Tolly, um ihm über die Verluste des Tages zu rapportiren. Von 10,000, die er am Morgen auf das Schlachtfeld geführt hatte, blieben ihm am Abend nicht viel über 2000 kampffähige Streiter. Barclay, der die Größe dieses Verlustes nicht glauben wollte, mußte von dem rapportirenden Oberst die bitteren Worte vernehmen: „Versagen Ew. Excellenz den noch Lebenden Ihre Theilnahme, so werden Sie beim Anblick unseres Schlachtfeldes die Todten überzeugen!“

Der Held von Wachau – bewahre dies im treuen Gedächtniß, mein deutsches Volk – war Eugen, Herzog von Würtemberg!


Wie schon früher bemerkt, ist es nicht unsere Absicht, einen bis in’s Einzelne gehenden Lebensabriß des Prinzen in diesen Spalten zu entwerfen. Obige Skizzen genügen sicher, dem Leser ein hellleuchtendes Bild von einem jugendlichen Heros zu liefern, den die antike Welt Griechenlands und Roms unter ihre Halbgötter versetzt haben würde, während die moderne Zeit ihm nur eine Fülle strahlender Orden reichte, mit denen er sein wundes, so oft auf’s Tiefste verletztes Herz bedecken sollte. Wir übergehen daher Eugen’s muthvollen Sturm auf Probstheida am 18. October 1813, die Treffen und Schlachten, in denen er während des Kriegszugs nach Frankreich zu Anfang des Jahres 1814 glänzte, wir erwähnen nur vorübergehend den überaus ruhmvollen Antheil, den er an der Eroberung von Paris genommen, und der ihm die Genugthuung verschaffte, zuerst an der Spitze von 1000 Mann in diese Hauptstadt, die sich noch vor Kurzem die erste der Welt dünkte, einzuziehen, das Stadthaus zu besetzen und die drei Monarchen von Oesterreich, Preußen und Rußland an der Barriere von Pantin zu empfangen.

Der Krieg war beendigt und der heißeste Wunsch des Prinzen, die Besiegung des einst so mächtigen Dictators Europa’s, erfüllt. Ebenso flüchtig verweilen wir bei Eugen’s späteren Waffenthaten während des Türkenkrieges, für welche ihn zwar der Kaiser Nikolaus mit schönen Redensarten und den Diamant-Insignien des St. Andreasordens belohnte, während er die in der Anciennetät dem Prinzen nachstehenden Generale Diebitsch und Paskiewitsch mit dem Obercommando in der asiatischen Türkei betraute und nachmals zu Feldmarschällen ernannte. Zwar trat die Versuchung oftmals an den Prinzen heran, die russischen Kriegsdienste zu verlassen – hatte ihn doch selbst Napoleon zu wiederholten Malen in die seinigen zu locken gestrebt – allein stets hinderte ihn das seiner Tante und mütterlichen Freundin, der Kaiserin Maria Feodorowna, gegebene Versprechen, den russischen Dienst nicht ohne ihre ausdrückliche Genehmigung zu verlassen. Da seine liebevolle Gönnerin aber starb, ohne ihn seines Wortes entbunden zu haben, so hielt er sich fortwährend an die russischen Fahnen gefesselt.

Dennoch nahm er nach beendigtem Kampfe mit Frankreich Urlaub auf unbestimmte Zeit und benutzte die ihm dadurch gewordene Muße, um nach seinem geliebten Carlsruh in Schlesien überzusiedeln. Hier beschäftigte er sich zunächst mit Studien über Politik, Staaten- und Militairorganisation, während sein reicher Geist sich in vielfachen poetischen Gestaltungen und musikalischen Compositionen übte. Hierhin führte er auch seine erste Gemahlin, die Prinzessin Mathilde von Waldeck (20. April 1817), der er in seinen Memoiren nachrühmt: „Diese herrliche Seele verdiente ihre Stelle in den Werken aller edlen Dichter, die weibliche Tugenden und Vorzüge besingen;“ allein schon nach acht kurzen Jahren wurde ihm auch dieses Glück durch den Tod der Prinzessin am 13 April 1825 entrissen. Eine zweite Ehe ging er am 11. September 1827 mit Prinzessin Helene von Hohenlohe-Langenburg ein, welche äußere Schönheit mit allen Vorzügen des Herzens vereinigte. Nach des Prinzen eigener Aeußerung war sie ein Musterbild einer herrlichen Frau für Jeden, der ihr nahte. Die Geburt einer Tochter, Prinzessin Agnes (geboren am 13. October 1835, nachmals vermählt mit Erbprinz Heinrich XIV. von Reuß-Schleiz am 6. Februar 1858) erhöhte noch im reichsten Maße das Glück des liebenden Paares, das fortan nur in der Ausübung häuslicher Tugenden und in stiller Zurückgezogenheit das schönste Ziel seines Lebens suchte und fand.

Im vertrauten Kreise mit Freunden und Waffengenossen bot die Erinnerung an eine glorreiche Vergangenheit manch lichtstrahlendes Bild, und nur zuweilen, wenn das Gespräch die Ereignisse des Jahres 1813 berührte, zeigte die Heldenstirne des Greises einige bald wieder entschwindende Falten, denn selbst die Alles mildernde Zeit vermochte nicht immer den Unmuth über absichtliche Zurücksetzungen und Intriguen zu verscheuchen. Am 16. Septbr. 1857 endete zu Carlruh ein sanfter Tod das ruhmgekrönte Leben des Prinzen.

Das deutsche Volk aber möge nie vergessen, daß es der aufopfernden Wirksamkeit des Prinzen Eugen von Würtemberg wenigstens bei drei Gelegenheiten ganz allein zu verdanken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_584.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)