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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

nationalen Zukunft, die Hoffnung und Sehnsucht von Millionen deutscher Herzen – das Alles sahen wir in diesem Momente in sich zusammenbrechen, und an seiner Stelle, wohin wir nur blickten, ein Chaos von Ungewißheit, von neuen Kämpfen, von Wirrsalen ohne Ende emportauchen.

In solcher Stimmung kamen wir in unsere Wohnungen zurück! Wir versammelten uns sogleich bei dem Präsidenten der Deputation. Die Aufregung war allgemein. Der Entschluß, sofort abzureisen, ward von den verschiedensten Seiten energisch kundgegeben. Der erhaltenen Einladung zur königlichen Tafel zu folgen, erschien Vielen nach solchem Vorgange rein unmöglich. Dennoch siegte – nach langer, lebhafter Debatte – die kältere Ueberlegung, daß in so großem und verhängnisvollem Momente jedes Gefühl persönlichen Unbehagens, selbst nach so berechtigter Erregtheit, schweigen und nur das Interesse der Sache, in deren Dienst wir ständen, den Ausschlag geben müsse. Wenn wir jetzt abreisten, so war jede Brücke der Verständigung zwischen Berlin und Frankfurt abgebrochen. Die Nachricht dieses scharfen Bruches, sobald sie in die Paulskirche kam, würde dort einen Sturm hervorrufen, dessen nicht zu berechnende Folgen die ohnedies so verwickelte Lage noch rettungsloser verwirren möchten. So ward endlich beschlossen, zu bleiben und Alles zu thun, was wir nur könnten – ohne unserer Verantwortlichkeit und der Würde der Nationalversammlung etwas zu vergeben – um, wenn möglich, den gefaßten Entschluß des Königs noch zum Bessern zu wenden. Der erste Entwurf einer Erklärung an das Staatsministerium, von drei damit beauftragten Mitgliedern verfaßt, ward von der Mehrheit zu mild und entgegenkommend gefunden; er sprach aus, daß und warum auf eine Revision der Reichsverfassung nicht eingegangen werden könne, machte auf die Gefahren des Vaterlandes aufmerksam, und ersuchte den König – unter Bezugnahme auf die officielle Erklärung der Regierung an die Kammern – die Führung der obersten Gewalt nach Maßgabe der Reichsverfassung zunächst wenigstens für seine und für die Länder derjenigen deutschen Regierungen zu übernehmen, welche die Reichsverfassung entweder schon anerkannt hätten, oder in nächster Zeit anerkennen würden. Die verschärfte Fassung, die Arbeit des Präsidenten Simson, war streng juristisch gehalten; sie constatirte einfach, daß „die Einladung, auf Grundlage der Reichsverfassung die auf ihn gefallene Wahl anzunehmen, in dem Augenblick als von dem König abgelehnt angesehen werden mußte, in welchem Se. Majestät Ihre Willensmeinung dahin zu erkennen gaben, daß die von der verfassunggebenden Reichsversammlung in zweimaliger Lesung beschlossene Verfassung überhaupt noch keine rechtliche Existenz und Verbindlichkeit habe, einer solchen vielmehr erst durch gemeinsame Beschlußnahme der deutschen Regierungen theilhaftig werden könne.“

Noch stand uns Peinliches bevor, zuerst das Diner in Charlottenburg, dann ein Besuch des Theaters, wozu wir von der Stadt als deren Gäste eingeladen waren. Der König zeigte sich bei den Gesprächen vor und während der Tafel, wie schon früh bei der Vorstellung der einzelnen Deputationsmitglieder nach der Audienz, scheinbar munter gelaunt, angeregt, sorglos, witzig; er schien den Ernst der Lage hinwegscherzen zu wollen. Von den mancherlei bezüglichen, auch wohl anzüglichen Bemerkungen, die er einzelnen Deputationsmitgliedern hingeworfen haben soll, und die alsbald mündlich und schriftlich circulirten, ist Vieles erfunden oder entstellt. Ein Wort, das er an den alten Arndt richtete, ward damals nicht verstanden, auch von Arndt nicht erklärt, hat aber später seine Erläuterung gefunden. „Sie sind also doch gekommen!“ sagte er zu demselben. Man weiß jetzt (aus der nach Arndt’s Tode veröffentlichten Correspondenz zwischen ihm und dem König), daß Arndt vor der Kaiserwahl schriftlich dem König wegen Annahme der Krone angelegen, der König aber schon damals, mit ehrenwerther Offenheit, seine Abneigung kund gegeben hatte, eine Krone anzunehmen, die ihm nicht von den Fürsten, sondern vom Volke geboten werde. Arndt hatte von diesem Bescheid niemals, so viel bekannt, etwas verlauten lassen; er mochte gehofft haben, der König werde doch vielleicht Angesichts der vollendeten Thatsache einer auf ihn gefallenen Wahl anderen Sinnes werden.

Gegen ein anderes Deputationsmitglied äußerte sich der König mit unverhohlenem Mißbehagen über den, eben damals, nach Ablauf des Waffenstillstandes von Malmoe, wieder begonnenen Krieg gegen Dänemark, doch fügte er, vielleicht weil er Erstaunen über eine solche Aeußerung in den Mienen des Angeredeten las, ein paar Worte hinzu, welche den Eindruck der früheren abschwächen sollten, indem sie die Schuld des Krieges auf Dänemark warfen.

Wir fanden in Charlottenburg eine Deputation der braunschweigischen Stände vor, welche gekommen war, um in deren Namen Vorstellungen wegen Annahme der Kaiserkrone und Wiederherstellung eines festen und geordneten Zustandes in Deutschland zu machen. Auch eine deutsche Regierung – leider nur eine, und zwar eine der kleineren – hatte sich beeilt, das Gewicht ihrer Stimme in gleichem Sinn in die schwankende Wagschale der Entscheidung zu werfen. Es war die Regierung des dem königlichen Hause von Preußen nahe verwandten Großherzogs von Sachsen-Weimar; der dirigirende Staatsminister von Watzdorf selbst war zu diesem Behufe nach Berlin gekommen.

Im Theater waren wir der Gegenstand achtungsvoller Begrüßungen und einer fortdauernden wohlwollenden Theilnahme von Seiten des zahlreich versammelten Publicums; nur leider hatten wir, in unsrer damaligen Stimmung, dafür wenig Sinn, für die Vorstellung selbst natürlich noch weniger. Wir entfernten uns, sobald es nur schicklicher Weise geschehen konnte, um der letzten Pflicht dieses so schweren und verhängnißvollen Tages zu genügen, dem Besuch einer Soirée beim Prinzen von Preußen, wozu wir gleichfalls eine Einladung empfangen hatten.

Die Eindrücke, die uns hier erwarteten, waren glücklicherweise von den bisherigen wesentlich verschieden. Der Prinz empfing uns mit großer Freundlichkeit, ließ sich die Einzelnen vorstellen und begann dann, während wir ihn in einem Halbkreise umstanden, ein allgemeines Gespräch. Mit einer militärischen Geradheit, welche uns nun doppelt wohlthat, ging er sofort auf die brennende Tagesfrage ein. Wir hielten mit dem lebhaftesten Ausdruck unseres Schmerzes über den so wenig tröstlichen Ausgang unserer Sendung nicht zurück. Der Prinz versuchte es, die Entscheidung seines Bruders zu rechtfertigen; er legte dabei den Accent auf die Nothwendigkeit einer freien Zustimmung der Fürsten, auf die moralische Unmöglichkeit, ein hohenzollernsches Kaiserthum auf anderm Wege, wohl gar mit Gewalt der Waffen, den übrigen deutschen Staaten aufzuzwingen. Wir bemerkten ihm dagegen, daß nicht dies für uns der entscheidende und unsere Hoffnungen zerstörende Punkt in der Antwort des Königs sei; die vorbehaltene Zustimmung der andern Regierungen würde ja wohl auf völlig friedlichem Wege, durch deren eigene patriotische Einsicht und durch das moralische Gewicht der öffentlichen Meinung, zu erlangen gewesen sein, sobald nur von hier aus die Annahme der Krone und der Reichsverfassung erfolgt wäre. Aber daß man an letzterer rütteln, daß man das Werk der Nationalversammlung wieder in Frage stellen, und damit diese selbst von der Stellung, welche sie kraft einer unabweisbaren Nothwendigkeit und zum Heil des Ganzen eingenommen, herabdrücken wolle – das sei es, was die Hoffnung auf Verständigung und die Aussichten auf die Zukunft der Nation so schmerzlich trübe. Der Prinz schien diese Auslegung der königl. Antwort entschieden als eine irrthümliche zurückzuweisen; ein Bruch mit der Nationalversammlung sei durchaus nicht beabsichtigt, vielmehr erkenne man die Bedeutung der Gesammtvertretung Deutschlands und des von ihr gemachten Anerbietens vollkommen an. Das Gespräch ward bald darauf von ihm abgebrochen, indem er ging, um seine Gemahlin einzuführen, damit auch diese uns empfange. Die Prinzessin richtete erst einige allgemeine Worte an uns, dann sprach sie mit den Einzelnen, wie diese ihr, Einer nach dem Andern, vorgestellt wurden. Ueberall vom Nächsten und Persönlichsten anhebend, kam sie immer und immer wieder auf das Allgemeine zurück, welches uns Alle und, wie man deutlich sah, sie selbst ausschließlich beschäftigte und in innerster Seele ergriff. Sie gab sich keine Mühe, ihre tiefe Erregung zu verbergen; mit bewegter Stimme ermahnte, beschwor sie uns, nicht vorschnell die Hoffnung aufzugeben, oder den Weg der Verständigung abzubrechen. Was wir erstrebten, sei ja so schön, so groß, so nothwendig, daß es zum Ziel kommen müsse und nicht aufgegeben werden dürfe. Wir Alle waren von diesem Empfange auf’s Tiefste bewegt; es war das erste Mal, daß wir an solcher Stelle einem so klaren Verständniß und einem so warmen und wahren Gefühl für die große nationale Aufgabe begegneten.

Auch dem jungen Prinzen wurden wir, ohne förmliches Ceremoniell, beiläufig Einer und der Andere vorgestellt; er zeigte sich als ein junger Mann von einfachem, anspruchslosem Wesen, der um öffentliche

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