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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

des kaiserlichen Wohlwollens erfreuen, denn bereits in der Nacht vom 23. zum 24. März 1801 fand in Folge einer Palast-Verschwörung die Ermordung des unglücklichen, geisteskranken Kaisers Paul I. statt. Eugen’s kaiserliche Pflegerin ward durch diese Frevelthat auf das Tiefste gebeugt und traute sich nicht die Kraft zu, ihren Liebling gegen die vielleicht über ihr ganzes Haus hereinbrechenden Stürme schützen zu können; sie sandte ihn daher alsbald wieder heim zu seinen Eltern nach Carlsruh, um ihn in besseren Tagen wieder an den kaiserlichen Hof und an ihr Herz zurückzurufen. Hatte aber schon das gewaltige Ereigniß mit seinen blutigen Gräueln den Charakter des heranreifenden Jünglings gestärkt und gestählt, so fand dies in noch reicherem Maße zu Carlsruh statt, wo die glückliche Wahl seiner Eltern den preußischen Sec.-Lieut. Baron Ludwig von Wolzogen, Bruder des Schwagers von Schiller, zur ferneren Ausbildung Eugen’s berief.

Dieser Treffliche half mit scharfem Auge dem Unbeholfenen und fast Zierlichen ab, welches noch Eugen anhing und ihn wohl nie ganz verließ, denn noch in späteren Jahren, als bereits der Siegeslorbeer der Schlachten seine Stirn zierte, pflegten ihn seine Treuen in harmlosem Scherze mit dem Namen „Jüngferchen“ zu bezeichnen. Jetzt erst widmete er sich mit allem Fleiße an der Hand seines neuen Lehrers den militärischen Studien, und vorzugsweise beschäftigten sich Beide in vielfachen Gesprächen über die möglichen Vortheile eines Vertheidigungskrieges bei genauer Kenntniß des Terrains. Ohne in diesen Ideen auf bestehende Verhältnisse Bezug zu nehmen, unterhielten sich Beide, Lehrer wie Schüler, noch nach Jahren brieflich über diesen Gegenstand, der namentlich in Eugen’s Seele tiefer und tiefer Wurzel faßte und ihn bewog, lange bevor sich noch eine Aussicht zu dem französisch-russischen Feldzug von 1812 darbot, dem russischen Kaiser ein Memorial zu übersenden, in welchem er mit klaren Worten einen prämeditirten Rückzug mit Aufopferung aller nicht haltbaren Stellen vertheidigte. Er, der deutsche Fürst, war demnach der Erste, welcher dem russischen Kaiser den nachmals so hoch gepriesenen Feldzugsplan von 1812 anrieth und ihn auch später mit ausführen half.

Nach vollendeten Studien zu Erlangen, das der blutjunge Student in seinem 14. Lebensjahre besuchte, und nach mehrfachen Reisen ward der Prinz im Herbst des Jahres 1806 zum activen Dienst in der russischen Armee zurückberufen, fand unter Bennigsen bei Pultusk die erste Gelegenheit, seine Sporen zu verdienen, zeichnete sich während des Winterfeldzugs und auch im Sommer 1807 durch Muth und Tapferkeit in vielen Treffen und Schlachten aus, so daß er im November 1807 zum Brigadecommandeur ernannt wurde. Schon damals verehrten seine Truppen in ihm ein strahlendes Vorbild persönlicher Tapferkeit, ruhiger Ueberlegung und demnächst entschiedensten Handelns. Jeder Einzelne hing mit Innigkeit und aufopfernder Liebe an dem Prinzen, weil er das Wort „Selbstschonung“ gar nicht kannte, alle Strapazen mit seinen Untergebenen theilte und durch seine wahrhaft väterliche Fürsorge für Letztere Alle zu dankbarer Anerkennung verpflichtete.

Das Jahr 1812 war angebrochen. – Napoleon’s Augenmerk war, wie Eugen selbst berichtet, seit dem Frieden mit Oesterreich auf Spanien und Portugal gerichtet, wo ihm Wellington als gefürchteter Gegner reichlich zu schaffen machte. Dieser Krieg absorbirte denn auch die Hauptkräfte Napoleon’s, und er bemerkte, daß er dort, vor dem erneuerten Anbinden mit den östlichen Mächten, nicht zu Rande kommen könne. Da er voraus wußte, daß er diese nicht zu Athem kommen lassen dürfe und daß sie ihm im Herzen unmöglich geneigt sein konnten, so glaubte er sich wohl schon seit dem Jahre 1810 in die Nothwendigkeit versetzt, den Kampf auf beiden Enden Europas wieder aufnehmen zu müssen. Hier galt es bei ihm die Frage des „Seins oder Nichtseins“. Als Napoleon konnte er nicht still stehen, beim Vorschreiten mußte er auf Feinde stoßen und beim Rückschritt untergehen. Es konnte die Frage sein, ob Europa bei seiner Alleinherrschaft gewinnen oder verlieren werde: kein Zweifel aber blieb, daß er nach jener Herrschaft streben müsse, wenn er nicht selbst den Hals brechen wolle. Darum gab er denn auch, trotz des ihm lästigen Kampfes in Spanien, seine östlichen Aggressionen nicht auf. Er hatte nach und nach ganz Italien unter seine Botmäßigkeit versetzt, Holland, das ihm als eigenes Königreich noch nicht genug Ressourcen bot, mit Frankreich vereinigt, und die Grenzen dieses letzteren in Deutschland weit über den Rhein hin und rücksichtslos auch über das Land des mit dem russischen Kaiserhause verwandten Herzogs von Oldenburg ausgedehnt.

Auch Kaiser Alexander benutzte nach dem Waffenglück, das ihm im Kampfe gegen Schweden zu Theil geworden, und vertrauend auf den in Aussicht stehenden Frieden mit der Türkei die durch die Uebergriffe Napoleon’s sich ihm darbietende Gelegenheit, die Verletzungen des Tilsiter Vertrages als Repressalie zu gebrauchen und dem durch die Continentalsperre bis zum Aeußersten darniederliegenden russischen Handel durch Verständigung mit England und Wiederöffnung seiner Hafenplätze endlich, bevor es zu spät war, emporzuhelfen. Napoleon fühlte dies sehr wohl und betrieb daher seine ungeheueren Kriegsrüstungen mit unbeschreiblichem Eifer. Die maßlosen Zornesworte, in welchen er sich am 15. August 1811 gegen den russischen Gesandten, Fürsten Kurákin, in öffentlicher Versammlung ergoß, ließen jede Hoffnung auf Verständigung schwinden, die Maske war abgeworfen, der Würfel gefallen. Mit einer ungeheuren Heeresmacht von mehr als 600,000 Streitern rückte Napoleon in der ersten Hälfte des Jahres 1812 an die russischen Grenzen vor und überschritt dieselben, ohne die sonst übliche Kriegserklärung vorauszuschicken. Bekannt ist das russische Vertheidigungsystem, welches, wie bereits erwähnt, schon früher vom Prinzen Eugen vorgeschlagen und jetzt von Wolzogen und General v. Phull detaillirt worden war. Leser, welche sich hierüber genauer unterrichten wollen, verweisen wir auf die treffliche Auseinandersetzung in Eugen’s Memoiren S. 300.

Bereits im April 1812 war Prinz Eugen als Commandeur der 4. Division beim 2. russischen Corps bestätigt worden. In dieser Würde nahm er, mehrerer kleineren Treffen und Gefechte nicht zu gedenken, zunächst ruhmvollen Antheil an der blutigen Schlacht bei Smolensk am 17. August 1812. Von Neuem bewährte sich auch hier des Prinzen Feldherrntalent und unbeugsamer Muth. Denn schon hatten die Franzosen mehrere Vorstädte mit stürmender Hand genommen, als es dem Prinzen, der mit seiner Division hinter dem Oberbefehlshaber Barclay de Tolly hielt, auf seine Bitten gestattet wurde, mit seinen tapferen Truppen vorzurücken, die Angreifenden aus mehreren den Russen Gefahr drohenden Stellungen zurückzuwerfen und bis zum Abend Stand zu halten. Nur der Befehl seines Vorgesetzten konnte ihn zum Rückzuge bewegen. Und was war der Lohn für diese ausharrende Tapferkeit? Der St. Wladimirorden 2. Classe, während Eugen zwei Tage darauf zum Generallieutenant befördert wurde, nachdem er bei Gedeonowo als Commandeur der Arrièregarde mit äußerster Bravour die verfolgenden feindlichen Heeresmassen zurückgeworfen und hierdurch Barclay’s Armee vor sicherer Vernichtung bewahrt hatte.

Seit dem Schlachttage von Smolensk reiht sich in dem Leben Eugen’s Heldenthat an Heldenthat, und unsere reiche deutsche Sprache würde den Vorrath ihrer ehrenden Beiwörter bald erschöpfen, wollten wir in diesen wenigen Spalten jede einzelne Waffenthat des Prinzen mit der ihm gebührenden wohlverdienten Auszeichnung schildern. In der mörderischen Schlacht von Borodino am 7. September 1812 wurden ihm fünf Pferde unter dem Leibe erschossen; inmitten des furchtbarsten Feuerregens von Eisen und Blei, welcher Tausenden seiner tapfern Kampfgenossen das Leben kostete, hielt er unerschrocken Stand, keine feindliche Kugel traf sein theueres Leben, und unversehrt verließ er, ein neuer Achilles, das leichenbedeckte Schlachtfeld. Wo in den Annalen der russischen Kriegsgeschichte die Schlachttage von Tarutino am 18. October, Wjäsma am 3., Rjawka am 15., Merlino am 16., Larionowo am 17., Luschitza am 18. Nov. 1812 und Kalisch am 14. Februar 1813 a. A. m. verzeichnet stehen, da sollte auch hochherrlich vor Allen der Heldenname des Prinzen Eugen von Württemberg glänzen. Aber schon machten Neid und Intrigue sich geltend, und der bescheidene Feldherr, auf dessen Haupt andere Regierungen die reichsten Ehren und Würden gehäuft hätten, besaß während dieses ruhmvollen Feldzuges oft nicht so viel, um sein fadenscheiniges, durchlöchertes Waffenkleid durch ein neues ersetzen zu können.

(Schluß folgt.)

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