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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Nach beendigten Einkäufen erklärte Osten den Seinigen, daß sie nunmehr „nobel“ leben und den übermüthigen Hamburgern zeigen wollten, wie es einem rechten Ohllander auf eine Hand voll Geld nicht ankomme. Es dunkelte bereits, und Heinz Osten schlenderte mit Frau und Kindern so lange am Jungfernstiege umher, bis er die Firma entdeckte, von der ein lebenslustiger Freund und Landsmann viel Interessantes erzählt hatte. Es war ein berühmter Delicatessenkeller, in dem man vortrefflich, nur etwas theuer speiste.

Der reiche Ohllander suchte sich das bequemste Sopha in dem brillant erleuchteten Speisesalon aus, dessen Wände zur Hälfte fast mit den kostbarsten Spiegeln bekleidet waren, und ließ auftragen, was sein Herz wünschte. Rotwein feinster Sorte, der theuerste Rheinwein, der auf der Karte notirt war, und der beste Champagner fehlten dem splendiden Mahle nicht, und es währte nicht gar lange, so kam das lebhafteste Gespräch in Gang, da bald auch Landsleute, die ein gleicher Instinct in den Keller führte, sich zu der Familie Osten gesellten.

Es war ein Baumhofbesitzer[WS 1] aus dem benachbarten Mittelkirchen mit seinem erwachsenen Sohne, der als Capitain auf einem Hamburger Schooner fuhr. Vor weinigen Tagen erst war der kräftige, schlanke Mann, in dessen schmalem Gesicht ein paar kluge und feurige Augen glänzten, aus Bombay zurückgekehrt. Sein heiteres Wesen und seine anmuthigen Erzählungen gefielen allgemein. Am aufmerksamsten aber hörte doch Dortchen zu, die mit thautropfenklaren blauen Himmelsaugen zu dem jungen Capitain aufblickte und dabei zwei Reihen der tadellosesten Zähne zwischen den rosigen Lippen sehen ließ.

„Einen lustigen Spaß muß ich noch erzählen,“ hob Moritz Krahn nach einem kleinen Intermezzo, das durch Anstoßen und Trinken entstanden war, von Neuem an, Vater Osten, der heute kein Maß zu kennen schien, sein leeres Kelchglas hinhaltend. „Auf der letzten Reise bin ich den Engländern hinter einen Pfiff gekommen, den wir ihnen ablernen müssen. Ich habe mir auch schon vorgenommen, mit meinem Rheder zu sprechen. Schon aus Dankbarkeit muß er mich und dadurch mittelbar alle Ohllander unterstützen!“

„Was?“ fiel Osten ein. „Dein Rheder soll uns im alten Lande unterstützen? Das ist nicht nöthig, und das werde ich nicht dulden!“

Er schlug mit der Faust so hart auf den Tisch, daß es laut durch den Keller dröhnte.

„Hört mich nur an, Vater Osten, und Ihr werdet Euern Sinn bald ändern,“ fuhr Capitain Krahn fort. „Seit zwei, drei Jahren haben wir uns Alle den Kopf zerbrochen, was den Englischman wohl bewegen kann, uns Centnerweise die unreifen Kirschen abzukaufen. Unsere Abnehmer in anderen Ländern und zumal die Hamburger machten uns das erste Mal Molesten, als wir trotz des großen Kirschensegens ihre Bestellungen doch nicht ausführen konnten. Jetzt weiß ich, wo die unreifen Kirschen bleiben.“

„Nun, wo denn?“ fragte der Vater des Capitain, der bei einer so wichtigen Geschäftsangelegenheit nicht weniger interessirt war, als Osten. Letzterer sah Moritz Krahn nur ungläubig an und leerte gemächlich sein Glas.

„Nach Indien schafft sie der speculative Englischman,“ fuhr der Capitain fort, „zuvor aber thut er sie in schön geformte Büchsen, zuckert sie tüchtig und verkauft sie den vornehmen Indern als etwas ganz Apartes für enorme Preise. Sobald wir das Geheimniß der Zubereitung erfahren, brauchen wir Englands Vermittelung nicht, um uns für unreife Kirschen von den indischen Nabobs Hände voll Gold bezahlen zu lassen. Dazu gerade soll mein Rheder, der mit allen Engländern zusammenhält, mir behülflich sein. Eine gute Provision können wir Jedem gern im Voraus zusichern.“

„Du bist ein Goldjunge, Moritz,“ sprach Osten und stieß mit dem gereisten jungen Manne, der eine so wichtige Neuigkeit aus dem fernen Indien mit nach Hause brachte, lebhaft an. „Wir müssen uns näher kennen lernen! Wann löschst Du Deine Ladung und wann musterst Du ab?“

„Innerhalb der nächsten acht Tage.“

„Dann kannst Du gleich in meinem Ewer „Fiducia“ die Lühe hinauffahren und auf ein paar Tage Wohnung bei mir nehmen. Ich denke, Dein Vater sagt nicht Nein.“

Osten’s Augen glitten dabei mit schlauem Blick von seiner schönen Tochter auf den Capitain und von diesem zu dem alten Krahn, an dessen grauen Wimpern sie fragend hängen blieben. Dieser bewegte beistimmend das grau gesprenkelte Haupt und blickte Osten wo möglich noch schlauer an. Beide Männer verstanden einander, rückten sich näher und vertieften sich in ein leise geführtes Gespräch, während die Kinder Osten’s sich lebhaft mit dem Capitain unterhielten, der indeß nur Augen für das schöne, rosige Dortchen zu haben schien.

Als die Gesellschaft ziemlich spät das interessante Kellerlocal verließ, war zwischen Osten und dem alten Krahn in Bezug auf eine Verbindung ihrer Kinder bereits Alles in’s Reine gebracht. Es fehlte nichts weiter, als daß der Capitain in landesüblicher Weise um das junge Mädchen warb, daß dieses seine Zusage vor Zeugen gab und das herkömmliche Verlobungsgeschenk aus der Hand des Bräutigams entgegennahm.

„Zehnttausend harte Thaler gebe ich dem Kinde baar mit,“ flüsterte Heinz Osten dem Vater des Capitain auf dem Heimwege in’s Ohr. „Ich habe Glück gehabt, seit ich früheren Torheiten entsagte und dem Willen meines verstorbenen Vaters mich fügte. Es fiel mir anfangs freilich schwer, und ich machte mir auch manchmal Gedanken darüber. Später, als ich mich frei wußte, verlor sich das, und mit dem Glücke zog auch ein heiterer Sinn in mir ein. So soll’s bleiben, will’s Gott, und damit ich mir selbst keine Vorwürfe zu machen habe, denke ich bei Zeiten auch an die Zukunft meiner Kinder. Schade, daß Du keine Töchter hast! Meine Jungen sind nicht die Schlechtesten, und was arbeiten heißt, verstehen sie.“

Krahn brummte schmunzelnd, drückte dem Vater Dortchens nochmals zustimmend die Hand und verließ ihn endlich unfern des Binnenhafens, wo ihre Wege sich theilten, mit großer Zufriedenheit. Beide Ohllander betrachteten ihre getroffene Abrede wie ein glücklich abgeschlossenes Geschäft, das allen dabei Betheiligten reiche Früchte tragen müsse.




3.

Moritz Krahn beeilte sich nach Kräften, um der erhaltenen Einladung Osten’s bald folgen zu können. Er hatte Dorchen so tief in die wunderbar sanften blauen Augen gesehen, daß er die schöne Landsmännin Tag und Nacht nicht mehr vergessen konnte, und daß er sich in der großen Stadt, wo es ihm auch an zahlreichen Bekannten nicht fehlte, trotz der vielen Geschäfte doch langweilte. Kaum war das Nöthigste besorgt und er selbst mit dem Rheder bezüglich der Abrechnung und der Uebernahme eines anderen Fahrzeuges im Reinen, als er das gesegnete Land zwischen Este und Schwinge aufsuchte.

Im Baumhofe Osten’s hatte man den Capitain schon erwartet und daher Vorkehrungen zu freundlichem Empfange des gern gesehenen Gastes getroffen, den man als Freund begrüßen und als einen engen Verwandten des Hauses nur wieder gehen lassen wollte.

Mit Dortchen hatte die Mutter unter vier Augen ein längeres Gespräch gepflogen, um das Herz der Tochter zu erforschen. Was ihr dabei von Seiten des jungen Mädchens mitgetheilt ward, beruhigte sie vollkommen und trug nur zur Erhöhung der Freude bei, an welcher alsbald alle Mitbewohner des Baumhofes aufrichtigen Antheil nahmen. Die accurate Hausfrau begann sofort die vornehmen Zimmer sauber aufzuräumen, die purpurroten, steiflehnigen Stühle mit den reich vergoldeten Zierrathen und den brokatenen, an allen vier Ecken mit Goldtroddeln versehenen Kissen abzustäuben, und Alles zum Empfange eines Ehrengastes herzurichten. Später kramte sie in den riesengroßen, auf Rollen stehenden, bunt bemalten Holztruhen, in denen die reichen Linnenschätze aufgespeichert lagen, um eine Menge der feinsten Gewebe aus denselben auszuwählen. Osten aber saß rechnend und Geld zählend ein paar Tage lang in seinem Dielenzimmer und ließ sich in diesem hochwichtigen Geschäfte nur stören, wenn seine persönliche Gegenwart zum Abschlusse eines Handels mit fremden Obstaufkäufern nicht entbehrt werden konnte.

Das sich rasch verbreitende Gerücht, Heinz Osten werde demnächst die Verlobung seiner Tochter mit einem der tüchtigsten Seeleute des Obstlandes feiern, sprach wahr. Osten aber hatte nicht so große Eile mit der Verheirathung seines Kindes, daß er über diese das rein Geschäftliche vergessen oder seinen eigenen Vortheil hintangesetzt hätte. Denn der Ohllander ist bei all seinen guten Eigenschaften, die er besitzt, doch ein großer Egoist, und als solcher schlau und berechnend in allen seinen Unternehmungen. Sein volles

Vertrauen gewinnt nur der, welcher ihm verständig zu schmeicheln

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bauerhofbesitzer
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_563.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)