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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Vater ein reicher Mann ist? Weißt Du, was in der Bibel steht? „Der Segen der Eltern baut den Kindern Häuser, aber der Fluch der Eltern reißt sie nieder!“ Wir, Deine Mutter und ich, hatten einander nicht gesehen, als unsere Eltern ausmachten, daß wir ein Paar werden sollten. Wir gehorchten, wie sich’s ziemt, und sie gaben uns ihren Segen. Dieser Segen hat uns reich gemacht.“

„Die Mutter war .. nicht glücklich,“ wagte Martha einzuwerfen.

Ich erschrak über ihre Kühnheit und fürchtete schlimme Folgen davon.

Michel Gerber sprang in der That auf, als er diese Worte hörte, als würde er von dem Zorne, den sie in ihm erregten, emporgeschnellt. Er faßte einen vor ihm stehenden Stuhl mit beiden Händen, hob ihn empor und stieß ihn mit solcher Gewalt wieder nieder, daß er in Stücke zersprang.

„Mädchen,“ sagte er und seine Augen funkelten, „erinnere mich daran nicht. Sie hat’s gesagt, war aber doch eine reiche Frau, die reichste weit und breit, und konnte Alles haben, was sie sich wünschte. Ich meinte, solche Reden, wie ich von ihr gehört, hätten ihr Ende gefunden in ihrem Grabe. Hüte Dich, sie da herauszuholen und sie mir wieder zu bringen! .. Morgen ist Brautschau und dabei bleibt es!“

Er ging mit großen Schritten hinaus, und wir blieben allein, in welcher Stimmung, läßt sich leicht errathen.

Ich wäre am liebsten sogleich abgereist, denn es war mir unbeschreiblich peinlich, Martha so schmerzlich leiden zu sehen, ohne ihr irgendwie nützlich sein zu können. „In’s Gewissen ihr zu reden,“ wie es ihr Vater wünschte, vermochte ich nicht. Hatte ich aber auf der anderen Seite ein Recht, sie in ihrem Ungehorsam gegen den Vater zu bestärken, und durfte ich sie zum Ausharren in ihrer Weigerung ermuthigen? War es nicht immerhin möglich – wie sicher auch das Gegentheil zu sein schien – daß Martha den jungen Mann, dem sie ihre Hand geben sollte, mit der Zeit doch lieben lerne und mit ihm glücklich oder doch nicht so ganz unglücklich lebe, als sie jetzt fürchtete? Er hatte ja vielleicht auch Sinn für höhere Bildung, würdigte dieselbe an der, welche seine Frau werden sollte, und gab sich Mühe, allmählich sich zu ihr zu erheben, statt sie zu sich herunterzuziehen.

Ich sprach das gegen Martha aus, aber sie wehrte Alles heftig ab und bat mich so dringend, sie an dem morgenden „fürchterlichen“ Tage nicht allein zu lassen, sondern in ihrer Nähe zu bleiben, daß ich den Muth nicht fand, ihre Bitte abzuschlagen.

„Wenn ich weiß. daß Du da bist,“ sagte sie, „wenn ich Dich sehe, behalte ich nicht nur Muth, sondern auch Besonnenheit. Wenn ich ganz verlassen wäre, sagte oder thät ich vielleicht etwas, das meinen Vater heftig erzürnte. Und im Zorn ist er schrecklich; Du hast nur eine ganz keine Probe davon gesehen. Bleibe bei mir! Es geschieht übrigens morgen noch nichts Entscheidendes, und ich brauche da noch nicht Ja oder Nein zu sagen. Sie kommen nur, um mich anzusehen, und das muß ich ihnen wohl erlauben. Wer weiß? Vielleicht gefalle ich ihnen nicht, und sie treten zurück. Wahrscheinlich ist es freilich nicht, denn auf das Aussehen kommt hier wenig an, und leider werden sie es auch nicht wagen, meinen Vater durch den Rücktritt von dem „Handel“ zu beleidigen; aber eine Möglichkeit bleibt es doch. Bleibe also bei mir und rede mit Herrn Engel, daß auch er unten in der Stube aushalte, damit Deine Gegenwart auch den Argwöhnischen nicht auffallen kann,“ setzte sie mit einem freundlichen Blicke hinzu.

So blieb ich denn, und ich sah dem nächsten Tage in großer Spannung entgegen. Martha hielt sich seltsam gefaßt, und auch, als am Nachmittage des zweiten Feiertages die beiden Erwarteten in einem offenen Wagen erschienen, bemerkte ich keine auffallendere Veränderung an ihr, als daß sie noch etwas blässer wurde, als sie schon gewesen war. Der künftige „Schwiegervater“ war ein sehr beleibter Mann mit feisten rothen Backen und dicken wulstigen Lippen, der eine schwere lederne „Geldkatze“ um den Leib geschnallt trug. Sein Sohn, der zwanzig Jahre alt sein mochte, schien ganz das Ebenbild des Vaters zu werden. Er war groß und starkknochig und zeichnete sich namentlich durch unverhältnißmäßig starke und plumpe Hände aus, die man freilich selten sah, weil er sie meist in den Taschen seiner weiten Pluderhosen hielt. In seinem Gesicht lag leider gar nichts, was nur einigermaßen zu der Hoffnung hätte berechtigen können, daß er den Werth der Bildung Martha’s würdigen und versuchen werde, sich wenigstens einigermaßen zu ihr zu erheben.

Als sie in die Stube traten, kniff der Alte im Vorbeigehen Martha schmunzelnd in die Wange, der Sohn aber sah sie nur flüchtig von der Seite an. Den Hauslehrer und mich, die wir mit dem jungen Sohne Gerber’s an einem Tische saßen, zu dem auch Martha alsbald trat, beachteten Beide gar nicht. Daß es übrigens für den Vater wie für den Sohn bei dem Besuche Nebensache war, die Tochter des Hauses zu sehen, die Hauptsache vielmehr die genaue Besichtigung des Gutes, zeigte sich bald genug. Kaum war der Kaffee getrunken, der ihnen vorgesetzt wurde, so sprachen sie den Wunsch aus „herumgeführt“ zu werden. Als sie sich mit dem Hausherrn zu diesem Zwecke entfernten, flüsterte mir Martha zu:

„Wenn mir das Weinen nicht gar zu nahe wäre, kennte ich über den Bräutigam lachen. Hast Du sein dummes Gesicht beobachtet? Und seine Fäuste! Nein, der liebe Gott kann nicht wollen, daß ich einen solchen Menschen zum Manne nehme!“

Zum Glück forderte ihr Vater Martha nicht auf, ihn und seine Gäste bei dieser Besichtigung zu begleiten, denn sie gingen langsam und lange Zeit in allen Räumen umher, musterten jedes Pferd und jedes Rind einzeln mit Kennerblicken und besahen prüfend selbst die großen Getreide- und Futtervorräthe.

Als nach mehr als einer Stunde Gerber allein zurückkam, ging ich eben hinaus und da sah ich, daß die beiden Fremden, Vater und Sohn, im Gespräch noch im Hofe, vor der Thür, standen. Sie schienen zwar leise mit einander reden zu wollen, sprachen aber so laut, daß ich jedes ihrer Worte deutlich verstehen konnte. Daß ich absichtlich sehr langsam ging, als ich Einiges davon vernommen hatte, wird man wohl begreiflich finden.

„Schönes Vieh, Vater! Prachtvieh!“ sagte der Sohn begeistert. „So haben wir’s nicht. Und die Ställe! Schmucker sieht’s drin aus als in unserer Stube!“

„Und das Mädchen? he?“ fragte der Alte bedächtig und er schien sehr gespannt auf die Antwort zu sein, welche der Sohn geben werde.

„Na, die ist einmal dünn! Wenn ich sie mit meinen Fäusten angreife, zerbricht sie. Wie ein Wachspüppchen sieht sie aus! Und ihre Hände! Mein Daumen ist größer als so eine ganze Hand. Arbeiten kann die gewiß gar nicht.“

„Sie braucht’s nicht! Aber Clavier soll sie spielen.“

„Von dem Klimpern wird keine Kuh satt.“

„Und schrecklich viel hat sie gelernt. Sie soll mehr wissen als unser Pfarrer und Schulmeister zusammen.“

„Mir gefällt sie nicht, aber sie ist reich, und ich heirathe sie frischweg. Hat sie viel gelernt, nun von mir soll sie noch mehr lernen. Ich zieh’ sie schon, wie ich sie brauche und haben will. Macht’s meinetwegen gleich richtig. Ich gehe unterdeß noch einmal in den Stall und besehe mir die Pferde.“

Die beiden Väter begaben sich darauf in das „geheime Cabinet“ Michel Gerber’s, und hier brachten sie die Sache jedenfalls völlig in Ordnung, ohne aber Martha irgendwie zu den Berathungen zuzuziehen, welche sie da pflogen. Alsbald nach dem Abschlusse fuhr der dicke „Schwiegervater“ mit dem Sohne wieder fort, wie es schien höchlich befriedigt von der Besichtigung, obgleich der „Bräutigam“ die ganze Zeit über auch nicht ein Wort mit Martha gesprochen hatte. Diese theilte mir später mit, daß ihr Vater gegen Abend ihr gesagt habe, nach vierzehn Tagen würden sie nach dem Gute fahren, das sie künftig bewohnen werde. Sie hatte das, wie sie hinzusetzte, angehört, als sei sie dabei gar nicht betheiliget, so daß ihr Vater vielleicht glaube, sie habe den Widerstand gegen die Heirath aufgegeben. Mir kam die Ruhe des Mädchens unerklärlich vor, ja sie hatte etwas Unheimliches für mich. Als ich mich verabschiedete und sie allein mich eine kleine Strecke weit, nur wenige Schritte über das Dorf hinaus, begleitete, konnte ich nicht umhin, mich gegen sie darüber auszusprechen. Im Tone des unerschütterlichsten Glaubens antwortete sie mir:

„Verlaß Dich darauf, ich werde die Frau des Menschen nicht, der mir aufgedrungen werden soll. Ich vertraue fest auf Gott und meine gute Mutter im Himmel, die beide nicht zugeben werden, daß ich in solchem Unglücke untergehe.“

Sie reichte mir darauf in zuversichtlicher Ruhe die Hand und mit den Worten: „Was auch geschehen möge, bleibe mir gut!“ wendete sie sich rasch zur Umkehr. Ich aber setzte meine Wanderung

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