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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zu rasten, als bis ich dem Spuke seine geheimnißvolle Larve abgerissen. – So stand ich denn auf und zündete, trotz des Paragraphen X. der Instruction, Licht an – hatte ja auch die Instruction den Fall nicht vorgesehen, daß es auf der Festung spuken könnte.

Ich durchleuchtete jeden Winkel der Casematte, um den Schlüssel zu dem musikalischen Geheimnisse zu finden; allein die schwebende Musik schien förmlich mit mir zu spielen oder meiner zu spotten; sie war bald hie bald dort, nur da nicht, wo ich sie suchte. Nur kam’s mir vor, als ob’s in der Nähe des Ofens stärker tönte als an anderen Stellen. So erst entdeckte ich, was ich bei meinem abendlichen Einzuge in die Casematte übersehen: im Hintergrunde derselben unfern des Ofens eine Eichenthür. Sie war unverschlossen und nur eingeklinkt. Ich öffnete sie und trat in ein schwarz ausgeschlagenes Gemach, das bei näherer Besichtigung ganz so wie das bereits geschilderte Vorzimmer zur Niederthor-Casematte mit dichtem glänzendem Ruß an Decke und Wänden bekleidet war. Auch ließ der eigenthümlich muffige Ofenrußgeruch keinen Zweifel über die stoffliche Eigenschaft der Decoration aufkommen.

Es war eine förmliche Rauchkammer. Die Zugröhre meines Ofens mündete auf einen großen Heerd, der die ganze mit dem Wallprofile parallel laufende Wand einnahm und in dessen sogenanntem „Heerdmantel“, der unteren Schornsteinöffnung, trichterförmig auslief. – Es war mir gleich klar, daß hier der musikalische Spuk seine natürlich akustische Lösung finden müsse, wie die biblischen Wunder in Dinter’s Schullehrerbibel in den Anmerkungen zum Texte sich natürlich auflösen. Und wirklich klangen hier die Töne nicht nur unmittelbar mit stets wechselndem Crescendo und Decrescendo, sie wehten mich förmlich luftig an in den durch den Schornstein streifenden Windstößen; nur daß es jetzt meiner Einbildungskraft nicht mehr gelang, bestimmte Melodien heraus oder hinein zu hören. Doch immer tönte es ätherisch lieblich gleich den Accorden einer Aeolsharfe.

Ich stellte mich auf den Heerd und leuchtete mit dem Licht so hoch als möglich in den Schornstein hinein; da sah ich auch etwa drei Fuß über dem Heerdmantel fünf wie Saiten einer Lyra nebeneinander gespannte Eisenstäbe eines Rostes, durch den zweifelsohne die Gefangenen an Fluchtversuchen durch den Schornstein verhindert werden sollten. Das war in der That eine Aeolsharfe, auf welcher der in diesem Festungswinkel stets rege Zugwind durch den Schornstein spielte; der Heerdmantel bildete dazu eine allmählich sich erweiternde Schallöffnung von ausgezeichneter Resonanz, aus welcher die hervorflutenden Schallwellen durch die weiten Räume der Casematte schwammen und ebbend verhallten, oder sich an den eigenthümlich construirten Mauern brachen, oder endlich, wie aus unberechenbarer Ferne abgedämpft, in dem Ofen erklangen. Die technischen Aufschlüsse, die ich einige Tage später von einem liebenswürdigen Ingenieurofficier der Festung über den eigenthümlichen Bau der Cassemattenschornsteine erhielt, bestätigten nicht blos meine Erklärung des Phänomens, sondern bereicherten dieselbe noch um einige weitere akustische Momente. Ich erfuhr nämlich, daß der Schornstein in spiralen Windungen durch die Wallerde gezogen sich nach oben hin immer mehr verenge und daß die Höhlung desselben noch an mehreren Stellen von Eisenstäben unterbrochen wäre, die also als immer mehr sich verkürzende Saiten eine gar mannigfaltige Tonscala bildeten.

Als ich am andern Tage meiner freundlichen Nachbarin im „Zündloch“ mein erstes nächtliches Casemattenabenteuer und dessen Lösung mittheilte, war diese sichtlich über die letztere verstimmt. Und auch auf die meisten eingebürgerten Festungsbewohner machte meine Erzählung keinen günstigeren Eindruck. Ich hatte ihnen unbarmherzig ein Stück unheimlicher Poesie geraubt, an dem sie schon seit Jahren gehangen – das schauerliche Geisterwunder war ihnen lieber gewesen, als dessen physikalisch nüchterne Deutung. So geht es mit allen Erscheinungen des Aberglaubens, die sich heut zu Tage noch durch irgend ein überraschendes Phänomen der Gesellschaft bemächtigen; so geht es mit dem dogmatischen Aberglauben, der sich durch Jahrtausende hindurch von Geschlecht zu Geschlecht als Heilswahrheit vererbt hat. Das gläubige Gemüth läßt sich kein Jota davon rauben, weil es durch einen solchen Raub in seinem Innern zu verarmen fürchtet. Die rücksichtslose Herrschaft der Logik mit ihren kalten unbeugsamen Gesetzen erscheint den gläubig seligen Gefühlsmenschen als eine um so unerträglichere Tyrannei, als sie selbst durch dieselbe zum Denken gezwungen werden sollen.

Einen psychologisch interessanten Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Sage bietet auch noch der Umstand, daß die Sage von der unsichtbaren Geistermusik sich erst nach der schauerlichen Katastrophe mit dem Grafen J-sky bildete, obwohl die besagte Musik, seitdem die Festung Graudenz besteht, hätte gehört werden müssen. So auch hat das Volk gewiß von jeher seine Sagen gedichtet, indem es ein erlebtes, seinen Sinnen oder seiner Empfindung imponirendes Factum in das Reich des Uebersinnlichen und Dämonischen hinüber spielte; so wurde eine rohe Thatsache poetisch zur Tradition verklärt.

Das wären die Betrachtungen und Nutzanwendungen, die dieser harmlosen Erzählung auch in den Augen des Lesers vielleicht einiges Interesse verleihen könnten.

In Bezug auf mich habe ich schließlich hinzuzufügen, daß ich oft noch mit Vergnügen auf die ihres schauerlichen Ursprungs entkleidete „Geistermusik“ in stillen Gefängnißnächten gelauscht und daß es meiner Phantasie nicht schwer wurde, gar herrliche bekannte Tonschöpfungen aus derselben auch ferner herauszuhören.




Blätter und Blüthen.

Berliner Plaudereien. Die beiden ältesten Berliner Zeitungen sind die Vossische und Spenersche Zeitung, von dem Berliner Volkswitz „Tante Voß“ und „Onkel Spener“ getauft. Das Priviligium der Ersteren stammt aus dem Jahre 1721, während die Letztere am 30. Juni 1740 bei dem Buchhändler Ambrosius Haude erschien. Derselbe hatte Friedrich den Großen, als er noch Kronprinz war, heimlich und gegen den Willen seines strengen Vaters mit den neuesten Erzeugnissen der französischen Literatur versorgt und dafür zum Lohn die Concession zur Herausgabe einer neuen Zeitung erhalten. Der große König gewährte beiden Blättern eine angemessene Preßfreiheit, indem er bei Gelegenheit den noch jetzt beherzigenswerthen Grundsatz aufstellte: „Gazetten dürfen nicht genirt sein, wenn sie das Publicum interessiren sollen“. Während des siebenjährigen Krieges drohte den beiden Redacteuren der Berliner Zeitungen eine tragische Execution, indem ihnen von den Russen, welche die Residenz 1759 eingenommen hatten, 200 Stockprügel wegen vorangegangener Beleidigungen zugedacht waren. Die unglücklichen Zeitungsschreiber Krause und Kretschmer betheuerten vergebens ihre Unschuld, sie wurden ergriffen und verurtheilt, die eben so schmerzhafte als schimpfliche Strafe a posteriori zu erleiden. Nur den unablässigen Bemühungen des patriotischen Kaufmanns Gotskofsky gelang es endlich, den russischen General von Tottleben, der sich persönlich beleidigt fühlte, milder zu stimmen. Nach vielem Bitten brachte er es dahin, daß die beiden Verurtheilten ihre Strafe nur figürlich erlitten, indem sie auf dem Neumarkt durch eine Gasse von 200 mit Ruthen bewaffneter Soldaten geführt, darauf begnadigt, ihre Schriften aber durch den Henker verbrannt wurden. – Beide Zeitungen erschienen damals in Sedezformat nur dreimal wöchentlich und kosteten zwei Thaler für das ganze Jahr; einzelne Nummern wurden für 6 Pfennige verkauft. Die Zahl der Abonnenten und Leser war natürlich sehr beschränkt und betrug kaum so viel Hunderte wie jetzt Tausende.

Zu den Mitarbeitern der Vossischen Zeitung gehörte der berühmte Lessing, der als junger Mann „seinen Beruf verfehlt“ und Zeitungsschreiber geworden war. Mehrere Jahre lieferte er für das genannte Blatt verschiedene größere und kleinere Aufsätze meist kritischen Inhalts. Hier bildete er sich im Umgange mit Mendelssohn und Nikolai zu dem größten Kritiker Deutschlands und übte seine jugendliche Kraft, mit der er später als kritischer Hercules den Augiasstall der deutschen Literatur säuberte. Seine Einkünfte müssen nicht eben glänzend gewesen sein, denn er schrieb zu jener Zeit an seinen Vater: „Der Tisch bekümmert mich in Berlin am allerwenigsten. Ich kann für 1 Groschen 6 Pfennige eine starke Mahlzeit thun.“ Mit der eigentlichen Politik wollte er nichts zu thun haben, wie aus demselben Briefe hervorgeht, worin er unter Anderm meldet: „Der jüngere Mylius ist mit dem älteren Rüdiger (dem damaligen Besitzer der Vossischen Zeitung) zerfallen und schreibt also die Zeitungen nicht mehr. Ich bin mehr als einmal darum angegangen worden, sie an seiner Statt zu schreiben, wenn ich mit solchen politischen Kleinigkeiten meine Zeit zu verderben Lust gehabt hätte.“ – Durch einen merkwürdigen Zufall wurde später die Vossische Zeitung das Eigenthum der Lessing’schen Familie, deren Nachkommen sie noch in diesem Augenblick besitzen.

Unter den nachfolgenden Mitarbeitern der Vossischen Zeitung bemerken wir den Kriegsrath Müchler, den bekannten Anekdotensammler und unerschöpflichen Gelegellheitsdichter, der im hohen Alter erst vor wenigen Jahren gestorben ist. Er war die lebendige Chronik seiner Zeit, ein liebeswürdiger Erzähler aus vergangenen Tagen und eine allgemein bekannte Stadtfigur. An Popularität wurde er fast noch durch den nicht minder bekannten Rellstab übertroffen, welcher lange Zeit die Hauptstütze der Zeitung war. Als junger Mann hatte derselbe durch seinen Roman „die schöne Henriette“, eine gelungene Satire auf die berühmte Sängerin Henriette Sonntag und ihre Verehrer in Berlin, die größte Sensation

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