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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und ich bezahl’s. Kauf’ ich mir ein paar Pferde, blos weil sie mir gefallen, für tausend Thaler, verspiel’ ich an einem Abend im „Schafkopf“ hundert Thaler, warum sollte ich meiner Martha nicht auch einen Flügel, wie sie’s nennen, für lumpige fünfhundert Thaler kaufen? Ich halte der Tochter eine „Gonvernante“ und dem Jungen einen „Informator“. Was können solche Leute kosten? Wenn die der Herr Gerichtsdirector und der Herr von Moosbach drüben bezahlen kann, kann es Michel Gerber erst recht!“

Und er that, wie er gesagt. Er schickte seine Kinder nicht in die gewöhnliche Dorfschule. Mehrere Jahre lang hielt er der Tochter eine Erzieherin, und er fand zum Glück eine solche in einer sehr verständigen, nicht mehr jungen Person, die er glänzend bezahlte, und dem jüngeren Sohne hatte er seit nicht langer Zeit in meinem Freunde Engel einen „Informator“ gegeben. Trotz allem dem aber und obgleich die Tochter im ersten Stock des Hauses ein fast elegant eingerichtetes eigenes Zimmer mit einem kostbaren Flügel darin besaß, hielt Michel Gerber streng darauf, daß die Kinder die gewiß nichts weniger als kleidsame Nationaltracht trugen, und es war ihm wohl zuzutrauen, daß er ein Kind lieber verstoßen als zugegeben hätte, daß es die sogenannte „städtische“ Kleidung anlege.

„Ich bin ein Altenburger Bauer“ sagte er, „meine Kinder sollen Bauern bleiben und darum sich kleiden, wie ich es thue und wie es unsere Vorfahren seit vielen hundert Jahren thaten.“

Als ich in den Hof Gerber’s trat, erschien eben an der Thür des Wohnhauses ein schlankes Mädchen von mehr zartem als kräftigem Bau in der Altenburger Tracht. Sie mochte etwa siebzehn Jahre alt sein und hatte ein frisches rundes Gesicht mit blauen Augen, einem Stumpfnäschen, kleinem Munde und Grübchenkinn. Sie streute goldfarbige Gerstenkörner in weitem Kreise für ein großes Geflügelvolk aus, und ich konnte die freudig überraschten Augen von dem frischen, mehr als schmucken Mädchen gar nicht abwenden. Als endlich ihre Blicke mich trafen und wie fragend ansahen, trat ich näher, begrüßte sie und erkundigte mich, ob der Hauslehrer anwesend sei. Sie machte einen freundlichen Knix, watete gewissermaßen aus dem um sie hin- und herwogenden Geflügelmeere, lachend aber vorsichtig, heraus und kam mir entgegen.

„Sie sind gewiß der Herr, den er erwartet,“ sagte sie. „Kommen Sie!“

Sie schritt rasch in das Haus, die breite Treppe nach dem ersten Stock hinauf, deutete da nach einer Thür, knixte leicht und sagte sehr freundlich zu mir: „Kommen Sie aber auch bald herunter zu uns, denn wir Alle freuen uns über Ihre Ankunft.“

Bei dem Mittagstisch, zu dem eine weitschallende Glocke die Leute zusammenrief, war das Mädchen, Martha, die Tochter vom Hause, meine sehr heitere Nachbarin, und als der Hausherr in sein Cabinet – zum Mittagsschlafe – sich zurückgezogen hatte, schlug sie vor, daß wir, Engel mit seinem Zöglinge und ich, sie in ihr Zimmer hinauf begleiten möchten. Sie befahl, wie eine kleine Gräfin, den Kaffee dahin zu bringen. Wir folgten ihr in das freundliche, mit Blumen geschmückte Zimmer, in dem ich eine kleine Büchersammlung – die Stunden der Andacht, das Conversationslexikon, Schiller’s Werke u. s. w. – bemerkte. Sie machte da in der natürlichsten und anmuthigsten Weise die Wirthin. Später spielte ich Manches auf dem prächtigen Flügel, der in dem Zimmer stand, und Martha war unersättlich im Zuhören, als ich aber C. M. v. Weber’s Variationen über Dorina Bella spielte, wurde das Mädchen allmählich still, während ihr Gesicht abwechselnd leichte Röthe und Blässe überflog. Auch nachdem ich geendet hatte, saß sie eine kurze Zeit noch wie in Gedanken versunken da. Dann stand sie rasch auf und sagte: „Nun nichts mehr! Ich könnte nach diesem nichts Anderes hören.“

Sie strich dabei mit einer Hand über Stirn und Augen, als wolle sie ein Traumbild, Gedanken oder Empfindungen verscheuchen, welche das Musikstück in ihr hervorgerufen. Mit einer gewissen Anstrengung fragte sie endlich:

„Darf ich Sie in den Garten führen und Ihnen meine Blumen zeigen?“

Sie eilte voraus, und in dem Garten, unter den Blumen, fand sie nicht nur ihre naive Heiterkeit bald ganz wieder, sondern auch den Muth mir das Versprechen abzunehmen, zum Erntefest meinen Besuch zu wiederholen, und endlich beim Abschied mir zuzuflüstern:

„Wollen Sie mir wohl das Musikstück schicken, das Sie zuletzt spielten? Ich .. ich möchte es auch spielen lernen.“

Sie reichte mir dabei die wahrhaft aristokratisch feine weiße Hand mit den langen schmalen Fingern, und sie erwiderte auch meinen Druck mit unbefangener Herzlichkeit.

Der Sommer verging, und zum Erntefest erschien ich wieder in dem Hause Michel Gerber’s. Bereits hatten sich zahlreiche Gäste aus der „Freundschaft“, d. h. nähere und entferntere Verwandte zu dem Feste eingefunden, das in jener Gegend zumeist durch fast den ganzen Tag fortgesetztes Essen und Trinken gefeiert wurde. Michel Gerber namentlich suchte seinen Stolz darin, seinen Gästen durch eine überreiche Fülle von Speisen und Getränken zu imponiren und es auch darin allen Andern zuvorzuthun. Auch konnte man ihm durch nichts mehr schmeicheln, als wenn man Verwunderung und Staunen über solchen Ueberfluß äußerte. Dann glänzte auf seinem breiten Gesicht, gleich Sonnenschein auf einem seiner Aecker, die befriedigte Eitelkeit des reichen Bauers, und er antwortete wohl auch: „Ich hab’s. Ich kann’s geben.“ Martha freilich, welche die Wirthin zu machen hatte, war so in Anspruch genommen, daß ich nur selten eine flüchtige Gelegenheit fand, allein mit ihr zu sprechen. Sie war aber ungewöhnlich heiter und wendete mir häufig genug verstohlen ein freundliches Lächeln oder einen Blick zu, der es deutlich aussprach, wie glücklich sie sich fühle. Am Nachmittag endlich, als die Gäste sammt und sonders sich zum Tanze begaben, steigerte sich ihre Heiterkeit bis zum Muthwillen. Sie hing sich plötznch schäkernd an meinen Arm und sagte:

„Wollen wir nicht auch zum Tanze gehen? Ich war noch nie dort. Mit wem soll ich auch gehen? Ihr Freund, der Herr Hauslehrer, den ich einmal bat mich zu begleiten, hält es nicht für schicklich, auf den Tanzplatz unter die Bauern zu gehen. Kommen Sie! Ja?“

Ich erklärte mich sofort und mit Freuden bereit.

„O, die Leute werden große Augen machen, wenn „Michel’s stolze Martha“ unter ihnen erscheint!“ fuhr sie fort und sie lachte laut auf in ausgelassener Freude.

Wir gingen, und das Erscheinen Martha’s machte allerdings, wie sie erwartet hatte, großes Aufsehen. Aller Blicke richteten sich auf sie und auf mich, ihren Begleiter. Der Tanz erfuhr fast eine Unterbrechung. Das Local war freilich ziemlich beschränkt, die Decke namentlich niedrig. Tabaks-, Branntwein-, und Bierdunst drang uns entgegen, obgleich alle Fenster weit offen standen. Die meisten der älteren nicht tanzenden Männer, selbst einige der Burschen, die, in Hemdärmeln, mit ihren Mädchen sich drehten, hatten die Tabakspfeife im Munde. Michel Gerber selbst, der im stolzen Gefühl seiner Bedeutung mit einigen seiner Gäste zuschauend nahe am Eingange stand, begrüßte die ihm unerwartet erscheinende Tochter mit freudiger Verwunderung und rief ihr laut zu:

„So ist’s recht! Tanz’ auch einmal mit dem Herrn.“

Darauf trat er an das kleine Orchester, griff in die Tasche seiner weitbauschigen Hosen, legte auf das Pult des Vorgeigenden einen harten blanken Thaler, so daß es Alle sehen mußten, und sagte:

„Nun spielt für mich Euer bestes Stückchen.“

Die Musikanten hörten augenblicklich mitten in dem Tanze auf, den sie eben spielten, und begannen einen anderen.

„Jetzt müssen wir tanzen,“ flüsterte mir Martha zu, „sonst werden wir ausgelacht.“

Die Anderen hatten bereits zu tanzen wieder angefangen, und wir traten denn auch an. Es war ein wunderlicher Tanz, den ich vorher nie gesehen, viel weniger getanzt hatte, aber so einfach, daß Jeder, mit nur einigem Taktgefühl, ihn sofort mittanzen konnte. Jedes Tänzerpaar blieb fortwährend genau auf der Stelle, auf der es zu tanzen angefangen hatte, weil man sich immer nur auf dem linken Absatz herumdrehete und den rechten Fuß in Dreiachtel-Takt herumschleifte. In dieser Weise tanzte ich denn auch mit Martha, und der so einfache Tanz machte mir bald in der That großes Vergnügen, zumal meine Tänzerin sehr glücklich zu sein schien. Das Hauptvergnügen der übrigen Paare bestand freilich in noch etwas Anderem. Der tanzende Bursch stieß nämlich von Zeit zu Zeit einen lauten Jauchzer aus, faßte dabei mit beiden Händen seine Tänzerin um die Taille und hob sie in dieser Weise empor, je höher desto besser. Die Aufgabe auch dabei bestand darin, immer genau auf der Stelle zu bleiben und das Drehen im richtigen Takte fortzusetzen, sobald die Füße der Tänzerin den Boden wieder berührten. Dieses Emporheben der Tänzerin unterließ ich natürlich

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