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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

eingeladen. Die Namen der besten und größten deutschen Männer, von Guttenberg und Berthold Schwarz bis zu Schiller, Stein und Humboldt, grüßten uns hier von den Wänden herab; ein prachtvolles Feuerwerk warf von einem Schiff im Rhein seine sausenden Raketen und Feuerräder zu dem dunkeln Abendhimmel empor, und dazwischen setzte magisches Roth- und Weißfeuer die dicht vom Volk umlagerte Brücke und die schwarzen Wogen des Rheines in eine zauberhaft schöne Beleuchtung. Auch der Humor fehlte nicht: ein riesiges Schattenspiel bewegte sich an den Wänden der jenseit des Rheines gelegenen Häuser, und noch weit in die stillen Gassen hinein scholl mir der Jubel der Baseler und der deutschen Schützen nach, als ich endlich gegen Mitternacht mich losriß. „Sie haben Recht, es wird wohl morgen ein heißer Tag für Euch werden,“ sagte Dr. Brenner zu mir, als ich ihm zum Abschied die Hand reichte. Ich verstand kaum, was er damit sagen wollte; aber am folgenden Tage, als es uns heiß und immer heißer um’s Herz wurde über all die Liebe und Ehre, die man uns entgegen trug, da hab ich oft an diese vielsagenden Abschiedsworte denken müssen.

Es giebt Erlebnisse, die fassen auch eines Mannes Herz mit erschütternder Gewalt, also daß er sich nicht retten und bergen kann vor der Rührung, die ihn beschleicht. Es ist schwer, die Stimmung mit Worten wiederzugeben, in der solches möglich ist. Man weiß selbst nicht, wie es kommt; aber plötzlich zuckt es um den Mund und das Auge schwimmt und man tritt still hinter die Andern, um heimlich die Thräne abzuwischen, die über die Wange rollt – hinter die Anderen, die ab und zu sich selber seitwärts wenden, um ganz verstohlen mit der Hand nach den Augen zu fahren. So ist es gar Manchem von uns geschehen, als wir am 11. Juli von Basel nach La Chaux de Fonds fuhren, und ich denke, man wird uns deshalb noch keine Weichlinge schelten. Was uns die Stadt Basel Liebes und Gutes angethan, werden wir ihr allezeit dankbar gedenken. Aber es war doch nur eine Stadt, die uns so empfangen, und wir wußten uns zu fassen. Auch auf den ersten Stationen, die wir nach Basel zu passiren hatten, hielten wir aller Herzlichkeit gegenüber noch guten Stand. Als wir aber weiter und weiter fuhren und uns überall dieselbe Wärme und Liebe in der ungesuchtesten, einfachsten und darum nur um so eindringlicheren Weise empfing, als wir erkannten, daß hier nicht blos diese und jene Gemeinde, nein daß uns das ganze Schweizervolk jubelnd und achtungsvoll willkommen hieß, da schwand allmählich auch bei den Festesten von uns die Fassung, und mehr als Einen habe ich mit erstickter Stimme vor sich her sagen hören: „Zu viel, zu viel!“ Es ist wohl mancher Fürst schon durch sein Land gezogen, und die Glocken haben geläutet und die Fahnen haben geweht und Alles hat im Festgewand ihm entgegen gejauchzt. Aber das Alles reicht doch lange nicht daran, wenn ein Volk das andere so recht von Grund des Herzens in voller freiwilligster Freudigkeit bei sich willkommen heißt, denn das ist erst das rechte Volksfest, das ein Volk zu Ehren des andern bereitet. Die Schweizer aber mögen es uns glauben, wir wußten gerade von ihnen, von einer so freiheitstolzen, so zurückhaltenden, so republikanisch-ernsten Nation, so hohe Ehren vollauf zu schätzen, und ich denke, noch im nächsten Jahr sollen sie erkennen, daß selbst nach Jahresfrist der Dank des deutschen Volkes noch warm ist für das, was sie am 11. Juli an den deutschen Schützen und damit am deutschen Volke selbst gethan.

Der große Nationalheld der Schweizer, Wilhelm Tell, war es selbst, der unseren Zug geleitete. Vorn an der festlich geschmückten Locomotive unter Blumen, Bändern und Fahnen stand seine und seines Knaben Figur, als sollte er schirmend wachen, daß uns, den lieben Gästen seines Schweizerlandes, kein Unheil auf unserer Fahrt begegne. So ging es fort von Basel im hellsten Sonnenschein, und wo auch nur unser Zug hielt, in Muttenz, Pratteln, Liestal, Sissach, Läufelfingen, Olten, Langenthal, Herzogenbuchsee, Solothurn, Grenchen, Pieterlen, Biel, Twann, Neuenstadt, Saint Blaise, Neuenburg, Chambrellieu, Hauts Geneveys, überall waren die Bahnhöfe reich geschmückt, überall schallte uns Musik und Kanonendonner entgegen, überall ward uns aus silbernen Bechern der Ehrentrunk gereicht. Doch dabei blieb es in den meisten Fällen nicht. Vielfach war auch ein Redner zur Stelle, der uns in warmen Worten begrüßte, oder die Jugendwehr hatte sich als Ehrenwache aufgestellt. Es war indeß nicht die Pracht des Empfangs, die uns so ergriff, sondern meist gerade die treuherzige Einfachheit und das warme lebendige Gefühl der Freude, das Ungemachte und Ungeheuchelte, das aus allen Anordnungen herausblickte. Da hatte jeder Ort sich selbst etwas herausgesucht, womit er seine ganz besondere Aufmerksamkeit beweisen wollte.

So hatte sich in Pratteln und Sissach ein junger Bursch in eine alte eiserne Rüstung gesteckt, um uns mit gravitätischem Ernst die Honneurs zu machen; so hatte Herzogenbuchsee seinen Triumphbogen mit Ritterrüstungen und uralten Fahnen, Hellebarden und Schwertern ausgeputzt; so hatte gar Neuenstadt die stolzesten Zeugen seines vergangenen Ruhmes, zwei alte verrostete, wunderlich geformte Kanonen hervorgeholt und uns zu Ehren aufgestellt – es war Kriegsbeute aus irgend einer siegreichen Schlacht gegen die Herzöge von Burgund oder sonst einen Feind der Schweizerfreiheit. Aber nicht blos mit alten Schwertern und Waffen grüßte man uns. In Sissach und Olten standen die hübschesten kleinen Mädchen mit weiß-rothen und schwarz-roth-goldenen Schärpen, um Alpenrosen an uns zu vertheilen, und die Langenthaler und Solothurner hatten gar ihre schönsten Jungfrauen nicht für zu gut gehalten, um uns den Ehrentrunk zu reichen. In Solothurn begrüßte uns noch obendrein ein vierstimmiger deutscher Männerchor und der deutsche Verein mit seiner Fahne, in Biel waren es die Turner, die uns bewirtheten, und in dem vor Allem reich und prachtvoll geschmückten Neuenburg lud uns die Stadt selbst in ihr Rathhaus zum Vesperbrod mit bestem Neuenburger und Champagner zu Gaste. Aber auch wo der Zug nicht hielt, grüßte man uns. Die alte Festung Aarburg hatte noch einmal ihre Wälle mit Kanonen bepflanzt, um uns ihren Gruß entgegen zu donnern; in Murgenthal war uns zu Ehren auf dem Bahnhof wenigstens ein riesiger Blumenstrauß aufgestellt, der uns seine Wohlgerüche entgegen senden sollte, und vor Solothurn hatten sich mitten im freien Felde etwa 20 kleine Bauernmädchen der Bahn entlang aufgestellt, um uns mit ihren kleinen Schweizerfähnchen ihren Gruß zuzuwehen. Es war wirklich so, wie uns in Pratteln am Bahnhof ein treuherziger, schmuckloser Vers sagte:

„Blei und Pulver und Kanonen
Bezwingen Städte und Cantonen.
Deutsche Schützen mit Pulver und Blei
Erobern in Liebe unser Ländchen frei.“

„In Liebe“ erobert – ja das war das richtige Wort! Anders als „in Liebe“ läßt sich wohl auch die wehrhafte Schweiz nicht erobern, und anders als „in Liebe“ will auch das deutsche Volk keine Eroberungen machen. Aber bei dieser unserer neuesten Eroberung, die wirklich und allein nur „in Liebe“ gemacht ist, soll es hoffentlich nun für immer sein Bewenden behalten.

Den tiefsten Eindruck machte indeß auf uns der Aufzug der 1200 Cadetten aus den Cantonen Aargau und Bern vor dem Bahnhof zu Olten und das große Manöver, das sie unter der Führung des Obersten Schwarz von Aarau in der Nähe der Stadt Olten im Feuer ausführten. Schon von weitem hatte uns ihre Artillerie gegrüßt, während die Infanterie, als wir in den Bahnhof einfuhren, rechts und links Spalier bildete. Dann, nachdem uns Präsident Kully von Olten in warmer hinreißender Rede willkommen geheißen und wir selbst uns zwei Glieder hoch rangirt, zog die ganze junge Mannschaft mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen im Paradeschritt an uns vorüber. Es war für die meisten von uns ein ganz neues unbekanntes Schauspiel, diese 1200 Buben im Alter von 10 bis 17 Jahren, die da in voller feldmäßiger Ausrüstung an uns vorbeidefilirten. Ihre Kanonen zogen sie sich selbst, ihre Officiere waren Buben wie sie selbst. Kinder waren es, die da vor uns marschirten, ihre leichten Gewehre waren nicht zum Kriegführen, ihre Säbel taugten nicht für eine Männerfaust, ihre Kanonen hätten keinen ernsten Feind aufgehalten; aber aus all dem Kindertreiben schaute denn doch wieder ein so mächtiger Ernst heraus, daß es uns das Herz zusammendrückte: das war die wahre Volksarmee, die wahre Armee der Zukunft, das waren die wahren Bürgen für die stete Freiheit und Unabhängigkeit der Schweiz. So lange die Schweizer-Berge stehen und solche Buben noch in ihnen hervorwachsen, so lange die Schweizer es noch verstehen, in so naturgemäßer Weise den soldatischen Beruf unzertrennlich mit dem Sinn für bürgerliche Selbstständigkeit zu verbinden, so lange wird nie ein fremder Eroberer es wagen dürfen, an ihre Selbstständigkeit die Hand zu legen. Unsere Frankfurter Jugendwehr ging auch mit im Zuge. Sie grüßte uns stolz mit ihrer frisch gewonnenen deutschen Fahne, und die Buben traten so fest und kräftig auf und schauten so ernst und mit so blitzenden Augen drein, nicht rechts und nicht links, als

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