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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

beschneiten Kirchhof, so waren die feierlichen Gelöbnisse vergessen, die ich in die jetzt erkalteten Hände gelegt. Treulos den Ladentisch verlassend, der mir zur Galeere geworden war, begann ich bei wandernden Truppen ein mühseliges, abenteuerliches Nomadenleben.

Damals war ich glücklich! – Die rasche Jugend half mir mit leichtem Sinne über Nahrungssorgen hinweg, dafür durfte ich die Kunstkenner in Stein am Anger und Oedenburg[1] entzücken, und beschwichtigte den knurrenden Magen, indem ich ihm eine neue Rolle vorlas und ihn mit meinen großartigen Hoffnungen und Plänen für die Zukunft tröstete. Alle diese Hoffnungen sind mehr als wahr geworden, alle meine Pläne habe ich realisirt, und dennoch – bin ich jetzt zufriedener als damals? – Du sollst Vater und Mutter ehren!




Leider reichen die uns zugekommenen Blätter nicht weiter, doch geben sie ein klares Bild von dem Seelenzustande des edlen und genialen Selbstquälers. Wenn auch die stets steigenden glücklichen Erfolge in seiner Doppeleigenschaft als ruhmgekrönter Dichter und Darsteller von Zeit zu Zeit die „Saulslaune“, die sich seiner bemächtigt hatte, nicht zum vollen Ausbruch kommen ließen, so stellte sie sich doch periodenweise um so gewaltiger ein. So auch am 26. August 1836, wo der Dichter sich auf seinen reizenden Landsitz zu Pernitz bei Guttenstein zurückgezogen hatte. Ein kaum nennenswerthes Ereigniß führte die verhängnißvolle Katastrophe herbei, welche dem Leben Raimund’s ein vorschnelles Ende machte.

Ein bissiger Haushund verletzte ihn leicht an der Hand, die Wunde war so unbedeutend, daß sie in ein paar Tagen bis auf die letzte Spur geheilt worden wäre. Da bemächtigte sich mit unabweisbarer Gewalt des armen Hypochonders der furchtbare Gedanke, „der Hund sei toll gewesen.“

Um sich zu zerstreuen und den Folterqualen seiner immer fester wurzelnden Ideen zu entgehen, unternahm er eine Reise zu dem wunderthätigen Madonnenbilde in Mariazell, welches bei allen Katholiken in hohem Ansehen steht, und wohin tausend und Tausende Belasteter wallfahrten, um ihr schweres Herz auszuschütten. Dort mag auch der geängstigte Poet seine Hände im Gebet gerungen und die gnadenreiche Heilige mit heißer Bitte angefleht haben, die furchtbare Todesart von ihm abzuwenden. Nach Hause zurückgekehrt, wurde sein unseliger Wahn noch bestärkt, als er erfuhr, daß der Hund in der Zwischenzeit erschossen worden sei, da er noch eine Person gebissen, und sich überhaupt „wie toll“ gebehrdet habe.

Der verwüstete Hofraum, die ringsum weit aufgewühlte Erde, die zerrissenen Trümmer der Einfriedigung des Grundstückes legten ein furchtbares Zeugniß ab für die Wuth des bösen Hundes. Vergebens alles Zureden seiner besorgten Umgebung, seiner treuen Toni. Endlich brachte ihn die Letztere zu dem Entschluß, mit ihr nach Wien zu fahren, und dort Rath und Hülfe eines berühmten Arztes in Anspruch zu nehmen.

Scheu in eine Ecke des Wagens gedrückt, stumm und regungslos saß der Märtyrer seiner Einbildung in furchtbaren Qualen, unzugänglich den Trostesworten und Bitten der sanften Freundin. Da brach ein so furchtbares Unwetter los, wie man sich eines ähnlichen seit Jahren nicht erinnerte. Der Donner rollte mit dröhnenden Schlägen, in dem Gebirgsthal ein hundertfaches Echo weckend, Regengüsse, gleich Strömen niederrauschend, machten die Wege unfahrbar und zwangen unsere Reisenden in einem kleinen Gasthof in Pottenstein zu übernachten. Man weiß, wie selbst die heiterste Stimmung durch einen unfreiwilligen Aufenthalt an einem langweiligen Orte bei schlechtem Wetter niedergedrückt wird. Und nun denke man sich Raimund, mit bitterer Verzweiflung im Herzen, Nacht, düstere Nacht um und in ihm, im unbehaglichen, düsteren Dorfwirthshause, und umtobt von dem Wüthen der Elemente! Immer finsterer, immer drohender umgaben die Schreckgestalten eines gräßlichen Todes den armen Künstler, mit leiser Stimme bat er seine Toni, ihm ein Glas Wasser zu besorgen. Diese hatte sich kaum entfernt, als ein dumpfer Knall sie zurückschreckte; mit düsterer Ahnung öffnet sie die Thüre – da liegt der Unglückselige; mit einem Taschenpistol, welches er stets geladen bei sich trug, hatte er sich in den Mund geschossen!

Wie ein Lauffeuer drang der Ruf der vorschnellen Schreckensthat nach Wien. Aerzte und Freunde des armen Mimen eilten nach Pottenstein, nur Trost, nicht Hülfe konnten sie an das Schmerzenslager bringen. Die Kugel des schwach geladenen Terzerols war im Gaumen stecken geblieben, noch acht qualvolle Tage mußte er seine Leiden, seine Reue tragen, ehe der Tod als Erlöser aus schwerer Pein an sein Sterbebette trat.

Als ihn sein vieljähriger Freund, der Schriftsteller Weidmann, besuchte, zeigte er diesem, während ihm heiße Thränen über die abgemagerten Wangen rollten, mit dem Finger in den Mund und wimmerte zu wiederholten Malen: „die Kugel! die Kugel!“

Und schließt mich einst die Kunst aus ihrem Tempel aus,
Verbirg mein graues Haupt in Deinem grünen Haus;
Dann mag sich meine Lebenssonne neigen,
Dann will ich in Dein kühles Brautbett steigen,
In Deinem Schooß ruh’ mein Gebein,
Mein Grabmal sei im Guttenstein!

 (An Guttenstein.)

Nach diesem seinem Wunsch, den er oftmals in seinen Poesien ausgesprochen hatte, wurden seine sterblichen Reste der Erde seines vielgeliebten Guttensteins anvertraut.

Am 8. September 1836 bewegte sich der endlos lange Zug der Leidtragenden – Leidtragende im strengsten Sinne des Wortes – in dem reizenden Gebirgsthale entlang, dem entschlafenen Freund und Kunstgenossen die letzte Ehre zu erweisen. Die Landleute der Umgegend, denen er stets Freund, Berather, Helfer in allen Nöthen war, die den „guten Stadtherrn“ alle innig liebten, hatten sich in reicher Zahl, angethan im Festschmucke, eingefunden, den „braven Herrn“ zur Gruft zu geleiten. Größere, festlichere Leichenbegängnisse mögen schon vorgekommen sein, ein ergreifenderes, schmerzlicheres wohl nie. Die Klänge des schönen Liedes: „So leb denn wohl, Du stilles Haus“, aus seiner besten Dichtung „der Alpenkönig und der Menschenfeind“, wirkten erschütternd auf die Menge, die mit heißen Thränen dem Sarge folgte. Sein ebenbürtiger College Ludwig Löwe, der den Lorbeer auf sein Grab gelegt, war vor schmerzlicher Aufregung nicht im Stande, die Worte der Liebe und Achtung, die dem Hingeschiedenen folgen sollte, zu vollenden. Schmerzlich weinend sank er mit gefalteten Händen am Sarge nieder, während die bebenden Lippen nicht einen armen Laut mehr hervorbringen konnten.

Und so möge denn auch meine Feder verstummen; vielleicht finde ich später Platz, auf einzelne Charakterzüge, so wie auf einen fast tragikomischen Streit um den gestohlenen Schädel des Todten, in diesen Blättern zurückzukommen. Jetzt mag die ernste Stimmung bei der Erinnerung an einen edlen Menschen, an ein großes, vor der Zeit untergegangenes Genie, an einen unvergessenen Darsteller den Schlußstein meiner Federzeichnung bilden.


  1. Zwei kleinere Provinzstädte Ungarns, in denen Raimund seine Laufbahn begann.




Deutschlands Arbeiter.


Von H. Schulze-Delitzsch.


Mitten in schwerer Schädigung unserer nationalen Interessen, während Deutschland, bei tiefem inneren Zerwürfniß, äußeren Verwickelungen der verhängnißvollsten Art entgegensieht, vollzieht sich ruhig und stet ein Vorgang vor unseren Augen, der wohl geeignet ist, unsere Hoffnung auf das glückliche Bestehen der herannahenden Krisis, auf Begründung dauernder, dem Wesen und den Bedürfnissen des deutschen Volks entsprechender Zustände aufrecht zu erhalten. Es ist die deutsche Arbeiterbewegung.

Noch ist der Rückschlag von 1848 im frischen Gedächtniß, den wir einzig und allein dem Bruche innerhalb der großen liberalen Mehrheit des Volks zuzuschreiben haben. Geschreckt von den Forderungen, noch mehr von dem äußeren Auftreten eines im Verhältniß nur keinen Theiles der Arbeiter, sowie durch die Ereignisse in Paris, warfen sich die besitzenden Classen, in der Meinung, das Privateigenthum und alle Grundlagen eines geordneten Verkehrs seien gefährdet, der Staatsrettung um jeden Preis in die Arme, und so trieben wir in die Netze der Reaction. Erst langem Drucke blieb es vorbehalten, die Spaltung zu beseitigen und die allgemeine Ueberzeugung zu befestigen, daß, wie die geistigen, so auch die materiellen Interessen aller Classen nicht schlechter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_504.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2020)