Seite:Die Gartenlaube (1863) 499.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Meldung entgegen, daß ich jetzt wohl schwerlich mich in meine Casematte hinauf begeben könne; es müsse mit dem Ofen oben wohl nicht ganz in Ordnung sein, da der Rauch sich sogar hinunter in die Wachtstube gezogen. Ich witterte in diesem Rauche so etwas wie Moderluft. Auf meine Bitte begleitete mich der Unterofficier nach oben. Ein dicker Qualm wälzte sich uns schon auf der Treppe entgegen. In der Casematte selbst konnten wir uns nur durch rasches Oeffnen von Thür und Fenster des erstickenden Qualms erwehren und den Schaden in der Nähe besehen. Die breite Decke des Ofens war nach innen gestürzt und hatte denselben im Fallen, wie’s schien, aus den Fugen gerissen. Die Lehmruinen spieen nun Flammen und Dampf, gleich einem wüthenden Vulcan. An eine Feuersgefahr ist in den unter der Wallerde liegenden feuer- und bombenfesten Gewölben nicht zu denken; werden ja die Schornsteine niemals gefegt, sondern der überhandnehmende Ruß durch ein auf dem Heerde angezündetes Strohfeuer in Brand gesetzt, daß die Flammen lichterloh oben hinausschlagen. Aber was sollte ich bei der schon scharf eingetretenen Winterkälte in einem Casemattengewölbe ohne Ofen machen?

Auf mein Ersuchen schickte der Unterofficier sofort eine Ordonnanz an den Platzmajor mit der Meldung von dem Vorgefallenen. Dieser kam denn auch sofort in officiellster Hast angerannt; bald darauf stellte sich der Ingenieurofficier vom Platz ein, um den Fall technisch zu untersuchen. Möbe, der wieder mit straff angezogenen Armen und dem ehrlichsten Gesichte von der Welt im Hintergrunde stand, wurde scharf in’s Verhör genommen. Allein der blieb dabei, daß er den Ofen mit zartester Schonung und Rücksicht geheizt habe, daß es daher wohl an dessen schwächlicher Constitution gelegen haben müsse. Der Ingenieurofficier, der den Ofen erst vor kurzem und eigens für mich hatte setzen lassen, wußte nicht was er denken sollte, und der Platzmajor schüttelte in einem fort Kopf und Federhut. „Ein janz neuer Ofen, bei Jott, es ist unjlaublich!“ – Er war aus Sangerhausen in der Provinz Sachsen, und das weiche G war der einzige weiche Zug, den ich an ihm kennen gelernt.

Der kritische Casus war aber der: was mit mir anfangen? An einen Neubau des Ofens konnte für’s Erste nicht gedacht werden, eben so wenig daran, daß ich ohne Ofen daselbst aushalten sollte; nirgends aber war im gegenwärtigen Momente eine andere Casematte zu meiner Aufnahme frei oder geeignet. Es war Humor in der Situation: ein Gefangener, der nicht wußte, wo er sein Haupt hinlegen sollte! Ich wartete gutes Muthes die Lösung dieses Dilemma in der Wachtstube ab, während der Platzmajor und der Ingenieurofficier zum Commandanten sich verfügt hatten, um demselben die Angelegenheit vorzutragen. Endlich nach ziemlich langer Conferenz kam der Platzmajor mit dem Bescheide an mich zurück, Se. Excellenz habe angeordnet, daß Casematte Nr. 1, Coupure 1, am Oberthor bis morgen Abend zu meiner Aufnahme in Stand gesetzt werden solle und daß ich mich bis dahin in das Weise’sche Gasthaus, der Commandantur gegenüber, einlogiren könne, was ich denn auch mit Freuden that. Konnte ich dann doch noch eine Nacht als freier Mann schlafen! – Auf der Wachtparade des nächsten Tages ging die Ofengeschichte unter den Officieren von Mund zu Mund und erregte nicht wenig Heiterkeit. In dem eng abgeschlossenen Raum einer fernabgelegenen Festung, wo der Garnison ein Tag wie der andere in dienstlicher Eintönigkeit dahin geht, erhalten dergleichen Historien einen anekdotischen Charakter, sie gehen in die mündlichen Ueberlieferungen der stabilen Festungsbewohner über. Meine einjährige Gefangenschaft in Graudenz hat die Chronik dieses Platzes um manche heitere oder ernste Anekdote bereichert. Man wollte durchaus nicht glauben, daß der Ofen von selbst auf den Einfall gekommen sein könnte, einzufallen, um mich gewissermaßen so durch ein Elementarereigniß, durch höhere Gewalt aus dem wohlweislich mir zugedachten Silvio Pellico-Kerker zu befreien; man meinte steif und fest, daß ich selbst mit Hülfe Möbe’s die ganze Katastrophe in Scene gesetzt und durchgeführt hätte. Der arme Möbe! Glücklicherweise hatte er bereits als Invalide und Befreier Deutschlands, mit der „Pflaume“ auf der Brust, einem wöchentlichen Commißbrod und zwei Thaler monatlich, die höchste Staffel seines militärischen Ehrgeizes erklommen, so daß ein solcher Verdacht ihm in seinem weiteren Avancement nicht hinderlich sein konnte. Und was mich betrifft, so kann ich vor jedem terminirenden Assessor die drei Schwurfinger aufheben und beeidigen, daß ich bei besagter Ofenaffaire des Polonius weise Lehren befolgt und keinem in mir aufsteigenden Gedanken „die Zunge gegeben“. Ich lächelte blos, und Möbe fluchte, und der Ofen fiel ein – das war Alles.

Aber ohne „Aber“ giebt’s nun einmal nichts hienieden, selbst nicht einmal auf einer Festung, wo doch jedes „Aber“ als subordinationswidrig streng verpönt ist. Auch an meine humoristische Erlösung aus der fatalen Niederthorcasematte durch den „feurigen Ofen“ klammerte sich diese fatale Conjunctionsklette.

„Aber,“ sagte mir die alte polnische Schaffnerin im Weise’schen Gasthause, „zu beneiden sind Sie gerade nicht um Ihre neue Casematte am Oberthor.“

„Zu beneiden nun wohl nicht,“ meinte ich, „aber gewiß doch weniger zu beklagen.“

„Hm, das ist sehr die Frage. Am Niederthor hätte es doch wenigstens nicht gespukt!“

„Was, in meiner neuen Casematte spukt’s?“ lachte ich ungläubig in mein Glas hinein; „das habe ich in der That nicht gewußt, daß hier auch Geister in Garnison liegen.“

„Ja, lachen Sie nur, aber wahr bleibt doch wahr! Sie werden es schon erfahren.“ Weiter wollte sie, sichtlich mürrisch, meinem Unglauben nicht Rede stehen.

Am anderen Morgen besuchte ich zur Paradezeit, wo ich sicher war, keine Officiere dort zu finden, das erwähnte „Zündloch“, das der mir bestimmten Casematte schräg gegenüber lag. Man sah mich dort schon als Nachbarn an und kam mir mit der gemüthlichsten Aufmerksamkeit entgegen.

„Es ist uns recht lieb,“ sagte die freundliche, geschäftführende Cousine des Hauses, „Sie in unserer Nähe zu haben; Sie bekommen auch eine weit bessere Casematte, als die am Niederthor Ihnen zugedachte; aber es ist leider ein Uebelstand dabei –“

„Es spukt doch nicht etwa da?“ kam ich scherzhaft fragend zuvor.

„Nun, Sie werden sich selbst die Antwort auf Ihre Frage geben können.“

„Also wirklich? Von welcher Art sind aber die Geister oder Gespenster, die dort ihr Wesen treiben? Sie drehen Einem doch hoffentlich nicht den Hals um oder treiben sonst welchen gefährlichen Schabernack?“

„Das nicht! Im Gegentheil, sie musiciren. Sie werden manche Nacht ganze Concerte aufführen hören.“

„I, das wäre ja ganz vortrefflich – da hätte ich ja meine Hauscapelle – und die Geister machen hoffentlich gute Musik!“

„Wenn Sie das schauerliche Ereigniß kennten, das diesem Spuk zu Grunde liegt, würde es Ihnen schon unheimlich genug zu Muthe werden.“

„Würden Sie vielleicht die Freundlichkeit haben, mich darüber näher zu unterrichten?“

Meine neue liebenswürdige Nachbarin ließ sich nicht lange bitten. Ich erfuhr von ihr Folgendes:

„Es sind etwa sechs Jahre her, daß ein Edelmann aus dem Großherzogthum Poseu, Graf J-sky, wegen politischer Vergehen zu mehrjähriger Festungsstrafe condemnirt, Insasse der in Rede stehenden Casematte wurde, die schon seit langer Zeit auf unheimliche Weise berüchtigt war. War’s doch, als ob Melancholie, Verzweiflung und tragische Katastrophen ihre Opfer vorzugsweise in diesem Winkel suchten, denn in keinem Kerker der Festung waren je so viel grauenhafte Selbstmorde vorgekommen, als gerade hier. Mit dem Einzug des neuen Gefangenen jedoch schien der finstere Dämon, der hier herrschte, gebannt zu sein, gebannt wie der böse Geist des Königs Saul durch die Macht der Musik. – Gras J-sky, ein Mann von jener chevaleresken männlichen Schönheit und Tournüre, die das nationale Erbtheil des Sarmatenstammes geblieben ist, trotz aller Theilungen und Zerstückelungen Polens, hatte in seine Gefangenschaft seine treue Geige mitgebracht, auf der er Meister war. – Man hörte ihn den größten Theil des Tages bis spät in die Nacht hinein seine musikalischen Monologe halten. Bald vertiefte er sich in Etuden, deren technische Schwierigkeiten zu lösen die durch keine Zerstreuungen und Geschäfte gestörte Verlassenheit des Kerkers und die hingebende Geduld des Gefangenen ganz besonders geeignet sind, wie denn auch die Sage, daß Paganini sich während langer Gefangenschaft in einem italienischen Kerker zum unsterblichen Maestro gespielt, mag sie nun erfunden sein oder nicht, ihre sinnige Bedeutung hat. Bald rief

er, voll sehnsüchtig jugendlicher Lebenslust, heitere Reminiscenzen des geselligen Lebens in klingenden Weisen herbei. Wer vermöchte

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_499.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)