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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Uebungsschooner „Thusnelda“ bestiegen. Dieses schlanke und festgebaute eiserne Fahrzeug ist zugleich Schraubendampfer und Segelschiff und wurde von einem patriotischen Mitgliede des Verwaltungsraths, Herrn W. Droege, ursprünglich zu einem Lustfahrzeug gebaut, den technischen Directoren der Seemannsschule zur freiesten Verfügung gestellt, soweit die Lehrzwecke des Instituts es als wünschenswerth erscheinen ließen. Mit diesem Schooner sind bereits kurze Uebungsfahrten elbabwärts unternommen, die im Laufe des Sommers bis in die Nordsee ausgedehnt wurden, um die kecken Jungen einmal bezüglich der famosen Seekrankheit ernstlich auf den Zahn zu fühlen.

In der Reihe abwärts folgt diesem Dampf-Segel-Schooner der Clipper-Segel-Kutter „Albatroß“, ebenfalls ein schmuckes Fahrzeug, das, ausschließlich für Segelübungen auf der Elbe bestimmt, vor einigen Wochen von einem der bedeutendsten Hamburger Rheder, Herrn A. J. Hertz, dem Institut als freies Geschenk zuging. Diesem Segelkutter schließt sich dann der etwas kleinere zwölfruderige Ruderkutter an, dessen ich Eingangs erwähnte, um der exacten Schlagfertigkeit der jungen Ruderer eine verdiente Eloge zu machen, und der eben für das Exercitium dieser anmuthigen Fertigkeit aus den Mitteln der Anstalt eigens gebaut wurde. – Daß es ferner auch an kleinen Ruderjollen zum etwaigen Uebersetzen nach und von dem anderen Ufer nicht fehlt, versteht sich von selbst. – Für körperliche Bewegung am Lande sorgen die freilich noch bescheidenen Anfänge einer Turnanstalt, und bis zur guten Jahreszeit wird auch eine im Plan bereits fertig vorliegende Schwimmanstalt die Zöglinge zu einer Uebung einladen, die auf dem erwählten gefahrvollen Berufswege dereinst von nicht geringer Bedeutung sein wird.

Von den Urhebern, Begründern und Leitern des Instituts ist allgemein bekannt, daß die Herren Gerard Schuirman und Georg Thaulow vormals Officiere der deutschen Bundesflotte und später Capitaine von großen Kauffahrteischiffen waren, mit denen sie die entferntesten Häfen der Erde, China, Japan etc. besuchten, auf welchen Reisen sie Gelegenheit fanden und benutzten, unterstützt von gründlichen Navigationskenntnissen, mannigfaltige und lehrreiche Erfahrungen zu sammeln. – Der werthvolle Kern ihrer seemännischen Tüchtigkeit hat sich indeß hier nicht mit jener rauhen und knorrigen Schale umgeben, die vielleicht ausgepichten Theerjacken gegenüber zeitweise völlig am Orte, in einer Lehranstalt aber schwerlich von vortheilhaftem Erfolge sein würde. Mir schien ihre Vertrauen erregende Bonhomie so eben die gute rechte Mitte zwischen seemännischer Derbheit und weltmännischem Schliff zu halten, und die umsichtige Organisation ihres Instituts zeugt schon an und für sich – abgesehen von den noch zu erwartenden Erfolgen – für die Befähigung zu dem erwählten Berufe.

Die innere Organisation des Instituts ist sehr einfach für uns Binnenländer, aber jedenfalls von großem Interesse. Morgens 5½ Uhr wird die Mannschaft mittelst der Bootsmannspfeife „ausgepurrt“ das ist geweckt. Alle Hängematten kommen rasch in schwingende Bewegung; flink, wie Alles in diesen Räumen, ist auch das Ankleiden vollbracht, und vereint marschirt man nach dem Waschlocal, wo Jeder sich den ganzen Oberkörper, aus einer ihm eigens angehörigen metallenen Waschkumme in kaltem Wasser wäscht und das Haar kämmt. Von hier ab wird sogleich vorab zu Ruderübungen im Kutter geschritten, die bis gegen 7 Uhr währen, da dann die Anstalt gekehrt und hiernach das erste Frühstück, bestehend aus Kaffee und Butterbrod, eingenommen wird. – Um 9 Uhr beginnt der Schulunterricht. Derselbe besteht für zwei Classen abwechselnd in Mathematik, Navigation, Geographie und neueren Sprachen, während eine Classe (die Schüler sind in drei Classen und 2 Wachen – Steuerbords- und Backbordswache – eingetheilt) mit praktischen Arbeiten, wie z. B. Splissen (Taue künstlich zusammenfügen), Zimmern, Malen u. dgl. beschäftigt wird. – Um 12 Uhr ertönt das Signal zum Mittagsessen. Bevor wir jedoch der Mahlzeit beiwohnen, möge noch bemerkt werden, daß der Reihe nach 2 Zöglinge als „Backsjungen“ fungiren. – „Back“ ist nämlich auf Kriegsschiffen die technische Bezeichnung für einen an der Schiffswand befestigten Klapptisch, hier natürlich durch einen gewöhnlichen Tisch ersetzt, der als Speisetisch gilt und den die Backsjungen „auf- und abzubacken“ haben. – So auch hier, und sobald aufgebackt ist, pfeift der Bootsmann zum „Schaffen“ – was wir „Landratten“ „Essen“ zu nennen pflegen. – Von dem gesunden Appetit der jungen Mannschaft habe ich bereits geredet, und bemerke nur noch, daß die Speise mehrentheils aus Fleisch, Hülsenfrüchten, Reis und Kartoffeln besteht. Freitags giebt es regelmäßig Fische, und Sonntags Braten, Gemüse und Pudding; – in der Woche auch dann und wann dickgekochten Reis mit trockenem Obst gemischt. Erbsen, Bohnen, Graupen und Grütze spielen eine bedeutende Rolle bei den Genüssen des Seemanns.

Die Zeit von 12½ bis 2 Uhr ist der Erholung auf dem Tummelplatz draußen gewidmet, oder vielmehr jeder geht seinen Launen und Neigungen nach. – Von 2 bis 4 Uhr Unterricht wie Morgens. Um 4 Uhr schlägt die Vesperzeit; da aber auf Schiffen von Uhrschlagen keine Rede ist, so verrichten dieses allemal Menschenhände, und das nennt man dann „Glasenschlagen“. Das Vesperbrod besteht aus Butterbrod und einem Glase Bier. Bis 5 Uhr allgemeine Erholung wie vorher, Turnen etc. Von 5 bis 7 Uhr hat eine Classe Navigationsunterricht und zwei Classen haben Aufgaben zu machen. Um 7½ Uhr wird zu Abend gegessen, nämlich Thee und Butterbrod. – Nach dem Abendessen mag sich Jeder beliebig beschäftigen, lesen, schreiben, musiciren, singen, was Geist und Sinn vermag; lange kann es aber nicht währen, denn schon um 8¾ Uhr pfeift der Bootsmann unerbittlich zu „Kojes“, und müde oder munter voltigirt Jeder in seine Hängematte.

Das sind nun so ungefähr die Grundzüge der Tagesbeschäftigung, von denen nur Sonn- und Festtage eine Hauptausnahme zulassen. Kleinere Abweichungen bringt aber unter anderem auch der Mitwoch Vormittag, wo von den Zöglingen großer Wäsch- und Flicktag abgehalten wird, denn Jeder wäscht hier seine Leinwand und flickt sein Zeug selber. Sonnabends aber tritt die Generalreinigung der ganzen Anstalt ein, wo jeder Betheiligte dann seinen festen Arbeitsplatz hat. Daß dem Seemann nicht, wie unser Einem, die Nacht zur unbedingten Ruhe gewährt ist, ist wohl jeder Landratte bekannt. So ergeht es auch den angehenden Seeleuten in der Seemannsschule. Zwei derselben müssen, überwacht von einem Unterofficier, abwechselnd Wache halten, die Anstalt in Intervallen durchpatrouilliren. Am Tage hat nur ein Zögling die Wache, der dann das Thor den Ein- und Auspassirenden zu öffnen und „Glasen“ zu schlagen, d. i. alle halbe Stunden an der großen Glocke anzuschlagen hat. Zu dieser planmäßigen Beschäftigung der jungen Leute werden nun später, nach Vollendung des Schulschiffes, noch die Uebungen mit Tauen und Segeln, Klettern etc. als wesentliches Erforderniß eines tüchtigen Matrosen kommen, und es wird somit dann der ganze Complex der seemännischen Praktik vereinigt sein. Der Hauptinstructeur in den manuellen Fertigkeiten ist der Bootsmann (ein früheres Mitglied der preußischen Marine, der unter anderem auch die bekannte ostasiatische Expedition des preußischen Geschwaders mitgemacht hat, und mit schätzenswerthen Kenntnissen auch eine treffliche Begabung für seinen jetzigen Beruf vereinigt). Ferner gehört zu dem Personale 1 Zimmermann, 1 Quartiermeister, 1 Maschinenmeister für die „Thusnelda“, und für theoretische Kenntnisse 2 Sprachlehrer und 1 Lehrer der Mathematik und Navigation.

Der Leser wird eingestehen, daß für die Anfänge dieses Instituts als Privatunternehmen das irgend Mögliche geschehen und die Hoffnung begründet ist, es werde die für die deutsche Marine in jeder Hinsicht hochwichtige Anstalt durch reiche Frequenz zu einer Blüthe emporgehoben werden, von der dessen Existenz abhängig ist. – Nicht wenig wird die Hinneigung von Eltern und Pflegern seemannslustiger deutscher Söhne zur Benutzung der deutschen Seemannsschule in Hamburg durch die Zusage der ersten Rheder und Kaufleute daselbst gehoben werden, daß dieselben vacante Plätze als Decksjungen und Leichtmatrosen auf ihren resp. Schiffen vorzugsweise nur durch Zöglinge der Seemannsschule besetzen wollen. – Es ist indeß von Wichtigkeit den betheiligten Eltern wohlmeinend zu rathen, ihre Söhne nicht später als im vierzehnten Lebensjahre zur Vorbildung in die Seemannsschule zu schicken, da es sich schon jetzt durch Erfahrung herausgestellt hat, daß junge Leute, die das für die Aufnahme vorschriftsmäßige Alter von 15½ Jahren bereits überschritten haben, sich nur schwer in die ihnen neuen und von der gewohnten Lebensweise eigenthümlich abweichenden Verhältnisse fügen, und dadurch leicht Conflicte entstehen, die später bei der ersten Seereise in noch ungleich verstärkem Maße hervortreten.

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