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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

An der Außenseite des Hafens angekommen, schoß plötzlich unfern von uns ein hochbordiger Ruderkutter, von mindestens zwölf strammen, aber unbärtigen Blaujacken besetzt, nach dem jenseitigen Ufer, in den sogenannten Reiherstieg hinein. Die nobele Erscheinung des Ganzen, unten und oben, das exacte Rudertempo, das schlagfertige Folgegeben des Commandos vom Steuer her, das Alles erinnerte an die wohlexercirte Mannschaft eines Kriegsschiffs; was Wunder, daß ich neugiertg war, von meinem graubärtigen Führer zu erfahren, welchem Schiffe die dralle Mannschaft angehöre.

„O, Herr, dat sind de Jungens von de dytsche Seemannsschool up Steenwarder!“ explicirte der Alte, und nun tauchte plötzlich die Erinnerung von Explicationen deutscher Journale über diese

Der Schlafsaal der deutschen Seemannsschule.

neueste Errungenschaft Hamburgs in mir auf, und daß ich bei Durchsicht derselben nur immer die äußern gemeinen Umrisse beschrieben gefunden, und die genauere Darstellung der inneren Specialitäten, den eigentlichen Kern also, vermißt hatte.

So ließ ich denn – obgleich mir mein Führer nicht sagen konnte, ob mir der Zutritt frei stehen werde – dennoch den Schnabel meiner Jolle nach Steinwärder richten, vertrauend auf das Privilegium anständiger und wißbegieriger Fremden, überall offene Thore und offene Herzen im deutschen Vaterlande zu finden. Wenige Minuten, und ich trat in demselben Augenblick an einem überaus bequemen schwimmenden Stege an’s Land, als ein kleiner, stark besetzter Passagier-Fähr-Dampfer nach dem rechten Elbufer hinüberschoß. – Auf diese Wahrnehmung hin lohnte ich meinen Jollenführer ab, nachdem er mir noch die schwarz-roth-goldene Flagge gezeigt, nach der ich zuzusteuern habe, stieg nun eine ziemlich hohe Treppe hinauf und stand somit nun auf dem Eiland Steinwärder.

Nachdem ich mich an dem imponirenden Panorama auf meinem Wege nach der Seemannsschule gemächlich geweidet, war ich allmählich bis zur verschlossenen Pforte der Anstalt angelangt, die aber auf einen kühnen Griff an die Klingelschnur schnell geöffnet wurde, wonach dann einer der jungen zukünftigen deutschen Admiräle, mit freundlicher Höflichkeit die Mütze ziehend, mich nach der Thür der Directorenwohnung zeigte. – Bevor ich so weit avancirte, besah ich mir im Fluge den weiten Vorhof, in dessen Mitte ungefähr man beschäftigt war, das Gerippe eines Schulschiffes auf einem gemauerten Untergrunde auszuzimmern. – Damit ich auf dieses erste und nothwendigste Stück einer praktischen Seemannsschule (nicht zu verwechseln mit einer Navigationsschule) nicht wieder zurückzukommen brauche, will ich hier gleich vorweg bemerken, daß dieses fast auf dem Lande erbaute Schiff der Classe nach eine kleine Fregatte bildet, an welchem außer dem unteren Schiffsgefäß alles dasjenige vorhanden ist, was eine schwimmende Fregatte zum Segeln bedarf, also namentlich auch die Masten und Takelage, an deren Segeln, Wanten, Tauen u. s. w. die Seemannsschüler praktisch alle jene Handgriffe sich anzueignen und einzuüben haben werden, deren sie in ihrem zukünftigen Berufe bedürfen. Im Uebrigen fand ich den erwähnten Hofraum zu Gemüse-Anbau benutzt, der wohl geeignet sein dürfte, einen schätzbaren Beitrag zu den sehr beliebten Tafelfreuden jugendlicher Esser zu liefern.

Von der gesunden Eßlust der jungen Mannschaft sollte mir bald genug der Augenschein einen überzeugenden Beweis liefern, denn der Zufall wollte, daß ich just zur Mittagsmahlzeit in den Speisesaal trat. – Ich muß gestehen, die Sauberkeit und Nettigkeit, die derbe und gedrungene Einfachheit der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_492.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)