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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Schüsse auf unsere Reiter, die mit dem Umdrehen der Wagen zu thun hatten. Körner, der sah, wie gefährlich die Franzosen von diesem Gebüsch aus den Unsrigen wurden, rief den nächsten Husaren zu: „Cameraden, wer folgt mir da hinein?“ – der kühne Jüngling bedachte nicht, daß Reiterei in einem Walde gegen Fußvolk immer verloren ist. Er sprengt bis an einen Graben und ist im Begriff, einen der Feinde niederzuhauen, als er von demselben den tödtlichen Schuß erhält und vom Pferde sinkt. Und dieser Feind, der den deutschen Dichter erschoß, soll – ein Deutscher gewesen sein! – – So mußte damals das arme Vaterland gegen sich selbst wüthen.




Beinahe ein Jahr nach diesem Unglückstag stand unser Corps in Oudenarde in Belgien in Cantonnirungsquartieren. Ich benutzte die Zeit der Ruhe, um meinen Onkel, den verstorbenen Kunsthändler Rudolph Ackermann in London, zu besuchen. Durch ihn wurde ich mit der deutschen Correspondenz der zwei Hülfsgesellschaften beauftragt, die sich in der City und in Westminster zur Unterstützung der durch den Krieg verunglückten Deutschen gebildet hatten. Man glaubte, daß der wohl am geeignetsten sein möchte, Wunden zu heilen, der eben genöthigt gewesen war, sie schlagen zu helfen. 130,000 Pfund Sterling wurden durch diese beiden Gesellschaften allein an milden Beiträgen zusammengebracht; andere 100,000 Pfund Sterling bewilligte das Parlament, so daß nahe an drei Millionen Gulden zur Unterstützung der Nothleidenden nach Deutschland geschickt werden konnten. Die Vertheilung von London aus hatte aber ihre Schwierigkeit. Die Berichte der deutschen Stadträthe und Hülfsgesellschaften, mit deren mehr als funfzig ich zu correspondiren hatte, konnten nicht wohl als maßgebend angenommen werden, da es in der Natur der Sache lag, daß diese ihre durch den Krieg erlittenen Verluste in der Regel als die schrecklichsten im ganzen Vaterlande darstellten, um so viel als möglich von den goldenen Strömen Albions auf ihre Fluren zu leiten. Mein trefflicher Onkel, der der Urheber des ganzen wohlthätigen Unternehmens gewesen und daher die Seele beider Gesellschaften war, wußte sich indeß zu helfen. Er gab mir eine nicht illuminirte Karte von Deutschland und wies mich an, die Gegenden, in denen es während des Krieges blutig hergegangen sei, die also auch wahrscheinlich vorzüglich gelitten hätten, mit roter Dinte mehr oder weniger, je nach meinem besten Wissen, anzustreichen. Das geschah. Um Leipzig herum entstand so ziemlich ein rotes Meer, und von da aus ergoß sich ein roter Fluß die ganze Heerstraße entlang über Erfurt und Frankfurt bei Mainz in den Rhein; die vielen roten Flecken nicht gerechnet, die hier und da auf der Karte als Sporaden figurirten. Das blutige Bild war fertig, aber jedenfalls auch ein sehr unzulänglicher Maßstab der Hülfsbedürftigkeit in Deutschland. Indeß, es hatte für die alten Herren, unter welchen mehrere Bischöfe, selbst der Primas von England, der Erzbischof von Canterbury, waren, und die wohl Deutschland eben so wenig, als den Krieg je mit eigenen Augen gesehen hatten, die beiden großen Vortheile der Anschaulichkeit und der möglichsten Unparteilichkeit. Ich hatte für jede Gesellschaft ein Exemplar auf diese Weise entwerfen müssen, und in allen ungewissen Fällen, was so ziemlich alle waren, richtete man sich mit den Guineen nach der rothen Dinte.

Es war zum Theil in Angelegenheiten dieser Gesellschaften, daß ich im Winter 1814 bis 1415 eine Reise nach Deutschland, vorzüglich nach Sachsen, was bekanntlich am meisten durch den Krieg gelitten hatte, machen mußte. Auf dieser Reise kam ich nach Dresden, und wurde in Körner’s Familie mit großer Herzlichkeit aufgenommen. Ich lernte Körner’s Schwester, Emma, kennen. Es war eine hochbegabte Jungfrau, und in ihrem Kreise für des Vaterlandes Ehre und Erhebung so wirksam, wie es ihr Bruder in dem seinigen gewesen war. Sie hatte ihn nicht nur (aus der bloßen Erinnerung) als Lützow’schen Jäger in Oel gemalt, wonach der bekannte Kupferstich gemacht worden ist, sondern auch sonst noch in verschiedenen Lebensaltern. Jetzt war sie beschäftigt mit einem kleinen Miniaturbilde, welches ihn als siebenjähriges Kind vorstellte, und womit sie ihren Vater bei seinem bevorstehenden Geburtstage zu überraschen gedachte. Sie fragte mich nach meinem Urtheil über die verschiedenen Bilder, welches wohl das geistige Wesen ihres Bruders am besten wiedergebe; und ich mußte mich unbedingt, nicht für das große Oelgemälde, sondern für das kleine Bildchen aussprechen. Emma war eben mit ihren Eltern in Mecklenburg am Grabe des Bruders gewesen. Sie erzählte mir, wie sie da eine unendliche Sehnsucht ergriffen habe, ihn zu sehen, wie aber ihr Vater, zu große Gemüthsbewegung fürchtend, ihrem Wunsche nicht willfahret habe, das Grab öffnen zu lassen.

Als sie mir das sagte, stand sie noch vor mir in der ganzen Fülle jugendlicher Gesundheit, und – vier Wochen später sehnte sie sich nicht mehr nach ihrem Bruder; denn sie ruhte im Grabe unter der Eiche bei Wöbbelin neben ihm.

Kaum nach London zurückgekehrt, erhielt ich von einem Freund des Hauses die Nachricht, daß Emma am Nervenfieber darniederliege und in ihren Phantasien oft den Namen Theodor nenne; der nächste Brief brachte mir die Nachricht ihres Todes, und der dritte die, daß ihre Leiche nach Wöbbelin gebracht worden sei, um mit der des Bruders in einem Grabe zu ruhen.

Mein Vaterland, vergiß nicht das treue Geschwisterpaar unter der Eiche bei Wöbbelin! [1]




Damit wird der alte wackere Dorfschulze Franck gewiß auch einverstanden sein, und wenn sein Geist wieder einmal einen lichten Augenblick hat, sich der schwarzen Jäger um die Körnerleiche und Körnereiche erinnern.

Auf mich sind heilige Andenken unseres Körner gekommen. Mein Bruder hinterließ mir, außer einem reichhaltigen Briefwechsel mit den ihm befreundeten Kriegscameraden, wie Fr. Förster, Nostitz (nachmaligem sächsischen Minister), Thümmel und Anderen, auch einige ihm von Körner’s Familie gemachte Geschenke, wie dessen Brieftasche in seiner Todesstunde, ein von dessen Schwester Emma gefertigtes Miniaturgemälde, ihren Bruder als 7jährigen Knaben darstellend, Körner’s Bild als Lützower u. dergl. Mir sind dies und eine von meinem Bruder dem Entseelten abgeschnittene Haarlocke Heiligthümer, die mich zugleich in meinem 73. Lebensjahre mit jugendlicher Frische in eine bewegte Zeit meines Lebens zurückführen.




De Jungens von de dytsche Seemannsschool.

Als ich nach manchen Jahren die Perle deutscher Städte, das vielfach als alte Hansestadt bezeichnete Hamburg wieder sah, da fiel mir zunächst die verjüngte Schönheit, die imponirende Pracht der Neubauten, der raffinirte Comfort außen und innen der neuen Paläste, und die brillante Kaufläden-Tournure als imponirende Contraste gegen früher, nebst der mindestens verdoppelten Lebendigkeit der Gassen gegen damals in’s Auge, als ich diese deutsche Handels-Metropole zum letzten Male sah. – Aber ich wußte diesen imponirenden Steinmassen keine poetische Seite abzugewinnen. Der Fremde sucht nicht die Stadt, auch nicht die Hanse-Stadt. sondern die „An-See-Stadt“ wie die Alten das Ding naiv beim rechten Namen nannten, und daher ist es der Hafen vor allem, der uns Binnenländer magnetisch anzieht, und wo Einem dann das Herz aufquillt in Lust und Wonne, und alte Geschichten und alte Gefühle von Fernweh wieder auftauchen, wie sie einst aus Campe’s Robinson, Cook’s Reisen um die Welt u. s. w. in dem muthigen Knaben aufloderten.

Mit welcher Wonne stürzte ich mich daher in das Getümmel der Theerjacken, indem ich mich von einem alten grauen „Jollenführer“ zwischen den schnaubenden und ächzenden Schiffskolossen, die da in Reihe und Glied lagen, und deren Flaggen und Wimpel lustig im Winde flatterten, umherschaukeln ließ!

  1. Der alte Körner trat später in preußischen Staatsdienst. Als ich die nun kinderlosen Eltern nach einigen Jahren in Berlin wieder besuchte, zeigten sie mir auch das kleine Miniaturgemälde, als die theuerste Verlassenschaft ihrer Emma, das letzte Zeichen der Liebe für ihren Vater, dessen Geburtstag sie nicht mehr erlebt hatte. Ich theilte ihnen mit, was ihre Tochter darüber noch mit mir gesprochen hatte, und so schenkten sie es mir, als dem Vertrauten ihres Vorhabens, damit es in Freundes Hand bleibe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_491.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)