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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

neues Verhältniß war der Tag vergangen. Ich lag auf meinem Strohlager. Alles schlief um mich, nur ich konnte keinen Schlaf finden. Wir hatten in diesen Tagen die Nachricht von dem abgeschlossenen Waffenstillstand erhalten, und ich fürchtete die berückende Schlauheit des Corsen noch mehr als sein Schwert. Unsere Heere waren vor ihm in die Lausitz zurückgewichen. Er gewann jetzt Zeit, sich zu verstärken. Wenn der Waffenstillstand mit einem Frieden enden, und Napoleon seinen furchtbaren Einfluß in Deutschland behaupten sollte, welches Schicksal stand dann uns armen von ihm schon geächteten Lützowern bevor? – Verbannung oder Tod, Amerika oder jene hellen Sterne, an denen bei diesen Betrachtungen meine Augen fest hingen.

Da hörte ich auf einmal weiter unten im Lager schönen Gesang; ich raffte mich auf, eilte den Tönen nach, und fand eine Gesellschaft fröhlicher Freunde, die, weil ihnen das Glück eine Bouteille Arac zugeführt, Punsch gemacht hatten, und nun nach Zelter’schen Melodien Lieder sangen, die Körner gedichtet hatte. Ich half ihnen singen und trinken bis auf die Neige. Dann suchte jeder seine Ruhestätte bei seiner Schaar. Im Lager war wieder Alles still. Nur vom Dorfe her hörte man Wagengerassel und unseres Jahn’s Stimme dazwischen. So wenig auffallend dies Letztere auch war, so sprang ich doch noch einmal auf, um zu sehen, was denn wohl Jahn jetzt noch, um Mitternacht, im Dorfe zu wirthschaften habe. Der Mond war aufgegangen, und ich sah einen langen Zug von beladenen Wagen aus dem Dorfe kommen, begleitet von Einzelnen unserer Husaren. Ich fragte den ersten, der an mich herankam, was sie da brächten; er sagte, sie wären so glücklich gewesen, den Franzosen den ganzen Transport von 40 Wagen mit Zwieback abzunehmen, nur hätten sie leider ihren Lieutenant dabei verloren. Mich interessirte dies zunächst nicht besonders, da ich unter der Cavallerie nur wenig Bekannte hatte; doch fragte ich nach dem Namen. Als mir der Husar Körner nannte, dachte ich auch nicht von Weitem daran, daß das unser Theodor sein könnte. Auf meine weitere Frage: was für ein Körner? deutete der Husar auf den nächsten Wagen, mit den Worten: „Da liegt er, da können Sie selbst sehen.“ – Es war der Dichter!! – In diesem Augenblick kam Jahn in Hast an mich heran: „es ist mir lieb, daß ich dich finde, du bist heute Officier geworden, ich übergebe dir hiermit diese 40 Wagen sammt den darauf befindlichen Gefangenen; laß die Wagen auffahren, umstelle sie mit Mannschaft und hafte für ihre Sicherheit, bis der Morgen kommt.“ Fort war er wieder, der alte Jahn! ich glaube, ich hatte nicht einmal so viel Zeit, ihm etwas von unserem großen Verlust zu sagen. Pflichterfüllung trat jetzt an die Stelle des Schmerzes. Ich ließ die Wagen möglichst nah zusammenfahren, auf mehreren lagen todte schwarze Husaren, auf anderen verwundete Franzosen.

Nun eilte ich an Körner’s Wagen. Daß er uns für immer entrissen sei, hielt ich noch nicht für möglich; ich meinte, er sei vielleicht schwer verwundet, schlafe oder liege in Ohnmacht und werde uns wohl noch einmal, so wie nach jenem fürchterlichen Hieb, der ihn schon bei Leipzig in eine tiefe Ohnmacht versenkt hatte, erhalten werden. Ich wollte mich daher von der Art der Verwundung selbst überzeugen. Den Kopf fand ich frei von jeder Wunde, ebenso die Brust; aber mitten in der Magengegend fühlte ich eine Schußwunde, die ihrer Richtung nach das Rückenmark verletzt haben mußte. Da hatte ich denn plötzlich die schreckliche Gewißheit, daß der Herrliche für uns unrettbar verloren sei. Ich weckte die Freunde und theilte ihnen die traurige Kunde mit. Bald schlief im ganzen Lager Niemand mehr. Alles war von tiefem Schmerze ergriffen.

In der Compagnie, in welcher Körner zuletzt als Lieutenant gestanden hatte, waren zwei Schreinergesellen. Diese verschafften sich sogleich im Dorfe Eichenholz und machten sich noch in der Nacht daran, ihm einen Sarg zu zimmern. Nahe bei unserem Lager stand das Häuschen des Hirten. Da hinein wurde Körner’s Leiche gebracht und in die Mitte der Hausflur auf eine lange Tafel auf Eichenlaub gelegt. Außer Körner waren noch ein Graf Hardenberg, der als Freiwilliger diese Expedition mitgemacht hatte, und ungefähr sieben von unseren Husaren gefallen. Diese wurden auf den Boden der Hausflur ebenfalls auf Eichenlaub um die lange Tafel, auf der unser Heldenjüngling lag, herumgelegt. Sie waren Alle von wohlgezielten Schüssen plötzlich getödtet und daher mit den Mienen, die sie im Augenblick ihres Todes gehabt hatten, erstarrt. Da sah man noch freudigen Muth oder Zorn in ihren Gesichtern; Einer hielt den Arm in die Höhe und die Faust geschlossen, als wollte er eben zu einem Streiche ausholen; Einer schien sogar zu lachen. Es war ein schauerlich belebtes Bild, diese sprechenden Leichen auf dem Boden umher! Körner’s Mienen waren ruhig; so schien sein Gemüth im Augenblick des Todes gewesen zu sein. Als den schwer Getroffenen, vom Pferde Stürzenden seine Cameraden auf den Wagen legten, soll er noch mit großem Gleichmuth gesagt haben: „ich habe wieder Etwas weggekriegt, doch es wird wohl nichts zu bedeuten haben.“ – Einen Augenblick darauf hauchte er sein schönes Leben aus.

Was von Malern unter unseren Freiwilligen war, kam herbei, um seine Züge auf dem Papiere festzuhalten. Förster und ich aber gingen zu Major Petersdorf, mit ihm das Nähere über unseres Freundes Beerdigung zu besprechen. Wir äußerten den Wunsch, ihm unter der größeren der beiden Eichen ein Grab allein machen zu dürfen. Indeß unser Major meinte, er finde es viel passender, ihn unter den Meilenstein zu legen, der bei dem Dorfe an der Landstraße stand; denn dieser könne dann zugleich als ein Denkmal des Dichters dienen. Wir waren entrüstet über das Unpassende dieses Vorschlags und erklärten, daß wir die Bestattung unseres Körner an solch profanem Orte nimmermehr zugeben würden, er bedürfe keines Meilenzeigers zum Denkmal, er habe sich eines in den Herzen seines Volkes auf ewige Zeiten gesetzt, übrigens wiederholt in seinen Gedichten den Wunsch ausgesprochen, wenn er bliebe, unter einer deutschen Eiche zu ruhen. Der Major, der sonst ein wohlwollender Mann war, ließ noch einige Worte über jugendlich romantische Ideen fallen, und gab nach, da er wohl fühlte, daß die Rechte des Befehlshabers denen der Freundschaft in dieser Angelegenheit weichen mußten.

Förster, Nostitz, Thümmel und ich ließen es uns als Körner’s Freunde und Landsleute nicht nehmen, ihm sein Grab zu machen.

Unter der zweiten Eiche wurde zugleich ein zweites größeres Grab für die übrigen gefallenen Cameraden gegraben.

Gegen Mittag war Alles fertig. Körner lag in seinem eichenen Sarge auf Eichenblättern, und nun setzte sich vom Hirtenhäuschen aus der Trauerzug unter dem gedämpften Schall der Trommeln in Bewegung. Was im Lager abkommen konnte, schloß sich an; auch Officiere von Regimentern des Wallmodischen Corps, die gerade vorbei marschirten. Da die vierte Compagnie des ersten Bataillons seit Körner’s Tod ohne Officier war, führte Freund Stiebel (damals Feldwebel Bär) den Leichenzug. Als wir den Sarg in das Grab gesenkt hatten, sangen Diejenigen, die vor Weinen singen konnten, noch einige Verse aus seinen Liedern, in denen er seinen Tod für’s Vaterland wiederholt voraus verkündigt hatte, dann warfen wir vier Freunde das Grab zu, und der alte Markworth von Berlin schnitt Körner’s Namen und Todestag so tief in die das Grab überschattende Eiche ein, daß diese Inschrift wohl bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz verschwunden sein wird.

Voll Trauer, wie wir waren, wollten wir eben still auseinandergehen, als plötzlich Alarm im Lager geblasen wurde und es hieß, der Feind zeige sich. Da strahlten die traurigen Gesichter auf vom freudigsten Muthe. Was konnte uns in diesen Augenblicken des dumpfen, sprachlosen Schmerzes erwünschter sein, als denen im Kampfe zu begegnen, an denen wir unsern Zorn auszulassen nur zu sehr berechtigt waren, die durch ihre ungerechten Kriege schon so viel Elend und Schmach über unser Deutschland gebracht, die uns eben erst noch unseren herrlichen Freund geraubt hatten! – Aber leider! es war nur ein blinder Lärm gewesen. Wir mußten unsere Waffen wieder hinstellen, und hatten Zeit genug unseren trüben Gedanken weiter nachzuhängen.

Was war das ganze Ergebniß des unglückseligen Zuges gewesen? Wir hatten unsern Körner, die Zierde unseres Corps, den Stolz der Jünglinge Deutschlands hingeopfert, und was hatten wir dagegen gewonnen? – – eine Partie Zwieback!! O Krieg! o menschlicher Wahnsinn!

Ueber das Nähere von Körner’s Tod hörten wir Folgendes: Am Morgen, so lange die Schwadron im Versteck lag, hatte er sich mit Schreiben beschäftigt. Förster fand in der Brieftasche desselben den Entwurf zu dem schönen Schwertliede, den er später vervollständigte. Als der erwartete Transport in die Nähe des Hinterhaltes kam, und unsere Husaren sich auf die aus ein paar Hundert Mann bestehende Bedeckung stürzten: flüchteten sich die Feinde in ein nahe liegendes Gehölz, und richteten von da aus ihre sicheren

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