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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


sogar vielleicht zum Nutzen seines Embonpoints (siehe Abbildung) eine reichliche, praktisch-ärztliche Beschäftigung finden.

Dieses Embonpoint führt uns gleich auf den noch übrigen Theil unserer Aufgabe, nämlich die Persönlichkeit unseres Freundes. Wer dick wird, ist in der Regel ein gemüthlicher Mensch und sorgt oder ärgert sich nicht tief. Beides trifft hier zu. Die vielen Feinde Bock’s haben ihm, der schon das funfzigste Jahr hinter sich hat, noch keines seiner schönen schwarzen Haare weiß machen können! – Seine Gemüthlichkeit, sein Humor, seine unerschöpfliche Spaßhaftigkeit sind in seiner Vaterstadt allbekannt und durch die giftigsten Störungen niemals unterdrückt worden. Seine etwa angesammelte Galle macht sich immer zur gebührenden Zeit nach außen hin Luft, im Nothfall gegen die Homöopathen.

Manche Leute finden dies mit dem Charakter seiner Schriften nicht vereinbar. Ich finde im Gegentheil, daß dies ein allgemeines Gesetz ist. Die trockensten Fachmänner, Rechnungsmenschen, Juristen etc. haben gewöhnlich in ihrem Privatleben eine höchst gemüthliche oder phantastische Seite. Und so wird ein Mann, der die nüchternste Erfahrungswissenschaft, die Anatomie, betreibt und der immer nach außen hin kämpft, auch auf der anderen Seite den Bedürfnissen des Gemüths Rechnung tragen. Am angenehmsten überrascht dies manchmal die Patienten, welche Bock consultiren. Sie glauben einen schrecklich groben, rauchbärtigen Isegrimm zu finden und treten zitternd ein. Elegantes Boudoir, Epheulaube über Schreibtisch und Sopha; die seltensten Blumen (zu denen sogar Lüdicke’s Wintergarten in Dresden beitragen muß), alle neu in Blüthe; der gefürchtete Doctor selbst wohlgelockt und in der Regel (wenn die Anrede nicht albern ist) auch freundlich empfangend. Da bleiben sie dann beim Fortgehen auf der Treppe stehen und sagen: „Mein Gott, das ist ja ein ganz hübscher Mann, den habe ich mir ganz anders gedacht!“ – was dann den parterre wohnenden Lauschern von Bock’s Familie zur höchsten Ergötzlichkeit dient.

Ich will damit nicht in Abrede stellen, daß unser Freund manchmal grob und verletzend aufgetreten ist. Aber eine Mehrzahl derjenigen Geschichten, welche man in dieser Beziehung erzählt, sind erlogen oder übertrieben. Namentlich aber ist die Sage, daß Bock den Kranken ihren Tod rücksichtslos voraussage oder sie überhaupt ängstlich mache, eine Verleumdung. Ich will nur eine Geschichte mittheilen, die wirklich vorgefallen ist, und will dem Leser dann das Urtheil überlassen.

Ein alter, den Tod schrecklich fürchtender Herr ist Abends auf dem Sopha eingeschlafen, wacht auf und kann den Hals nicht bewegen. Er denkt, der Schlag habe ihn gerührt, macht (immer liegend) schrecklichen Lärm und läßt Bock aus angenehmer Gesellschaft holen. Dieser folgt denn auch der Aufforderung und findet im Hause des Kranken Alles weinend und in großem Jammer. Er tritt an’s Bett und besieht sich den Sterbenden. „Sie elender Feigling!“ ruft er plötzlich, „den Augenblick stehen Sie auf und machen, daß Sie aus der Stube kommen. Gehen Sie spazieren, Sie alter –, das ist gescheidter, wie Ihrer Familie was vorjammern!“ Bock hatte sofort erkannt, daß es ein bloßer Nacken-Rheumatismns war und der Alte folgte seinem Befehl und war fortan für immer von seiner Schlagflußfurcht curirt. – In dieser Art hat Bock mehr als Einen durch eine einzige derbe Ansprache curirt, ja zum dankbarsten Anhänger gewonnen. Diese Verfahrungsweise ist in vielen Fällen sehr gut; sie darf nur nicht zur Maxime werden.

Und damit, lieber Leser, komme ich zum Schlusse. Warum habe ich Dir dieses Lebensbild vorgeführt? Aus Cameraderie gewiß nicht; es fiel mir nicht ein dergleichen zu schreiben; ich hatte Dringendes zu arbeiten, als Freund Keil mich dazu aufforderte. Aber wenn man einmal von diesem eigenen Kauz, dem Bock, spricht, so muß man eben die Seite an ihm hervorheben, welche an ihm für das deutsche Volk die wichtigste ist. Und dies ist, mit wenig Worten gesagt, folgendes: er ist – was sich in Sachsen so schwer bildet und so selten findet – ein ganzer Mann!



Noch eine Erinnerung an Wöbbelin.
Von Apell.-Rath Ackermann in Dresden.

Mit Wehmuth greifen wir gerade in diesen Tagen nach jedem Erinnerungsblatte aus dem denkwürdigen Jahre 1813, mit Wehmuth besonders nach dem, was uns die Presse, vor Allen aber die „Gartenlaube“ über unsern jugendlichen Tyrtäus Körner brachte und bringt. Tausende ihrer Leser haben daher auch mit Dank in Nr. 27 die Mittheilung über die „Körnergräber und ihr alter Wächter“, den alten ehrwürdigen Dorfschulzen Franck, gelesen.

Nicht um das, was der biedere Greis aus jener Zeit erzählt, zu bezweifeln und zu berichtigen, sondern um Einiges zu erläutern, was ein halbes Jahrhundert und Geistesschwäche verwischt, erlaube ich mir nachfolgende Mittheilung.

Wer aber berichtigen oder auch nur ergänzen will, muß dazu berechtigt sein. Ich legitimire daher zuvörderst meine Bekanntschaft mit unsrem Körner. Er Leipziger, ich Wittenberger Student, hatten wir bei den Reibungen einiger Verbindungen beider Universitäten und bei den diesfalls vorkommenden Verhandlungen mehrfache Gelegenheit uns zu sehen und zu messen. Man reiste herüber und hinüber, als gälte es Europa’s Wohl. Dabei kam auch im Winter 1810 Körner von Leipzig zu uns. Sein freies, jugendliches, joviales, studentisch ungenirtes Wesen erwarb sich bald Freunde.

Der Krieg sprengte nach wenig Jahren die mehr als 300jährige Universität Wittenberg und schleuderte ihre Jünger nach Ost und nach West. Körnern, der inzwischen bereits seine Dichterbahn betreten, führte er auf seine blutige Bahn.

Mit Körnern zugleich focht mein Bruder, den deutscher Patriotismus aus glücklichen Verhältnissen bei seinem väterlichen Freunde Pestalozzi zu Yverdun in der Schweiz in sein Vaterland zurück und in Dresden in das Lützow’sche Corps geführt hatte. Mein edler Bruder, eine hohe, reine, deutsche Natur, gebildet durch Reisen und Wissenschaften, ward bald Körner’s Freund. Seinen Mittheilungen verdanke ich manche Erhebung und manche interessante Erzählung von dem Heldensänger, so auch über Körner’s Tod und Beerdigung.

Aus diesen mündlichen Mittheilungen, und aus den bereits vor sechzehn Jahren veröffentlichten „Erinnerungen aus den deutschen Befreiungskriegen in den Jahren 1813 und 1814“ enthaltenen Aufsätzen meines Bruders kenne ich dessen Antheil an den traurigen Feierlichkeiten nach Körner’s Tod; und ich glaube kein tadelnswerthes Plagiat zu begehen, wenn ich, unter Zugrundlegung eines Aufsatzes meines schon längst in seinem lieben Frankfurt heimgegangenen Bruders, diesen selbst sprechen lasse.




Der 20. August 1813 war für uns ein trauriger Tag; an ihm verloren wir einen unserer herrlichsten Kampfgenossen, den Streiter mit Leier und Schwert.

Unser Corps bivouakirte auf einer Trift bei Wöbbelin, in deren Mitte zwei uralte Eichen standen. Förster und ich waren mit noch ein paar Freunden an diesem Morgen zu sogenannten Corpsofficieren ernannt worden; das hieß, wir waren officiersdienstthuende Oberjäger, so lange, bis die Bestätigung des Königs, dem wir zu Officieren vorgeschlagen waren, ankam. Wer, wie wir, als Gemeine, Gefreite und Unterofficiere gedient hatte, weiß, was das sagen will, Officier zu werden. Man verläßt die Classe der Gehorchenden und tritt hinauf in die der Befehlenden. Man hat die höchste Stufe militärischer Ehre nun erreicht; ob Lieutenant, ob Feldmarschall, anderes als Officier kann man nicht mehr werden. Im Lager und in unseren Herzen war Sonnenschein; aber ein finsterer Schatten sollte bald alle Freude auslöschen. Lützow, der mit dem Corpscommando sich nicht gern viel zu schaffen machte, sondern lieber, wie er einst mit seinem Freunde Schill gethan, auf Husarenabenteuer auszog, hatte auch heute das Commando dem Major Petersdorf übertragen und war mit seinen Adjutanten und einer Schwadron Husaren weggeritten, um sich vier Stunden weit von unserem Lager in einen Hinterhalt zu legen und von da aus einen Transport Zwieback wegzunehmen, der, wie er durch Spione erfahren hatte, unter militärischer Escorte nach Hamburg gebracht werden sollte.

Man hatte mir ausnahmsweise vergönnt, bei derselben Compagnie, bei der ich bisher als Unteroffizier gestanden hatte, nun auch als Officier zu bleiben. Unter allerlei Einrichtungen für mein

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