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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

ihm, wie die Inschrift über dem Portale des Treppenthurms mit seinem Wappen und der Jahreszahl 1562 darthun. Auch das große dreistöckige Gebäude unter dem Hauptthurme auf unserm Bilde rührt von ihm her. Doch stehen nur noch die Umfangsmauern desselben; die übrige Herrlichteit hat der dreißigjährige Krieg bis auf ein Restchen zerstört, der überhaupt dem jungfräulichen Ruhm der Veste ein Ende machte. Dieses Restchen ist ein ziemlich großes Gemach, der Rittersaal genannt, mit künstlich gewölbter, nur von einer in der Mitte stehenden Säule getragener Decke. Neben diesem Stolberg-Bau sehen wir einen älteren Eckthurm mit der Jahreszahl 1510 am Erker, welchen Fürst Adolf von Löwenstein in neuerer Zeit restauriren und mit einem Spitzdache, so wie das Erkerzimmer, in welchem er eine kleine Sammlung alter Waffen und Geräthe aufstellte, mit bunten Glasfenstern versehen ließ. Nach dem vor einigen Jahren erfolgten Tode des Fürsten wurden diese Alterthümer veräußert. Der kleine Platz vor diesen Bauten, mit Bäumen, rohen Tischen und Bänken besetzt, dient zum geselligen Vergnügen der Besucher und ist rechts von dem zur Schankwirtschaft eingerichteten Thurm des Burgwart, links vom großen Altan, eine der Hauptzierden der Burg und der bei weitem zumeist besuchte Theil derselben, begrenzt. Vom Thurme überschaut man fast die ganze Stadt; der Castellan hat deshalb die Stunden an einer freihängenden Glocke anzuschlagen und bei Bränden Feuersignale zu geben. Größer und reizender ist die Aussicht vom Altane, der, weit am steil abfallenden Berge vorspringend, auf fünf gegen siebzig Fuß hohen Bogen steht, an der innern (nördlichen) Seite von einer steinernen Brüstung von sehr geschmackvoller durchbrochener Arbeit altdeutschen Styls mit zwischenliegenden kanzelartigen Vorsprüngen, an der äußeren (südlichen) von einer mit Schießscharten für Kleingewehr versehenen Mauer, Erzeugniß des dreißigjährigen Kriegs, geschützt. Vom Altan übersieht man den südlichen Theil des Schlosses, jetzt ein Weinberg, sonst mit Thürmen und anderen Gebäuden besetzt, welche 1634 die Kaiserlichen zusammenschossen. Unterhalb dieser Stelle zieht der Hirschgarten bis zur Stadt hinab, der seinen Namen von einem dort aufgestellten steinernen Hirsche hat. Hier soll nämlich eine schöne Gräfin den weißen Hirsch geschossen haben, nach welchem derweil der Herr Gemahl den ganzen Tag vergebens gejagt hatte. So etwas verdient schon sein Denkmal. Der höchste Punkt der Burg ist die Citadelle, zu der man freilich auf steilen, nicht sonderlich geschützten Stufen emporklimmen muß, ein nicht unbedeutendes kasemattirtes Vorwerk und eine der jüngeren Bauten, vom Haupttheile der Veste durch eine gegen sechzig Fuß tiefe Felsenschlucht geschieden, die, von Bäumen und Büschen erfüllt und von einem Pfade durchschlängelt, nicht wenig zur Romantik des Schlosses beiträgt. Der Hof der Citadelle, von einer noch nicht alten Linde geschmückt, führt den Namen Philosophenruh, obgleich er gewohnt ist, Gesellschaft bei sich zu sehen, die nicht ernste Theorie, sondern heitere Praxis liebt.

Von hier gelangt man am nördlichen Abhange zum östlichen Bollwerk der Burg, dem Zehenringthurm, so genannt von den in seinen oberen Mauerkranz eingegossenen großen Eisenringen. Nur die Sage berichtet, ein Würzburger Fürstbischof habe einem Grafen von Wertheim oder Löwenstein gedroht, die Burg so zu zerstören, daß er die Trümmer mit zehn Mähren in den Main schleifen werde, darauf habe der Graf jene zehn Ringe an dem Thurme befestigen lassen, damit der Bischof seine Mähren daran anschirren könne. Der Pfaffe blitzte ab.

Der Thurm bietet den Ueberblick des anstoßenden Schloßwaldes, einer wenn auch nur kleinen Strecke des hier sehr gebogenen Mains, stromauf- und abwärts, und der innern Burg, die uns über die erwähnte baumreiche Felsenschlucht hinaus die Bauten neben dem Burgfried von der Rückseite zeigt. Auch sie hat der dreißigjährige Krieg sehr geschädigt. Die Bayern, welche in der letzten Zeit des Kriegs die Burg für den Kaiser bewachten, wichen 1645 den Schweden, ohne den Sturm abzuwarten, und diese blieben die letzten Kriegsherren der Burg, die nach ihrem Abzug lange Jahre verödet stand und in Trümmer sank. Das unterste und jüngste Gebäude ist das wohl erhaltene, stattliche, von zwei runden Thürmen mit Glockendächern flankirte Thorhaus mit dem einzigen Eingang, welches das in historischer Beziehung sehr wichtige, doch für Fremde schwer zugängliche fürstlich Löwensteinische Archiv enthält.

Vielleicht verdient ein kleiner baumbesetzter hochgelegener Grasplatz, der „Hexentanzplatz“, noch Erwähnung, auf welchem die Volkssage in manchen Nächten die Hexen zur Zeit ihrer Blüthe tanzen ließ. Das „Hexenbäumchen“, ein kleiner seltsam gestalteter Hagedornstrauch mit einer wie ein Nest gestalteten flachen Vertiefung feiner verschlungenen Zweige, worin die Hexen, die ihre Aufgabe schlecht gelöst, zur Strafe sitzen mußten, ist leider nicht mehr vorhanden.

Die Stadt Wertheim, am Fuße des Schloßberges, nimmt sich vom Maine her freundlich und einladend aus. In ihren meist engen und krummen Straßen trägt sie den ehrwürdigen Stempel des deutschen Mittelalters, der sie vielen späteren Besuchern, die der Vorzeit ihr Recht angedeihen lassen, gar sehr empfehlen wird, zumal der Geist ihrer Bewohner nichts Mittelalterliches mehr an sich hat, vielmehr mit der freisinnigen Regierung des Landes, zu der sie zu gehören so glücklich ist, die lichten Bahnen der Neuzeit wandelt.

Graf Wolfram I., der Erbauer der Burg um 1130 und von ihr „Graf von Wertheim“ genannt, Sproß eines schon alten mit dem deutschen Könige Konrad verwandten Dynastengeschlechts, das jedoch erst kurz vorher in der Geschichte deutlich auftritt, gilt als Ahn der Wertheimer Grafen, die eine glänzende Reihe tapferer Ritter bilden, zumeist den Kaisern nahe stehend, von ihnen begünstigt und mit Lehen bedacht, ebenso treu der Kirche ergeben, an den Kreuzzügen sich betheiligend, geistliche Stifter gründend und viele ihrer Söhne an die Klerisei abgebend, doch auch mit den geistlichen Fürsten in mannigfachem Hader und blutigem Streit. Unter dem Grafen Michael II., welcher 1531 80 Jahre alt starb, hatte der Wertheimer Lehnhof den größten Umfang. Ueber hundert Geschlechter in Franken und im Odenwalde waren Vasallen des Grafen. Sein Territorium erstreckte sich in der Richtung von Osten nach Westen von der Zellersteig bei Würzburg bis zur Burg Breuberg im Odenwald mit der gleichnamigen Herrschaft an der Mümmling, und von Nord nach Süd waren die Städte Rothenfels am Main und Gerlachsheim nächst der Tauber die Grenzpunkte.

Michael’s II. Sohn war Graf Georg, der sich im Bauernkriege gleich Götz von Berlichingen zu den Bauern schlug und mit ihnen die Festung Frauenberg bei Würzburg belagerte, aber bald gewitzigt sich auf sein festes Schloß zurückzog und die Bauern im Stiche ließ. Bald daraus starb er ein Jahr früher als sein Vater und hinterließ einen einjährigen Sohn, jenen schon gerühmten Grafen Michael III., welcher der ausgezeichnetste und letzte der Grafen von Wertheim war. Erst 16 Jahre alt, bezog er die Universität Wittenberg und genoß den Umgang Luther’s und Melanchthon’s, deren begeisterter Anhänger er war. Heimgekehrt reformirte er seine Grafschaft, hob die Klöster Brambach und Grünau auf, errichtete im ersteren ein Gymnasium und war für die Sache der Reformation in seinem Lande ungemein thätig. Aus Allem, was er that, erhellt, daß er ein genialer junger Mann war, der Kopf und Herz auf der rechten Stelle trug. Da strahlte von Burg Wertheim in wenigen Jahren viel junges Licht aus, und sie versprach schon damals ein Pharus des Geistes zu werden wie die Wartburg. Aber Graf Michael starb, kaum 28 Jahre alt, unter großen Entwürfen und in der herrlichsten Thätigkeit, der Letzte seines ritterlichen Geschlechts, das fast fünfhundert Jahre durch fünfzehn Generationen hindurch geblüht hatte. Mit ihm ging eine der größten Hoffnungen des Protestantismus in Franken zu Grabe. In der Kirche zu Sandbach, wo er begraben liegt, hat er ein schönes Monument; ein schöneres hat ihm J. Camerarius in seiner Lebensbeschreibung Philipp Melanchthon’s gesetzt. Mich verdroß es, daß ich in seiner Burg, wie in seiner Stadt Wertheim vergebens nach einer ihm gewidmeten Denktafel suchte. Ich meine, wenn die Burg erst zu ihrer Zukunftsbestimmung, die ich oben aussprach, gelangt ist, wird ihr auch das steinerne oder eherne Blatt nicht fehlen, welches den geistesfreien Besuchern von dem letzten und genialsten Grafen von Werthenn erzählt, der so jung dem Tode als Beute fiel.

Sein einzig Kind, ein Töchterchen, starb wenige Tage nach dem Grafen, und seine Wittwe überließ die Grafschaft ihrem Vater, dem oben schon genannten Grafen Ludwig von Stolberg-Königstein. von dem sie an seinen Schwiegersohn, den Grafen Ludwig II. von Löwenstein überging, der, ein Urenkel Friedrich des Siegreichen von der Pfalz, der Stammvater des noch blühenden Hauses Löwenstein-Wertheim wurde. Von seinen Söhnen gründete Christoph die ältere evangelische Linie, Löwenstein-Wertheim-Freudenberg;

Johann Dietrich die jüngere katholische, Löwenstein-Wertheim-Rosenberg zu Heubach. Im Jahre 1712 wurde dem Gesammthause

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_471.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)