Seite:Die Gartenlaube (1863) 467.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

geschehen. Näheres über die That, den Ermordeten, den Mörder war bis jetzt völlig unbekannt. Jetzt theilen Sie mir mit, was Sie noch zu sagen hatten.“

Der junge Mann war heftig ergriffen.

„Mein Gott, mein Gott!“ rief er. „Wäre also doch mein Verdacht begründet, und keine Erfindung meiner Eifersucht? Ja, Herr Kreisjustizrath, ich hatte das befürchtet, und darum konnte ich mich so schwer überwinden, Ihnen Alles zu sagen. Jetzt darf mich nichts mehr abhalten. Der arme Ulrich! Sollte er es denn wirklich sein? – Ja, ja! Und auch der graue Wandrock paßt. O mein Gott, welch´ ein entsetzliches Verbrechen thut sich da auf! Und der Elende, der Mörder – die arme Rosalie muß an seiner Seite sitzen, soll morgen seine Frau werden –“

„Erzählen Sie,“ unterbrach ich ihn. „Wir haben nur noch Vermuthungen. Wir müssen Gewißheit, schleunige Gewißheit haben.“

„Ja, ja. Aber darf ich bitten, mir vorher eine Frage zu beantworten?“

„Fragen Sie.“

„In welcher Gegend der Grenze ist der Ermordete gefunden?“

„Starke drei Meilen von hier.“ Ich nannte ihm das nächste Dorf, in dem ich hatte übernachten wollen, in dem meine Begleiter noch waren.

„Eine Meile jenseits liegt Szubin,“ sagte er, „und etwa eine halbe Meile hinter Szubin hat der Lubatis den Baron Föhrenbach getroffen. Und nun hören Sie weiter. Sie fragten mich vorhin, warum Joes Lubatis näher zur Grenze gezogen sei. Joes Lubatis ist ein Hauptmitglied der Schmugglerbande.“

Die paar Worte machten auf einmal auch mir Alles klar, ließen auch mich auf einmal das ganze entsetzliche Verbrechen erkennen.

„Und daher kennt er den Herrn von Föhrenbach?“ fragte ich.

„Und daher kennt er ihn, und darum konnte ich nicht sogleich Ihre Frage beantworten.“

„Auch dieser Föhrenbach ist Schmuggler?“

„Er ist es. Die Anderen wissen es nicht, zeigen wenigstens nicht, daß sie es wissen. Sie dürfen es nicht zeigen. Dieser Mensch hat eine eben so unbegrenzte, wie unbegreifliche Gewalt hier im Hause –“

„Die kenne ich,“ mußte ich bemerken.

„Vor drei Vierteljahren,“ fuhr Holm fort, „kam er hier an. Auf einmal war er da. Niemand hatte ihn erwartet. Auf die ganze Familie hatte sich plötzlich eine peinliche Verlegenheit, eine schwere, drückende Angst gelagert. Das ist geblieben bis zum heutigen Tage. Von wo und wie er hergekommen war, darüber wurde niemals gesprochen. Aber ich wußte es bald. Das Auge der Eifersucht – ich darf ja offen mit Ihnen sprechen – sieht scharf. Er war als Emissair französischer und schweizerischer Uhrenfabrikanten hier, um an Ort und Stelle das Einschwärzen der Uhren nach Rußland zu bewerkstelligen. Ein Zufall hatte ihn die Familie Bertossa entdecken lassen, die er schon früher gekannt hatte. Er quartierte sich hier ein, denn er konnte von hier aus am bequemsten und am sichersten sein Geschäft leiten. Und – bedarf dieser Mord noch einer Erklärung? Die Schmuggler hatten in neuerer Zeit fortwährendes Unglück gehabt. Allgemein war der Glaube an einen Verräther verbreitet. Niemand kannte ihn; man meinte nur, er müsse entweder aus ihrer Mitte sein, oder ihnen sehr nahe stehen. Diese Umstände lieferten eine große Sicherheit für die Ausführung eines schwer zu entdeckenden Mordes. Er wurde auf ihre Rechnung geschrieben. Konnte der Leichnam gar nach drüben über die Grenze geschafft werden, so war eine Entdeckung fast gar nicht zu fürchten. Die Leiche wurde vielleicht erst nach langer Zeit gefunden. Die Russen kümmerten sich nicht viel um sie, die Behörden vielleicht gar nicht; von einem Herausgeben an die preußischen Gerichte hatte man bisher nie etwas gehört.“

Die Combinationen Holm’s lagen nahe. Ich hatte sie ebenfalls gemacht. Nur zwei Momente waren mir noch unklar.

„Welches Motiv konnte Föhrenbach zu dem Morde haben?“ mußte ich fragen.

„Er hatte ein doppeltes. Er haßte Ulrich, dieser war mein Freund und der Einzige, der sich seiner Schwester annahm, der sich bis zum letzten Augenblicke entschieden gegen ihre Verbindung mit ihm aussprach. Die Eltern mußten nachgeben, aber der Haß blieb. Das war Eins. Dann aber – nach Ulrichs Tode war Rosalie das einzige Kind, die einzige Erbin ihrer Eltern, und er war der einzige Herr hier.“

Auch diese Combinationen lagen nahe.

Aber wie sind Mörder und Ermordeter an der Mordstelle zusammengetroffen? Wie hat namentlich der Mörder sein Opfer in jene Gegend verlocken können? Denn an eine Verlockung mußte man denken. Wie hat er das zumal bei dem Hasse, der Abneigung gekonnt, die unter Beiden bestand?

Holm hatte darüber nur unbestimmte Vermuthungen.

„Ulrich war gutmüthig und leichtsinnig, und, wie alle gutmüthigen und leichtsinnigen Menschen, offenherzig und leichtgläubig. Föhrenbach kannte sein Verhältniß zu der Henriette. Er kann dieses zu einer Verlockung benutzt und zum Zwecke der Verlockung auch jene Verkleidung herbeigeführt haben, die zudem, wenn von dem Morde gesprochen wurde, dem Glauben, daß an dem Verräther der Schmuggler Rache geübt sei, um so größere Nahrung geben mußte. Es ließ sich wenigstens hören.“

Holm hatte keine weiteren Mittheilungen.

Was war jetzt weiter zu thun? Ich hatte die Frage nur als Criminalrichter. Die arme Rosalie, die unglückliche Mutter – ich durfte kaum an sie denken. Dennoch mußte etwas gethan werden, und was es auch war, es mußte sofort geschehen, eben um der Zwecke der Untersuchung willen. Vor allen Dingen war festzustellen, ob der Herr von Föhrenbach in der Nacht vom Sonntag auf Montag Kalwellen verlassen habe. Er hatte in dem Gutshause seine Wohnung. Ich mußte es im Hause erfahren. Für den Fall der Feststellung mußte ich zugleich andere Anstalten treffen.

Ich bat Holm, dem im Dorfkruge wartenden Gensd’armen den Befehl zu bringen, vor dem Eingange des Gutshofes zu halten, damit ich ihn sofort bei der Hand hätte. Er selbst möge dort bei dem Gensd’armen bleiben. Ich ging dann in das Haus zurück. in das Zimmer der Hausfrau, und traf sie dort mit ihrem Gatten und dem Steuerrath. Aus den Blicken des Steuerraths sah ich, daß sich unterdeß nichts ereignet hatte. Die Frau erwartete mich bebend. Sie hatte nicht den Muth, vielleicht nicht einmal die Kraft zu einer Frage. Der Mann saß in einem dumpfen, ängstlichen Hinbrüten auf einem Stuhle. Das Leben seines einzigen Sohnes stand in Frage; ein Verbrechen ahnte er. Mußte da nicht auch die Vergangenheit, seine Vergangenheit mit ihrer entsetzlichen Gewalt an ihn herantreten? Ja, es giebt eine Vergeltung! Er sprang auf, als ich eintrat. Aber nicht, weil er mich erkannte. Ich war und blieb ihm ein Fremder; ich sah es ihm klar an. Er hatte mich also in jenem Verhörzimmer nicht gesehen. Wie aufgeregt mußte er damals gewesen sein! Wie sehr sprach dies noch jetzt für seine damalige Schuld, wenn es nach dem Verhältnisse Föhrenbachs zu ihm noch einer Stimme für diese Schuld bedurft hätte! Die Angst um den Sohn trieb ihn empor. Ich durfte für das, was ich zunächst zu fragen hatte, keine Umwege machen. Ich wandte mich an die Frau. Sie hatte ja vorhin schon geahnt,

„Gnädige Frau, war der Herr von Föhrenbach in der Nacht vom Sonntage zum Montage zu Hause?“

Sie erschrak sichtbar bei der Frage.

„Nein,“ antwortete sie leise.

„Wissen Sie es gewiß?“

„Ganz gewiß. Er selbst wird es bestätigen. Er war zur Stadt geritten, um für mich Besorgungen zu dem heutigen Polterabend zu machen.“

„Wann war er fortgeritten?“

„Am Sonntag gleich nach Tisch.“

„Wann ist er zurückgekehrt?“

„Am Montag Mittag.“

„Wie weit ist die Stadt von hier?“

„Drei Meilen.“

„Man könnte also bequem in zwei Stunden hinreiten?“

„In anderthalb Stunden,“ sagte der Herr Bertossa.

Ich fragte die Frau weiter.

„Warum hatten Sie gerade dem Herrn Föhrenbach jene Besorgungen aufgetragen?“

„Er bat mich darum.“

„Ah –“

„Er sagte indeß, daß er selbst Geschäfte dort habe.“

„Hat er die Besorgungen ausgerichtet?“

„Vollständig. – Aber mein Sohn. mein Herr? Haben Sie weitere Nachrichten über ihn?“

Die Angst des Mutterherzens hatte ihr doch die Frage auspressen müssen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_467.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)