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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Grenzhusaren zusammengetroffen war. Von diesem hatte er erfahren, daß man drüben die Leiche eines ermordeten Mannes gefunden habe, der aus Preußen sein müsse. Der Beamte hatte heute Morgen mit einem bekannten Schmuggler darüber gesprochen, und dieser hatte so eigen darüber gelacht. Das war ihm hinterher aufgefallen, da schon seit länger als einer Woche das Gerede ging, die Schmuggler hätten einen Verräther unter sich, den sie noch nicht ausfindig machen könnten, den aber, wenn sie ihn ermittelten, die schwerste Rache erwarte.“

Ich war, wie gesagt, im ersten Augenblicke heftig erschrocken. Die Angst, daß Ulrich der Ermordete sei, hatte mich zwar verlassen, denn wie sollte er zu den Schmugglern und wie über die Grenze gekommen sein? Aber wo war er geblieben? Ich eilte wiederholt hierher und kam vor einer Stunde hier an. Ulrich war noch immer nicht da. Ich mußte zu Ihnen, gnädige Frau, um Ihnen zu erzählen, um weiter mit Ihnen zu berathen.“

Der Erzähler schwieg. Er war fertig, schien es wenigstens zu sein. Ich hatte seit einigen Minuten auf die Frau Bertossa nicht geachtet und blickte jetzt nach ihr hin. Ich erschrak vor ihrem Aussehen. Ihre Augen waren wie erloschen; aber durch ihr Gesicht flog eine brennende Röthe. Sie hatte sich, um nicht umzusinken, an den Baum gepreßt, neben dem wir standen. Ich sah, wie sie an dem Baume zitterte.

„Wissen Sie nichts mehr?“ fragte sie mit bebender Stimme.

Holm antwortete nicht gleich; endlich sagte er: „Gnädige Frau, wollen Sie nicht erlauben, daß der Herr Steuerrath Sie in das Haus führt? Ich habe mit dem Herrn Kreisjustizrath noch einige Worte zu sprechen, und Sie erholen sich unterdeß.“

„Also doch?“ sagte die ahnende Frau. Aber sie war einverstanden.

„Sie finden mich in meinem Zimmer“, setzte sie nur noch hinzu.

Dann ließ sie sich durch den Steuerrath in das Haus zurückführen. Holm und ich blieben allein.

„Herr Holm, Sie haben die Hauptsache noch nicht mitgetheilt!“

„Nein, Herr Kreisjustizrath. Ich konnte es der armen Mutter gegenüber nicht.“

„Aber sie ahnte.“

„Ich hatte auch noch einen andern Grund.“

„Welchen?“

„Sie werden ihn erfahren.“

„Erzählen Sie.“

„Der Baron Föhrenbach war in der Nähe von Szubin gewesen.“

Der junge Mann sprach die Worte leise, geheimnißvoll, aber gerade dadurch mit besonderem Nachdruck.

„Der Bräutigam des Fräuleins?“ fragte ich.

„Derselbe, und – Sie kennen mein Verhältniß zu diesem Hause, Herr Kreisjustizrath?“

„Der Steuerrath hat mich davon in Kenntniß gesetzt.“

„So wissen Sie auch den Grund, warum ich das Weitere der Frau Bertossa nicht mittheilen durfte. Selbst Ihnen gegenüber befinde ich mich in Verlegenheit.“

Der Steuerrath hatte mir nur Gutes von dem jungen Manne erzählt. Ich selbst kannte ihn aber nicht und mußte daher gegen ihn aus meiner Hut sein.

„Herr Holm,“ sagte ich zu ihm, „ich bitte, von diesem Augenblicke an mich nur als den Criminalrichter anzusehen, dem Sie in seiner amtlichen Eigenschaft Mittheilungen zu machen haben. – Wo war der Baron Föhrenbach gewesen?“

„In der Nähe von Szubin, unweit der russischen Grenze.“

„Wann war das gewesen?“

„Am Sonntag Abend.“

„Erzählen Sie mir das Nähere. Wer hat ihn gesehen? Hat Jemand mit ihm gesprochen?“

„Ich erzählte vorhin, daß ich Ulrich auch auf dem Wege von dem Marktorte nach Szubin nachgefolgt sei. Das war gestern. Auf dem Wege traf ich einen litthauischen Bauern, den ich kannte. Ich fragte ihn nach Ulrich und beschrieb ihm dessen Figur und Kleidung. Er hatte ihn nicht gesehen. Aber er war aufmerksam geworden.

„Dagegen habe ich einen anderen Herrn gesehen,“ sagte er, „den Du kennen wirst, Herr.“

„Und wer ist das?“

„Der fremde junge Herr auf dem Gute, auf dem Du warst.“

„Der Baron Föhrenbach?“

„So mag er bei Euch heißen.“

„Kennst Du ihn unter einem anderen Namen?“

Der Litthauer lachte leise für sich.

„Hm, Herr, ich weiß es nicht.“

„Nun, wo sahest Du ihn?“

„Am Sonntag Abend sah ich ihn. Ich kam aus dem Kruge zu Szubin. Es war schon neun Uhr; da ich mich verspätet hatte, nahm ich nicht die Landstraße, sondern einen kürzeren Weg nach Hause, näher an der Landstraße entlang. Es ist meist wüstes Haideland dort. Mitten in der Haide glaubte ich auf einmal einen Schritt zu hören. Ich blieb stehen und hatte mich nicht geirrt. Jemand schritt quer durch die Haide. Er kam von der Landstraße her und ging in gerader Richtung auf die Grenze zu. Das war mir verdächtig. Ich mußte daran denken, wie in letzter Zeit die Schmuggler so oft den Russen verrathen waren. Wer konnte am späten Abend, zwischen neun und zehn Uhr, ganz allein zu der Grenze gehen? Und was konnte der Mensch dort wollen? Ich verbarg mich hinter einigen Fichten, die neben mir standen. Der Mensch mußte dicht an mir vorüber. Es war der Herr Föhrenbach, wie er bei Euch heißt. Ich erkannte ihn deutlich. Er war ganz allein und trug nichts bei sich. Er ging schnell, immer geraden Weges nach der Grenze hin. In der Dunkelheit hatte ich ihn bald aus den Augen verloren. Auch seinen Schritt hörte ich dann nicht mehr. Ich blieb noch eine Weile stehen. Als aber Alles still blieb und ich nichts mehr sah und hörte, setzte ich meinen Weg nach Hause fort.“

Das war die Erzählung des Litthauers. Sie fiel mir erst auf, als ich heute von der Henriette über den Mord an der Grenze gehört hatte. Ich eilte darauf sofort hierher und konnte den Litthauer nicht vorher aufsuchen.“

Auch Holm endete damit seine Mittheilung. Ich hatte eine Menge von Fragen an ihn, über Allerlei.

„Sie kennen den Namen des Littauers?“

„Er heißt Joes Lubatis und wohnt jenseits Szubin. Ich kenne das Dorf, aber nicht den Namen.“

„Woher kennen Sie den Lubatis?“

„Er wohnte früher in meinem Wohnorte, ist aber schon seit mehreren Jahren näher zur Grenze gezogen.“

Ich sah dem jungen Manne an, daß er noch etwas auf dem Herzen hatte.

„Warum näher zur Grenze?“ fragte ich.

Er schwankte eine Weile über seine Antwort.

„Herr Kreisjustizrath,“ sagte er dann. „Sie müssen Alles wissen. Mein Verhältniß, das ich vorhin berührte, kann mich bei Ihnen als einen Zuträger, Denuncianten erscheinen lassen. Selbst das darf mich nicht abhalten, Ihnen Alles zu sagen, sowohl was ich weiß, als was ich vermuthe. Es kann sich um die Ermittelung eines schweren Verbrechens handeln, und es kann ein großes Unglück, ein neues Verbrechen dadurch verhütet werden. Zwar auch das wieder – aber nein, ich muß sprechen.“

Der junge Mann kämpfte noch immer mit sich. Es war keine Komödie. Es war der Kampf eines wirklich edlen Herzens. Ich mußte ihm zu Hilfe kommen.

„Herr Holm,“ sagte ich ihm, „ehe Sie fortfahren, will ich Ihnen eine Mitteilung machen. Aber vorher beantworten Sie mir ein paar Fragen. Der Herr Ulrich Bertossa ist fünfundzwanzig Jahre alt, von schlanker Figur, blond, sein Gesicht etwas blaß – etwas verlebt?“

„Allerdings! Und – aber es gehört nicht hierher, und Sie haben mich noch mehr zu fragen.“

„Das habe ich. Wie war er gekleidet, als er aus dem Wege zu dem Jahrmarkte bei Ihnen war?“

„Er trug einen braunen Ueberrock und sonst schwarze Kleidung.“

„Also keinen grauen litthauischen Wandrock?“

„Nein, wie hätte er dazu kommen sollen?“

„Ich weiß es nicht. Aber ein junger Mann von dem Alter und ganz von dem Aeußeren Ihres Freundes Ulrich, nur nicht mit einem braunen Ueberrock, sondern mit einem grauen littauischen Wandrock bekleidet, ist gestern Morgen unweit der Grenze, auf russischer Seite, ermordet gefunden worden. Ich komme fast geraden Weges von der Besichtigung der Leiche. Der Mord ist in der Nacht vom Sonntag zum Montag oder vom Montag zum Dienstag

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_466.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2019)