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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

aus dem unwirthlichen Schooße des Moores hervorgewachsen sind, und setzten dann unsere Reise durch das sogenannte „Niederende“ und „Oberende“ fort. Dies sind die Benennungen der beiden Hauptabtheilungen der weitläufigen Colonie, und die Prediger dieser Gegend pflegen, wenn sie auf der Kanzel das Teufelsmoor zu erwähnen haben, diesen unchristlichen Namen ganz zu umgehen. Sie nehmen das Wort nicht in den Mund und bezeichnen ihre Leute nur als „die vom Niederende“ und „die vom Oberende“. Die Regierung und ihre weltlichen Behörden geniren sich dagegen in dieser Beziehung nicht und gebrauchen in ihren officiellen Erlassen den hergebrachten Namen. Das Volk hat diesen Namen sogar noch weiter hin benutzt und unter andern das Wort „de Düvelsmöörschen“ daraus abgeleitet, mit welchem in der That schreckhaften Namen die Einwohner der Gegend selber bezeichnet werden.

Hinter dem sogenannten „Oberende“ der Düvelsmöörschen kamen wir auf einen Abschnitt des noch fast völlig uncultivirten und wilden Hochmoores hinaus. Es war das sogenannte Wallhöfer Moor, das sich drei Stunden weit wie ein wüstes Plateau vor uns ausdehnte. Obgleich wir mitten in der schönsten Jahreszeit dort waren, in der Alles umher, was nicht Moor war, grünte und blühte, und in der alle Gebüsche vom Gesange der Vögel erklangen, so war doch auf diesem Plateau Alles todt und öde, als wäre es der tiefste Winter.

Vögel giebt es da nicht, weil kein Gebüsch und keine Gelegenheit zum Nesterbau vorhanden ist. Keine Lerche jubelt in den Lüften. Selbst Fuchs und Hase können in diesen Sümpfen nicht wohnen und leben. Obgleich die Sonne lieblich strahlte, stolperten wir in Wasserstiefeln auf tiefen schmutzigen Morastwegen wie im trüben November. Die Oberfläche war überall mit verschiedenen Sorten schmieriger und schwammiger Moose bewachsen. Wir konnten uns einbilden, es wäre ein riesiger verfaulter, auf der Erde hingestreckter Baumstamm, auf dessen todter Rinde wir wie kleine Käfer kröchen.

Obgleich man im Grunde genommen sich auf dem Rücken einer Niederung befindet, so hat man doch den Eindruck, als wandele man auf einer hoch erhabenen Anhöhe. Solche Oeden sahst Du zuvor nur an den Enden und Gipfeln der Erde, auf dem Rücken der Hochgebirge und dicht unter dem Wolkenschleier. Auch mag der weite Blick, der sich über die unbegrenzte Fläche eröffnet, dazu beitragen, diese Illusion zu unterstützen. Sie wird dadurch noch vollkommenet, daß die Leute auch den Rücken dieses Hochmoores mit einer Anzahl armseliger Hütten bedeckt haben, die an die Sennhütten der Schweizer Alpenhöhen erinnern.

Wie in der Schweiz die Hirten auf „die Alm,“ so ziehen hier im Teufelsmoor im Frühling die Torfarbeiter auf’s Hochmoor, um ihren Torf zu ernten. Aus Strauchwerk und Torferde bauen sie sich temporäre Wohnungen, die das Primitivste von menschlichen Wohnungen sind, was man sehen kann, und in der Dürftigkeit ihrer Ausstattung noch unter den Sennhütten stehen. „De Huttens“, so nennen sie diese Sommerwohnungen des Hochmoores, sehen aus, wie alte vermooste Strohdächer, die man vom Hause abhob und auf den Boden stellte. Die Leute beziehen sie schon ganz früh im Frühling am Ende April oder Anfang Mai, wo ihre Torfarbeiten beginnen. Es sind die ärmeren Bewohner entlegener Dörfer, die wenig eigenen Grundbesitz haben, und die den großen Grundeigenthümern kleine Abschnitte des Moores abpachten oder abkaufen und diese dann für sich ausbeuten.

Da im Moore nichts Eßbares wächst, ja nicht einmal ein trinkbares Wasser träufelt, so müssen sie sich ihre Lebensmittel mitbringen, und diese sind besonders im Verhältniß zu der schweren Arbeit unsolide genug. Ihre Frauen gießen ihnen zu Hause die im Laufe der Woche gewonnene Buttermilch in ein Faß, backen Schwarzbrod dazu und verproviantiren damit ihre Männer auf dem Hochmoore. Die Buttermilch, wie man sich denken kann, macht allerlei Gährprocesse durch, sprengt zuweilen wie Champagner die Gefäße, und muß doch zum Frühstück wie zum Abendessen getrunken werden und auch zu Mittag statt der Suppe gelten.

Diese Hüttenwirthschaft in den Hochmooren scheint so trost- und freudlos, wie der Anblick der Hochmoore selbst. Von Festen und von irgend einer Art von Naturfeier unter den Leuten habe ich bei den Bewohnern der „Huttens“ nicht gehört. – Auch hat dasselbe kein Zweiglein eigenthümlicher Literatur oder Volkspoesie erzeugt, wie das Sennenleben in den Alpen. Die Beschäftigung der Leute ist so schwer, so einförmig und so unappetitlich, wie die Sclavenarbeit der Neger in den Diamantenwäschen Brasiliens.

Den ganzen Tag bewegen sie sich schleichend und mühselig im kalten schwarzen Sumpfe. Da stehen sie auf plumpen schwerfälligen Holzschuhen postirt in tief ausgehöhlten Gräben, in denen sie die träufelnden Morastschollen lösen, um sie 10 oder 12 Fuß hoch auf die Oberfläche hinaufzuschwingen. Oben fangen ihre Helfershelfer die übelriechenden Moderbrocken mit eisernen Gabeln auf und packen sie auf Schiebkarren, um sie zu einem geebneten Platze zu transportiren, auf dem sie weiter verarbeitet und geformt werden sollen. Die Räder der Karren sind dabei, um das Einsinken zu vermeiden, mit dichtem Strohgeflechte umwunden, und zuweilen die Füße der Arbeiter desgleichen.

Auf dem „Lagerplatze“ wird der ganze Brei gleichmäßig ausgebreitet, und hier beginnt dann das „Petten“ (das Treten). – Der Torf, wenigstens die beste Sorte desselben, der sogenannte „Backtorf“, muß wie das Brod geknetet oder wie die Trauben gekeltert werden. Die armen Düvelsmöörschen gebehrden sich dabei, wie die Traubenfaßtreter am Rhein. – Stunden lang treten und tanzen sie mit bloßen Füßen in dem Teige herum, um ihm größere Compactheit und gleichmäßige Dichtigkeit mitzutheilen. Es ist der schwerste Theil ihrer schwierigen Arbeit.

Zuweilen trifft es sich, daß noch im Mai starke Nachtfröste eintreten und dabei der ganze Brei sich mit einer Eiskruste bedeckt. Diese Kruste haben sie dann nicht selten am andern Morgen bei der Fortsetzung ihres Knetens mit den bloßen Füßen zu durchbrechen, und dabei fallen oft genug Verwundungen vor, und sicher noch öfter treten Gicht, Rheumatismus, Podagra und andere Gliederleiden ein. Man sagte mir, daß man sich bisher vergebens bemüht habe, diese Arbeit durch Maschinenkraft oder durch Thiere verrichten zu lassen, und daß nur der Mensch sie gut zu Stande bringen könne. Selbst lederne Fußüberzüge oder Stiefeln, die den Meisten ohnehin zu kostspielig sein würden, sollen dem Zwecke des Knetens hinderlich sein. Es gehört der nackte, gelenkige menschliche Fuß mit seinen fünf Zehen dazu.

Nach dem „Petten“ wird die ganze zerarbeitete Masse auf dem Lagerplatze ausgeebnet wie ein kolossaler Kuchen, einen halben preußischen Morgen groß und von der Dicke, von welcher die Torfstücke werden sollen. Mit breiten Holzschuhen springen sie nun hinauf, treten den Brei nieder und bearbeiten ihn auch noch mit Bretern und Schaufeln ganz glatt und eben. Bevor sie diese Masse in solche Stücke, wie sie gewünscht werden, von der Form und Größe unserer Ziegelsteine, zerlegen, machen sie eine Pause von ein paar Tagen, damit der Brei einige Consistenz gewinne. Diese Zwischenzeit muß je nach dem Zustande der Witterung abgemessen werden. Ist die Masse noch zu weich, so würde die Zerlegung nichts helfen. Alles würde wieder in einander verfließen. Wollte man damit aber zu lange warten, so würde der ganze Kuchen anfangen sich zu zerspalten und von langen Rissen durchsetzt werden.

Das Zerlegen geschieht in zwei Tempos. Zuerst werden Längslinien hindurchgeschnitten in einem Abstande von 9–10 Zoll, so lang jedes einzelne Torfstück werden soll, und auf diese Weise das Ganze in „Bänke“ zertheilt. Nach einer abermaligen kleinen Pause von ein paar Tagen, damit die Schnitte etwas vernarben, schreitet man dann zu den Querschnitten, die in den engeren Abständen der Breite der Torfstücke gemacht werden. Und so sind denn diese – der Form nach – fertig und können zum völligen Ab- und Austrockuen abgenommen werden.

Dies Austrocknen geschieht auch recht vorsichtig, sehr gradatim und schrittweise. Die Torflaibe sind anfänglich noch so schlaff und weich, daß man sie nicht gleich in jeder beliebigen Weise aufstellen kann. Sie müssen erst ein wenig auf die lange Kante und dicht neben einander gelegt werden, damit sie sich gegenseitig stützen, in langen sogenannten „Diken“ (Deichen). Wollte man sie gleich in hohen luftigen Pyramiden auftempeln, so würden sie Gefahr laufen, wie an der Sonne geschmolzener Käse auszulaufen und zusammenzusinken. In den „Diken“ liegen sie wieder je nach dem Wetter 8–14 Tage, bis sie, wie die Leute sich ausdrücken „kräftig“ genug werden zum „Ringeln“. Dies Ringeln besteht darin, daß man die nun schon ziemlich steifen Brocken zu kleinen runden spitzen Kegeln so übereinander legt, daß sie nur mit den Enden aufeinander fassen, und daß möglichst große Zwischenräume zwischen ihnen bleiben. Die Kegel sind inwendig hohl, und in dieser Aufstellungsweise

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_462.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)