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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Besserung und wiederkehrende Verschlimmerung eintritt. – Fällt ein solcher Patient in die Hände eines mittelsüchtigen Heilkünstlers, dann fängt die Cur mit Setzung einer tüchtigen Anzahl von Blutegeln auf die Bauchwand vor dem Blinddarme an, obschon die Stelle, wo die Blutegel saugen, in gar keiner Verbindung mit dem entzündeten Darme steht und das Geld für dieses unnütze Viehzeug so gut wie zum Fenster hinausgeschmissen wird. Daß man nach Application dieser Blutsauger öfters Besserung wirklich eintreten sah, liegt darin, daß der Arzt sofort nach der Blutegelung fortwährend recht warme Breiumschläge auf die geschwollene und schmerzende Stelle machen läßt. Und diese Umschläge sind es eben, welche heilsam wirkten, obschon sie allein auch nicht zur baldigen Heilung hinreichen, denn dazu sind häufige Klystiere (von einer größern Quantität warmen Wassers mit Oel oder Stärke) ganz unentbehrlich. Sie müssen alle 2 bis 3 Stunden, aber so geschickt applicirt werden, daß sie auch gehörig hoch in den Darm hinauf gelangen und den kranken Blinddarm wirklich erreichen. Das bringt aber die gewöhnliche Hausklystiererei (zumal mit Clyssopompen) nicht fertig, und darum muß hier eine geübtere Hand sich der Operation unterziehen. Natürlich betrachtet der echte Prakticus das unbequeme und der Apotheke nicht entsprossene Klystier mit Verachtung und geht der Blinddarmverstopfung mit seinen Abführmitteln (Calomel, Ricinusöl, Sennaaufguß, Latwerge und abführende Mineralwässer) nicht direct und von unten, wie’s durch das Klystier auf rationelle Weise geschieht, sondern indirect von oben und unter Mißhandlung des Magens und Dünndarms zu Leibe. Von Glück hat dann aber der auslaxirte Patient zu sagen, wenn seine Blinddarmbauchgegend nicht auch noch mit Einreibungen (von Quecksilbersalbe), Pflastern und Jodbepinselungen maltraitirt wird. Der homöopathische Heilkünstler bekämpft die Blinddarmentzündung hauptsächlich mit Aconit und Belladonna; das letztere Mittel ist aber nach Herrn Sanitätsrath Lutze hier vorzuziehen, da Aconit vorzugsweise ein links- und Belladonna ein rechtswirkendes Heilmittel ist. Unsinn!

Wenn nun der Leser meint, daß es mit den ausgeführten Leiden in der Blinddarm-Gegend genug sei, so irrt er sehr, denn außerdem kommt hier noch eine nicht etwa gering zu achtende Entzündung (Perityphlitis) des lockern Zellgewebes, welches den Blinddarm mit seiner hintern Fläche an die Beckenwand anheftet, sowie eine typhöse, tuberculöse und carcinomatöse Entartung im Darme vor, auch sind in der Blinddarmgegend zuweilen Darmeinschiebungen, sowie beim weiblichen Geschlechte noch Ovariumkrankheiten auzutreffen. Kurz, es giebt wohl keine Gegend in unserem Körper weiter, die von so vielen verschiedenen Uebeln heimgesucht werden kann, als die besprochene. Alle diese Uebel braucht nun aber der Leser nicht näher kennen zu lernen; er möge mit den Winken zur Verhütung und Heilung der Blinddarmentzündung zufrieden sein und lasse sich nochmals als Haupterfordernisse bei fast allen diesen Leiden „reichliche warme Klystiere und einen genau untersuchenden Arzt“ empfohlen sein.

Bock



Ein Ausflug in’s Teufelsmoor.
Von J. G. Kohl.

Mit dem Namen „Teufelsmoor“ bezeichnen die Geographen auf unsern Landkarten einen beinahe acht Quadratmeilen großen Moorstrich, der ungefähr die Mitte des Herzogthums Bremen ausfüllt und ehemals eine zusammenhängende Wildniß gebildet haben mag, jetzt aber durch die eingedrungene Cultur und die ihm nun einverleibten Dorfschaften und Ackerfluren in eine Menge einzelner Moorstriche zerlegt ist, deren jede ihren besonderen Namen trägt.

Im Lande selbst wird der Name „Teufelsmoor“ (oder Düvelsmoor) kaum mehr in dem weiten Sinn, in welchem er auf den Landkarten erscheint, gebraucht. Vielmehr hört man die Leute nur immer von dem „Wallhofer Moor“, dem „Gieler Moor“, dem „Wilster Moor“, dem „Gnarsenberger Moor“ und den andern kleinen Moorabschnitten sprechen. Es geht bekanntlich in der Welt überall so, daß die großen, weltumfassenden geographischen Namen nur in der Ferne bekannt sind, während an Ort und Stelle Localbenennungen gelten. Der Name „Düvels-Moor“ ist jetzt im Lande selbst nur noch einem Dorfe, das ungefähr in der Mitte der ganzen Moorgegend liegt, eigen geblieben.

Am Eingange zum Teufelsmoor im Thale der Hamme, eines Flusses, der in die Weser mündet, liegt ein kleines Sandgebirge, der sogenannte „Weiherberg“, den aber das Volk kurzweg „Up’r Wehe“ (Auf der Wehe) nennt. Der höchste Gipfel dieser Düne soll 350 Fuß über dem Meeresspiegel liegen. Es ist die höchste Anhöhe weit und breit, und sie ist im morastigen Herzogthume Bremen so berühmt, wie der Blocksberg in Norddeutschland. Die Mythe sagt, daß ein „Hüne“, den Sand verstreuend, im Lande umhergewandelt sei, und jene Düne am Eingange des Moores aufgebaut habe, wie der griechische Hercules seine berühmten Felsensäulen am Thore des mittelländischen Meeres.

Die Abhänge und sanftgewölbten Rücken dieses kleinen Sandgebirges sind in das Gewand eines schönen, reichen Kornfeldes gehüllt, auf dem unangebauten Gipfel wurzelt ein kleiner Fichtenwald, in dessen Mitte sich eine Pyramide aus Granitsteinen, ein Monument für den größten Wohlthäter des Teufelsmoors, erhebt. Sie ist dem Andenken des wohlbekannten Herrn Findorff gewidmet, der im vorigen Jahrhundert zuerst mit Nachdruck und Erfolg die dem bösen Geist gewidmete Wildniß bekämpfte, in dem wüsten Bezirke die lieblichsten Oasen voll wohlhabender Dörfer und lachender Feldmarken schuf, und, ein zweiter „Hüne“ oder Hercules der Neuzeit, diesen Augiasstall, wenn auch nicht völlig, doch in verschiedenen Richtungen ordnete und ausputzte.

Von diesem hochgelegenen Monumente aus, das ich an einem schönen, hellen Juliabende bestieg, konnte ich die ganze interessante Gegend, die ich am folgenden Morgen durchpilgern wollte, weit hin überschauen. Die Niederung, in welcher das Teufelsmoor aufgewachsen ist, läßt sich als eine mehrere Meilen breite Kluft zwischen zwei Haide- oder Geestrücken bezeichnen, deren Ränder ich von meinem Standpunkte aus sowohl im Osten, als im Westen, wie eine Reihe niedriger Hügel sich hinziehen sah. Auf diesen Hügeln und so auch auf dem breiten Landrücken, dessen Ränder sie sind, giebt es kein Moor. Dagegen ist der ganze Zwischenraum damit angefüllt.

Der „Weiherberg“, der, wie gesagt, wie eine Art Riegel vor dem Eingange des Thales oder Kessels liegt, trug vielleicht selbst dazu bei, in dieser Mulde die trägen Gewässer aufzustauen und den Morast zu veranlassen. Jahrhunderte lang schlugen sich aus dem stockenden Wasser die Binsen, Riedgräser, Sphagnen und andere saure Sumpfpflanzen nieder, vermoderten und verweseten unvollkommen, häuften sich aufeinander, schwängerten sich mit allerlei vegetabilischen Auslaugungen und füllten so den ganzen Thalkessel mit einer 10 bis 20 Fuß dicken schwammigen, schwarzen Torfmoorschicht, einem „Hochmoor“.

Die Flüsse haben sich nachher durch diesen schwarzen, dickflüssigen Suppenbrei wieder Wege und Canäle ausgebahnt, haben zu beiden Seiten den Torf eine englische Meile weit weggerissen und in solchen schwimmenden Stücken, wie sie kurz nach Christi Geburt Plinius in der Weser treiben sah, in’s Meer hinausgeführt. Dadurch sind mitten in der Moorgegend breite bis auf den Untergrund ausgeschnittene Rillen entstanden, die jetzt mit Gräsern und Schilfen bestanden sind, und welche die Leute im Gegensatz zu dem braunen Hochmoore „das Grönland“ (das grüne Land) nennen.

Diese grünen, langgestreckten Schilf- und Grasniederungen, durch die sich viele Canäle und Flußarme ziehen, sind an dem Hauptflusse des Teufelmoores, der Hamme, wohl eine Stunde breit. Ich konnte sie vom Weiherberge aus wie grüne tief eingelegte Bänder weithin verfolgen. Zu beiden Seiten derselben erhebt sich das Hochmoor mit ödem Scheitel und vom Grabscheit des Menschen vielfach zernagt und zerarbeitet. Seine braunen melancholischen Flächen erstreckten sich vor meinen Augen weitin und verloren sich nach Bremervörde und den Elbgegenden zu im Nebel des Horizonts. Und als dritte Landesabstufung erhoben sich dann, wie schon gesagt, zu beiden Seiten des nackten Hochmoores, jene noch etwas höheren, hügligen und sandigen Geestränder, hie und da

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_460.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)