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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

endlich den Wasserlauf bilden, den man an der Oberfläche erscheinen sieht. Ein anschauliches Bild der Quellenbildung gewährt die Entstehung und Circulation der auf der Oberfläche befindlichen Bäche, Flüsse und Ströme. Denkt man sich die obere, wasserdurchlassende Schicht der Erdkruste abgehoben, so wird die undurchdringliche Schicht ein Bild von Bach-, Fluß- und Stromgebieten zeigen, das dem ganz gleich ist, das wir uns durch unsere geographischen Karten vom oberirdischen Wassernetze entwerfen.

Die Richtung des Laufes dieser unzähligen Wasserfäden und Adern, die sich in den durchlässigen Gesteinen bilden und auf den undurchlässigen abfließen, wird nicht vom Zufalle bestimmt. Sie theilen sich unter der Erde auf dieselbe Weise wie das Regenwasser, an unterirdischen Gehängen entstehend, in unterirdischen Thälern sich zu größeren Wasserfällen sammelnd und in Ebenen sich zu unterirdischen Seeen ausbreitend. Da nun die Oberflächenbildung einer Gegend in den meisten Fällen, namentlich in den geringen Tiefen, in denen der Quellenfinder sein Wasser sucht, ein analoges Verhalten im Niveau der unterirdischen Wasserläufe voraussetzen läßt, oberirdische Wasserscheiden, Gehänge, Thäler und Ebenen mit unterirdischen correspondiren werden, so ist einleuchtend, daß in der Oberflächenbildung dem Quellenfinder ein wichtiger Anhaltspunkt für seine Forschungen gegeben ist, und der Leser wird eine Bestätigung dieser Behauptung in der Erfahrung finden, daß oberirdische Gehänge bei Grabung von Brunnen viel ungünstigere Resultate liefern, als lange Thäler oder Ebenen.

Der Einfluß der Forstculturen auf unterirdische Wasserläufe ist ein dritter Factor, den der Quellenfinder bei Bestimmung seiner Grabungspunkte nicht außer Acht lassen darf. Wenn die Höhenzüge hoch genug sind, um den niedrigen Luftströmungen ein Hinderniß sein zu können, so lenken sie diese nicht nur vielfältig von ihrer Bahn ab, sondern üben auch, wenn sie bewaldet sind, durch die Verdunstungskälte, welche das fortwährend Wasser aushauchende Laub hervorbringt, einen erkältenden Einfluß auf sie aus, wodurch sie genöthigt werden, einen Theil ihres Wasserdampfes als Thau oder Regen fallen zu lassen.

Auf diese Weise wird ein bewaldetes Gebirge durch Quellenbildung ein Segen für seine Umgebung. Ist dagegen ein hohes Gebirge unbewaldet, so vermag es wohl auch, den über seinen Scheitel hingehenden Wolken ihr Wasser zu entziehen; dieses fließt aber dann an den kahlen Felsen in hundert kleinen reißenden Bächen abwärts und kommt dem Gehänge und der Ebene nicht zu gute, sondern richtet sogar Verheerungen an, indem es die Ackererde der Fluren mit sich fortreißt, oder sie mit Sand und Schutt bedeckt. Hierin liegt die wichtige Rolle, welche die Gebirgswaldungen in der Wasserfrage spielen. Sie halten das Wasser, wie eine sorgliche Hausmutter ihr Hab und Gut, zu Rathe.

Roßmäßler hat uns in seiner „Flora im Winterkleide“ ein treffendes Bild von der Bedeutung des Gebirgswaldes gegeben, indem er von der Mooswelt in unserem Naturhaushalte spricht: „So klein die Moose sind, so wichtig ist das Amt, dessen sie zu Füßen der ragenden Stämme warten, zu dichten Haufen geschaart. Im Verein mit Haide und Heidelbeergesträuch bilden sie die Bodendecke unserer Gebirgswälder. Die Moose,“ sagt er, „sind die kleinen Regulatoren der Bewohnbarkeit ganzer Provinzen. So groß ist ihre Bedeutung! Diese kleinen, schönen Pflänzchen sind Vermittler zwischen Himmel und Erde. Wenn der Regen in Strömen niederstürzt, als wollte er mit einem Male den durch Entwaldung verkümmerten Flüssen wieder aushelfen, so rufen ihm die Moose beschwichtigend zu. Nur gemach, Du Ungestümer! und werfen sich zwischen ihn und die bedrohte Erde und fangen die Fluthen des Himmels mit den Millionen ihrer zierlichen Blättchenarme auf und brechen ihre Gewalt, daß sie nur tropfenweise durch sie hindurch können und der Boden gemächlich auffangen kann, was er braucht, und was darüber ist, ruhig hinabsickert von Stein zu Stein unter der Moosdecke hinunter unter die Erde oder in den sammelnden Bach.“

Wie wesentlich die Waldungen für die Wasserbildung beitragen, zeigt der See Tacarigna im Thale von Aragua in Venezuela, der durch Entwaldung der umliegenden Höhen und durch ausgedehnte Urbarmachungen in wenig mehr als 200 Jahren so bedeutend verringert worden ist, daß eine Menge ehemaliger Inseln desselben zu freistehenden Hügeln wurden. Allein dieser See liefert auch noch einen weiteren Beweis in dieser Frage. In neuerer Zeit decimirten viele Jahre lang politische Kämpfe die fleißige Bevölkerung, und der in den Tropen das verlorne Terrain bald wieder erobernde Wald füllte den See wieder und vertrieb so die Zucker- und Indigopflanzen, welche sich an seinen trockengelegten Rändern angesiedelt hatten.

Ueber die Frage, ob ausgedehnte Entwaldungen auch die Regenmenge verringern, ist in Europa noch schwer zu entscheiden, weil Anhaltspunkte hierüber noch fehlen und die physische Geographie noch nicht gar zu lange Zeit mit dem Ombrometer mißt. Für Amerika steht aber, nach Boussingault’s[WS 1] Aussage, die Thatsache fest, daß die dort im größten Maßstabe ausgeführten Entwaldungen stets mit Verminderung der Regenmenge verbunden gewesen sind.

Wir aber, wenn wir unsere geringe Waldfläche mit den unermeßlichen Urwäldern Amerika’s vergleichen, müssen es uns eingestehen, daß Walddevastation in Deutschland mehr und mehr aufhört, ein bloßes Gespenst zu sein, womit der seinen Wald liebende Forstmann die Holzgierigen zurückscheucht. Ja im südlichen Frankreich ist durch Entwaldung während der ersten Revolution ein Zustand der Gegenwart herbeigeführt worden, von welchem Blanqui, Professor der Staatswissenschaft in Paris, eine grauenerregende Schilderung macht.

Den mächtigen Rhein um seine vielen großen und kleinen Zuflüsse zu berauben, scheint Manchem vielleicht eine Chimäre. Wenn man sich aber nicht ganz verschließt für die Beachtung der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung und die Macht der Zeit nicht übersieht, welche durch den kleinen Tropfen den Stein höhlt, so muß man in der Verminderung der Quellen eine Beeinträchtigung auch des größten Flusses erkennen. Zum Glücke liegen die Quellen des Rheins größtentheils außer dem Bereiche menschlicher Eingriffe, denn die bedeutendsten seiner schweizerischen Quellen sind Gletscherbäche. Die Donau ist mehr gefährdet, als der Rhein, da sie fast nur durch die 55 den Inn speisenden Gletscher Eiswasser erhält, der auch bei seinem Einströmen in die Donau bei Passau bedeutend breiter als diese ist; ihre übrigen Zuflüsse stammen aus Waldgebirgen.

Abhängiger von menschlichen Eingriffen sind die nordwärts strömenden deutschen Flüsse zweiter und dritter Ordnung, z. B. die Elbe, Weser und Oder und deren noch kleinere Zuflüsse. Sie hängen mit tausend feinen Quellenfäden am Gedeihen unserer Bergwälder. Man muß oft weit und in Hunderte von kleinen bewaldeten Gebirgsschluchten zurückgehen, um diese Abhängigkeit ganz zu würdigen. Soweit an diesem Orte über den Einfluß der Wälder auf die Wasserläufe; derselbe ist zu wichtig, um nicht obige Erörterung zu rechtfertigen.

Die meisten Menschen gingen bisher von der Meinung aus, daß die Pflanzen dem Quellenfinder die einzigen sicheren Zeichen für seine Bestimmungen geben könnten. Dies ist aber nicht der Fall. Die Physiognomie der Pflanzenwelt ist allerdings ein Anzeiger des Feuchtigkeitsgehaltes des Standortes und zwar in doppelter Weise, entweder durch bestimmte Pflanzenarten, die an einen gewissen Feuchtigkeitsgrad ihres Bodens gewiesen sind, oder durch das Aussehen der auf einem Boden wachsenden Pflanzen überhaupt, durch ihr besseres oder kümmerliches Gedeihen, die Tiefe ihres Grüns etc.

Aber aus der Physiognomie der Pflanzenwelt auf die Entstehungsart dieser Feuchtigkeit schließen zu wollen, wäre in den meisten Fällen doch zu gewagt. Ob Tagwasser, Stauwässer oder Quellwässer dem Boden die zur Hervorbriugung der Feuchtigkeitspflanzen nothwendigen Wassermengen liefern, wird man denselben wohl schwerlich ansehen können. Im Gegentheil wird man, falls man die Vegetation bei Bestimmung von unterirdischen Wasserläufen ausschließlich zu Rathe ziehen wollte, oft die größten Täuschungen erfahren. Man denke sich beispielsweise die oberen Erdschichten in einer Mächtigkeit von zehn bis zwölf Klaftern aus Sand bestehend, der auf einer Tegelschichte aufgelagert ist. Aehnliche Schichtenlagerungen sind, wegen der Leichtigkeit, mit welcher die obere Schichte die Meteorwasser aufnimmt, erfolgreichen Brunnengrabungen sehr günstig und geben große Wasserquantitäten in der Nähe der Tegelschichte.

Wegen der Leichtigkeit jedoch, mit welcher die Wasser im Sande versinken, werden die obersten Theile der Sandschichte einen äußerst geringen Feuchtigkeitsgrad zeigen und Pflanzen produciren, die viel eher den Wassersucher abhalten, als ihn bestimmen werden, Grabungen auf Wasser vorzunehmen. Entgegengesetzt tritt sehr oft der

Fall ein, daß die Erdoberfläche aus einer sehr wasserdichten Lehm-

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Boussingoult’s
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_445.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)