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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

niedrigste Unterthan gerichtet sein will. Habe ich Etwas gegen Sie verbrochen, so mag mein Kopf dafür haften. Er gehört Ihnen, machen Sie damit, was Sie wollen.“

Die schlichte, aber eindringliche Sprache machte sichtbaren Effect auf den König. Die alte Freundschaft erwachte trotz allen Mißtrauens dennoch wieder. Er stieß den Degen in die Scheide. „Nehmen Sie Ihren Degen wieder auf, Leopold,“ sprach er mit bewegter Stimme.

„Nicht eher,“ entgegnete der Fürst. „bis ich weiß, was Sie mir vorzuwerfen haben.“

Der König trat vor den Fürsten, legte beide Hände auf dessen Schultern und sah ihm fest in’s Gesicht. „Darf ich Ihnen noch trauen?“ sprach er.

„Ja, Sire, Sie können es,“ rief der Fürst und fiel ihm zu Füßen. „Ich habe mich Ihren Diensten geweiht, und ich habe gezeigt, daß ich bluten kann für Sie.“

„Nun dann,“ versetzte der König, „hören Sie, ob ich Unrecht that, Ihnen zu mißtrauen.“

Er erzählte ihm nun die ganzen Verhandlungen mit Clement; Leopold von Dessau gerieth in eine Art von Wuth, welche ihn erstarren machte.

„Ich habe,“ schloß der König, „die Briefe vom Prinzen Eugen selbst gelesen, die Sie als Theilhaber der gegen mich angesponnenen Verschwörung bezeichnen. Was haben Sie einem solchen Beweise entgegen zu halten?“

„Nichts,“ fuhr der Dessauer in seiner bekannten derben Manier heraus, „als daß dieser Clement der verfluchteste Schw…d und Betrüger ist, der jemals existirt hat. Der Prinz Eugen kann mich eines solchen Verbrechens nicht beschuldigt haben, und ich selbst bin überzeugt, daß er einer solchen Hundsfötterei ebenso wenig fähig ist.“

Der König wurde stutzig. Noch war das Mißtrauen nicht ganz geschwunden. Der Fürst Leopold erbot sich nun freiwillig in’s Gefängniß zu gehen, bis man ihn mit Clement confrontiren könne. Das wirkte. Der König verabredete mit dem Dessauer, welche Mittel zu ergreifen seien, um Clement wieder nach Berlin zu bekommen. Jablonsky, der unschuldige Vermittler des ganzen Handels, wurde ausersehen, den Betrüger zu fangen. Man sendete ihn nach dem Haag. In seiner Begleitung befand sich ein Officier Namens Dumoulin, einer jener verwegenen Männer, die der Gefahr oder dem Scandal mit Gesang entgegengehen. Im Haag angelangt, fand man Clement sehr wohlauf. Jablonsky theilte ihm mit, daß er nach Holland gereist sei, um ein gewisses Werk drucken zu lassen. Der König habe ihm den Auftrag gegeben, Clement seiner Gnade zu versichern, zugleich aber auch den Wunsch ausgesprochen, der Agent möge sobald als möglich nach Berlin kommen, da der Monarch verschiedene sehr wichtige Dinge mit ihm besprechen müsse. Dasselbe bestätigte Dumoulin, der einige Tage nach Jablonsky im Haag eintraf und Clement einen Brief vom Könige überreichte, in welchem Friedrich Wilhelm sich erbot, nach Cleve zu reisen, wenn Clement nicht nach Berlin kommen wolle. Clement hatte die unerhörte Dreistigkeit, mit beiden Emissären nach Berlin zu reisen.

Neues Schwanken des Königs. – Er ward sogleich wieder für Clement eingenommen; wie hätte ein Betrüger es wagen können, sich einzustellen? Diese Frage lag in der That sehr nahe. In dem Cabinete des Königs fand die Unterredung statt, welcher der Dessauer, hinter einem Vorhange versteckt, beiwohnte. Der König behauptete, daß, da bis jetzt Nichts gegen ihn unternommen worden sei, er dem Wiener Hofe unmöglich die Absicht zutrauen könne. Clement berief sich auf die Briefe Eugen’s und Sinzendorf’s. Der König verlangte die Briefe noch einmal zu sehen. „Ich habe sie nicht bei mir, Majestät,“ entgegnete Clement, „aber sie sind im Haag in den Händen eines Freundes, der sie nur mir ausliefern darf. Befehlen Majestät sie zu sehen, so reise ich sofort zurück, sie zu holen.“

Unbegreiflich! – Man ließ Clement wieder nach dem Haag reisen. Zwar gab man ihm Dumoulin als Aufseher mit, der Officier hatte jedoch vom Könige den seltsamen Befehl erhalten, Alles zu thun, was Clement ihm heißen werde, der in Staatsangelegenheiten beschäftigt sei. Uebrigens aber solle Dumoulin ihn um jeden Preis wieder nach Berlin bringen. Beide Männer kamen im Haag an und logirten in einem Hause. Gleich am ersten Tage eröffnete Clement seinem Begleiter, daß die Agenten des kaiserlichen Hofes in der Nähe seien, Dumoulin müsse sich vor ihnen verstecken. Er schloß – seinen Wächter drei Tage lang ein! – Jetzt hätte er davongehen können, allein – soll man Frechheit oder Siegesgewißheit annehmen? – Clement blieb. Endlich reisten Beide wieder nach Berlin zurück. In Cleve angelangt merkte Clement, daß die Sache nicht geheuer sei, und wollte, unter dem Verwande Papiere vergessen zu haben, wieder umkehren, nun aber trat der Reisegefährte mit geladenen Pistolen auf. Es war zu spät.

Bei der Ankunft in Berlin führte Dumoulin seinen Pflegebefohlenen zum Staatsminister von Marschall. Man begegnete Clement mit großer Höflichkeit, und der Minister lud ihn zu Tische. Als Dessert aber zeigte er ihm den Verhaftsbefehl. Clement protestirte umsonst. Er ward noch denselben Nachmittag in die Hausvogtei abgeführt. Um Mitternacht öffneten sich die Thüren seines Gefängnisses. Er sollte das erste Verhör bestehen. Als er in das Verhörzimmer trat, befand er sich dem Könige gegenüber. Die richterlichen Functionen leitete der Generalauditeur Herr von Katsch. Clement antwortete mit großer Geistesgegenwart, wurde aber noch in derselben Nacht auf die Citadelle von Spandau geführt. Folgenden Tages begann das zweite Verhör, wieder in Beisein des Königs. Clement blieb fest bei seinen Aussagen. Er bestand darauf, Alles beweisen zu können, und berief sich auf die ihm von Wien und Dresden aus geschriebenen Briefe. Die staunenswerte Sicherheit, mit welcher er seine Vertheidigung führte, brachte den König fast dahin, den Proceß niederzuschlagen. Katsch, der ganz auf Seiten des Fürsten von Dessau stand, rief über den Tisch hinweg: „Keine Uebereilung, Majestät! noch ein oder zwei Verhöre und eine Portion Folter, dann sollen Sie bald wissen, woran Sie sind.“

Am dritten Tage, mitten im Verhöre, that sich plötzlich die Thüre auf. Der Henker, gefolgt von seinen Knechten, trat ein. Alle trugen die zur Folter gehörigen Geräthschaften. Beim Anblicke dieser entsetzlichen Maschinen schwand die Keckheit Clements. Er warf sich dem Könige zu Füßen und gestand seine Betrügereien ein. Er bekannte, daß die Höfe von Dresden und Wien niemals einen Plan zur Gefangennehmung des Königs gehegt hätten, daß ferner alle Schriftstücke gefälscht seien.

Es trat nun eine merkwürdige Veränderung in der Stimmung Friedrich Wilhelm’s ein. Der König hielt nämlich Clement’s Geständniß insofern nicht für aufrichtig, als er wirklich an das Bestehen einer Verschwörung gegen sich glaubte. Er behauptete, Clement leugne jetzt im Interesse der feindlich gesinnten Höfe, um diese frei zu sprechen. Erst als der Generallieutenant von Borck nach Wien und Dresden gesendet worden war und die feierlichen Proteste der Cabinete, der Minister und des Prinzen Eugen gegen den ihnen aufgebürdeten Verdacht zurückbrachte, beruhigte sich der König. Der Prinz Eugen hatte die Nachahmung seiner Handschrift so täuschend gefunden, daß er bekannte, er würde selbst seine eigenen Schriftzüge nicht zu unterscheiden vermocht haben, doch kränke es ihn, daß man in Berlin habe glauben können, er werde seinem ehrlichen Namen einen solchen Schandfleck anhängen. – Um den König von der heillosen Fertigkeit des Betrügers zu überführen, mußte Clement vor dem Monarchen dessen Handschrift nachahmen. Friedrich Wilhelm’s Schriftzüge und die gefälschten ließen sich nicht von einander unterscheiden, so trefflich verstand Clement sein Handwerk.

Es blieb nun noch übrig, die Mitschuldigen kennen zu lernen. Clement gab zunächst Heidekam, Lehmann und Bube an. Alle drei wurden nach Spandau transportirt. Das eine der drei Schlachtopfer entzog sich dem Arme der Justiz. Es war der Secretair Bube, der sich im Gefängnisse vergiftete. Die beiden anderen Verbrecher zogen in ihr Geschick eine Menge Privatpersonen hinein, und die Gefängnisse Spandau’s waren mit Inhaftirten gefüllt. Einige dieser Processe bilden wieder ganz pikante, für sich bestehende Episoden, ihre Darlegung würde jedoch den Raum dieser Blätter zu bedeutend in Anspruch nehmen. Die Verhandlungen dehnten sich so in die Länge, daß erst im folgenden Jahre die Entscheidung gefällt werden konnte. – Sie war blutig, furchtbar und den Rechtsbegriffen jener Zeit angemessen.

Am 18. April 1720 hatten die Berliner das grauenvolle Schauspiel eines Executionszuges innerhalb ihrer Stadtmauern. Von der Hausvogtei wurden die drei Sünder nach dem neuen Markte, dem Richtplatze, gebracht. Die Procedur begann um acht Uhr Morgens. Clement war der Erste im Zuge, dann folgte Lehmann. Den Exbaron Heidekam trugen zwei Gerichtsdiener auf einem Stuhle, da er zu schwach war, um gehen zu können. Auf

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