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verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Platz gesucht, hatte sie dort zufällig gefunden. Man hatte sie liegen lassen, ganz in dem Zustande, wie sie aufgefunden war. So fand ich sie auch noch. Sie lag lang ausgestreckt da, auf dem Rücken. Sie lag in voller Bekleidung, nur die Kopfbedeckung und eine Halsbinde fehlten. An der Bekleidung war Manches zerrissen, Einzelnes offenbar absichtlich. Der Ermordete war ein junger Mann von etwa fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, von schlankem, fast zartem Körperbau, von etwas mehr als mittelmäßiger Größe, die Haare waren blond; das Gesicht war fein geschnitten, aber mager, eingefallen; man glaubte, noch im Tode zu erkennen, daß es angenehme, geistreiche, lebhafte Züge gehabt habe. So sah man die Leiche eines jungen Mannes der sogenannten besseren, vielleicht gar höheren Gesellschaft vor sich.

Seinem Aeußern nach konnte der junge Mann nicht mit den Schmugglern in Verbindung gebracht werden, es konnte kein Camerad von ihnen sein, denn die Schmuggler der Grenze bestanden nur aus dem verkommensten, zusammengelaufenen Gesindel der Grenze: das Beste waren unter ihnen ein paar heruntergekommene oder sonst zweideutige Bauernwirthe. Aber in der That schien jenem Aeußeren die Bekleidung der Leiche nicht entsprechen zu wollen. Der Ermordete trug einen ganz gewöhnlichen, groben, grauen, langen Wandrock, wie ihn die litthauischen Bauern, und zwar auf preußischer Seite, zu tragen pflegten. Allein unter dem Rocke sah man eine Weste von schwarzem Atlas und dem modernsten Schnitt, und unter der Weste wieder ein Hemd von sehr feiner Leinwand, wie der beste litthauische Bauer sie wohl noch nie getragen hat. Dann waren die Beinkleider von feinem schwarzem Tuch und ebenfalls von modernem Schnitt, und die aristokratisch schmalen Füße waren mit eleganten Stiefeln bekleidet.

Der Mord war in doppelter Weise auszuführen gesucht. Zuerst hatte der Mörder sein Opfer erwürgen wollen. Die Spuren eines fest um den Hals gewundenen Strickes zeigten sich deutlich. Der Strick fehlte. Dann war der Hirnschädel an mehreren Stellen eingeschlagen. Es mußte mit einem stumpfen Instrumente geschehen sein, mit einem Stück Holz, einem Hakenstocke oder dergleichen. Ob der Tod durch jene oder durch diese Mißhandlung herbeigeführt, konnte sich erst durch eine Section der Leiche ergeben. Der Mord war nicht an der Stelle verübt, wo die Leiche gefunden war; er war überhaupt nicht auf russischem Boden verübt. Die russischen Behörden hatten das bisher nur vermuthen können. Gewiß feststellen konnten sie es nicht, weil sie allein die preußische Grenze nicht überschreiten durften.

Jetzt, unter meiner Leitung konnte dies geschehen. Auf dem Grenzwalle war an dem verbogenen Gebüsch zu bemerken, daß Jemand quer hinübergegangen sein müsse. Eine aufgefundene Fußspur bestätigte dies. Sie hatte in gerader Richtung den Wall überschritten. So wurde sie auch jenseits, auf preußischem Gebiete weiter verfolgt. Nach hundert Schritten führte sie nach der Mordstelle.

Der Boden war auf preußischer Seite, wie auf russischer, sumpfig, feucht, gruppenweise mit Erlen bewachsen. An einzelnen Stellen war er plötzlich sandig; dort standen verkrüppelte Fichten und Erlen; auf einem der sandigen Flecke war der Mord geschehen. Der Sand war in einem Umkreise von mehreren Schuhen von Blut geröthet, wie mit Blut getränkt. An Zweigen und Blättern der nächsten Erlen waren Blutstropfen angeklebt. Sie waren bei dem gewaltsamen Zerschlagen des Hirnschädels umher und in die Höhe gespritzt. Das war auch fast Alles, was zu sehen war.

Außerdem war namentlich daraus, daß an den nächsten Fichten und Erlen, obwohl zu diesen die Blutstropfen herangespritzt waren, kein Zweig und kein Blatt verbogen war, zu entnehmen, daß zwischen dem Mörder und dem Ermordeten durchaus kein Kampf stattgefunden hatte. Daraus und aus dem Befunde an der Lelche war dann auf die Mordspur weiter zu schließen. Der Mörder hatte den Ermordeten plötzlich und unversehens überfallen, entweder indem er ihm aufgelauert hatte, oder indem er vertraulich mit ihm gegangen war. Er hatte ihn sofort durch den Ueberfall kampfunfähig gemacht; wahrscheinlich indem er eine Schlinge, einen Strick, ihm um den Hals geworfen, sie zugezogen und ihn so niedergerissen und gewürgt hatte. Um des Todes sich ganz und völlig zu vergewissern, hatte er dann noch mit dem stumpfen Instrumente den Hirnschädel eingeschlagen. Den todten Körper hatte er über die Grenze getragen. Er hatte ihn nicht an der Erde geschleppt; davon hätten sich auch in jenem sandigen und schlüpfrigen Boden Spuren finden müssen. Er hatte ihn also getragen, und daraus war ein weiterer Schluß zu ziehen. Hatte nur ein einziger Mensch das Verbrechen verübt, so mußte es ein Mensch von großer, ungewöhnlicher Körperkraft sein.

(Fortsetzung folgt.)

Die Körner-Gräber und ihr alter Wächter.

Es war an einem wunderschönen Maimorgen, als ich mit einem Freunde mich auf die Wanderung machte, um die Grabstätte Theodor Körner’s einmal wieder zu besuchen.

Das Bauerndorf Wöbbelin liegt hart an der Ludwigslust-Schweriner Chausée und ist auffallend in die Länge gebaut. Gleich zu Anfang der Häuserreihe – von der Ludwigsluster Seite aus – erheben sich zwei mächtige Eichen, weithin sichtbar. Das ehrwürdige Geschwisterpaar ist ungefähr 40 Schritte von einander getrennt; unter dem entferntest liegenden Baume fand Theodor Körner die ewige Ruhe, und um ihn herum hat der Tod auch seine Lieben gebettet.

Anfangs befanden sich die Körner’schen Gräber allein auf dem Platze, und ein hölzernes Gitter, um welches sich im Abstande von circa 12 Fuß eine einfache Mauer herumzog, umschloß die heilige Stätte. Im Jahre 1839 ward die erste Einrahmung indeß durch eine eiserne ersetzt, und als man im nächstfolgenden Jahre den Platz mit einem Friedhof für die Dorfschaft vereinigte, fiel auch die Mauer, welche nun soweit hinausgerückt ist, daß sie die Körner-Gräber mit dem Gottesacker zu einem Ganzen umschließt; dem Dorfkirchhof öffnet sich jedoch ein eigenes Thor.

Den Grabstätten gegenüber liegt an der anderen Seite der Chaussée das Schulzengehöft, wo die Schlüssel zum Dichtergrabe aufbewahrt werden. „Vergeßt die treuen Todten nicht!“ lautet die ernste, mahnende Inschrift des Thores zu letzterem, welches in Gestalt eines Triumphbogens, nach einer Zeichnung von Schinkel, aufgeführt ist. Die eiserne, mit einem Helm gekrönte Gitterthür, welche schon in der früheren Mauer befindlich war, öffnete sich uns, und wir betraten den breiten Kiesweg, der, auf beiden Seiten von Birken, welche gleichsam trauernd ihre Zweige tief gesenkt haben, und Gebüsch begrenzt, in gerader Linie zu der Ruhestätte führt.

Da stehen wir vor der geweihten Stätte, – vor einem Heiligthum der Nation, – vor einem Tempel, darinnen der reinsten Begeisterung ein Altar gebaut ist! Wie viele Thränen mögen hier geflossen, wie viele Gelübde gen Himmel gestiegen, wie viele Erinnerungen an diesen einsamen und einfachen Ort geknüpft sein! – „Wir erblicken nur wenige Bildsäulen,“ sagt Thomas Abbt, „die uns die Lehre predigen: Stirb für’s Vaterland!“ Ich möchte behaupten, es giebt keinen andern einfacher gekennzeichneten Ort, der beredter so zu uns spräche, als Theodor Körner’s Grab.

Während wir uns dem Eindruck dieser Stätte hingaben, öffnete sich das Fenster eines naheliegenden Hauses, und ein von weißem Haar und Bart umrahmtes Greisenantlitz kam zum Vorschein, den Blick unverwandt auf den Kirchhof und uns geheftet. Die ehrwürdige Erscheinung zog mich mächtig an – vielleicht ein Zeuge der Trauervorgänge an diesem Orte, vermuthete ich, und als solcher sicher im Stande, die Einzelheiten des Sängerbegräbnisses zu erzählen. Ich beschloß, mich zu nähern. Ein eben Verübergehender sollte mir zuvor Auskunft geben.

„Das ist der frühere Dorfschulze Franck,“ lautete die Antwort, „der dort auf seinem Altentheil lebt.“

„Ist er denn schon Schulze gewesen, als Körner hier begraben wurde?“ fragte ich weiter.

„Gewiß,“ entgegnete der Andere, „er weiß Manches über den Vorgang zu erzählen, aber jetzt ist kein gut Umgehen mit ihm. Seit man ihn in den Ruhestand gesetzt hat, ist er ganz tiefsinnig geworden, und nur selten treten Augenblicke seiner früheren Gesprächigkeit wieder ein.“

Der Alte fesselte mein Interesse in noch höherem Grade. Ich trat zu ihm an’s Fenster und wünschte guten Tag. Er dankte indeß gar nicht und schlug das Fenster zu. Inzwischen war

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verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1863, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_420.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2018)