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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ein Polterabend.
Von J. D. H. Temme.

Es war ein warmer Augustabend und die Luft ruhig, als wir unsern Wagen verließen. Mein Freund, der Steuerrath, führte mich um das Dorf herum, an Wiesen vorüber, nach einem Wäldchen von Fichten, Birken und einzelnen Buchen. Wir waren in Dunkelheit und Stille gegangen. Als wir in das Wäldchen hineinschritten, war es darin noch dunkeler und stiller, als es am Dorfe und an den Wiesen gewesen war. Wir konnten in dem Wäldchen hundert Schritte zurückgelegt haben. Gerade vor uns, aber noch in weiter Ferne, wurde ein schwacher, unbestimmter Lichtschimmer wahrnehmbar. In derselben Richtung vernahm das Ohr ein unbestimmtes, summendes Geräusch.

„Dort!“ sagte mein Freund, indem er mit der Hand nach Lichtschimmer und Geräusch hinwies. Ich hatte ihm nichts zu erwidern, und wir setzten unseren Weg fort, immer in gerader Richtung nach Schimmer und Geräusch. Der Schimmer wurde heller; ein weiter Raum schien von einer Menge von Lichtern erleuchtet zu werden. Das Geräusch wurde vernehmlicher; Menschenstimmen sprachen und lachten durch einander. Wir kamen den Lichtern und den Stimmen näher und immer näher und waren fast unmittelbar bei ihnen; nur noch eine hohe und dichte Hecke trennte uns von ihnen. Der Steuerrath führte mich an diese; es war eine Taxushecke.

„Bleib’ Du hier stehen,“ sagte mein Freund. „Halte Dich ganz ruhig. Ich bin in zwei Minuten wieder bei Dir.“

„Wohin willst Du?“ fragte ich ihn.

„Recognosciren.“

Er ging an der Hecke entlang, und ich verlor ihn in der Dunkelheit aus den Augen. Er war leise gegangen; nach fünf Schritten hatte ich ihn nicht mehr gehört. Ich blieb auf der Stelle stehen, an der er sich von mir getrennt hatte, und versuchte, durch die Hecke in den Garten zu blicken, den sie von dem Wäldchen und von mir trennte. Die Hecke war zu breit, der Taxus zu dicht. Ich konnte zwar eine Menge von Lichtern und Lampen unterscheiden, die überall umher standen und hingen, bald hoch, bald niedrig, wohl auf Tischen, an Spalieren, in den Bäumen; ich sah auch, wie es zwischen und unter den Lichtern sich fortwährend hin und her bewegte. Weiter konnte ich aber nichts erkennen. Menschen mußten es sein, die sich so hin und her bewegten. Ich vernahm deutlich die Stimmen, die sich unterhielten, bald laut, bald leiser sprechend, rufend, scherzend, lachend. Es war eine große, heitere, muntere, lustige Gesellschaft da. In das Reden und Lachen mischte sich das Klirren von Gläsern, Ich fühlte mich befriedigt. War mein Zweck hier überhaupt zu erreichen, in dieser munteren, lustigen Gesellschaft schien er mir um so leichter erreichbar zu sein.

Und doch wollte es mich auf einmal heiß und kalt überlaufen, als ich so recht darüber nachdachte.

Ich kam von dem Schauplatze eines Mordes und ich suchte den Mörder.

Aber, meine lieben, freundlichen Leser, hier muß ein Anderer, als der bisher zu Dir sprach, das Wort nehmen. Der Schreiber dieser Zeilen, der Dir in der „Gartenlaube“ allerdings schon so manche Geschichte aus seiner früheren Thätigkeit als Criminalrichter erzählt hat, erzählt Dir jetzt nicht aus seinem eigenen Beamtenleben, sondern er erzählt diesmal nur nach, was er von einem anderen, auch schon alten Criminalrichter aus dessen Leben erfahren hat. Und so läßt er denn seinen Gewährsmann fortfahren.

Ich horchte, um zu unterscheiden, was und worüber gesprochen wurde, aber ich konnte nur einzelne Worte auffangen. Das Gesumme der Stimmen war zu bewegt, zu vielfach durch einander gekreuzt, als daß man zusammenhängende Worte oder Sätze hätte heraushören können. Das Einzelne, was ich verstand, bezog sich eben auf die Munterkeit der Gesellschaft, auf den herrlichen Abend, auf Wein und auf Punsch und was dazu gehörte oder damit zusammenhing. Nach einer Minute verstand ich gar kein Wort mehr. Eine Tanzmusik spielte auf, ganz nahe vor mir, dicht an der Taxushecke. Ihre lauten, lustigen Töne verschlangen jeden anderen Laut umher. Mein Freund, der Steuerrath, kam zurück.

„Folge mir,“ sagte er.

„Was hast Du gefunden?“

„Einen herrlichen Platz, an dem Alles zu überschauen ist.“

Er führte mich an der Hecke entlang, in der Richtung, in der er sich vorhin entfernt hatte. Wir kamen an dem großen erleuchteten Raume vorüber, in dem sich die lustige Gesellschaft befand. An dem Ende desselben wo sich die Hecke bog, machten wir Halt. In der Biegung war ein Gitterpförtchen, durch welches man jetzt den ganzen erhellten Raum des Gartens übersehen konnte. Vor dem Pförtchen stand eine große, breite Haselnußstaude. An sie stellten wir uns. Sie verbarg uns jedem Auge jenseits des Pförtchens, ließ aber unsere Blicke durch das Pförtchen völlig frei.

Der Garten war mit Lampen glänzend erleuchtet; Alles plauderte, lachte, scherzte, tanzte und trank. Sie waren Alle so fröhlich, so munter, so lustig. Aus dem dichtesten Haufen der Scherzenden und Lachenden schlich leise und verstohlen und ängstlich ein feines, blasses Mädchen heraus. Sie war hoch aufgeputzt, mehr als die Anderen. Sie war jung und schön, aber so sehr, so schrecklich blaß in ihrer Jugend, in ihrer Schönheit und in ihrem Putze. Sie schwankte auf das Pförtchen zu, hinter dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_417.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)