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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Kaufmann Kunze durch das streng bewachte Thor von Leipzig in die Stadt zu bringen, war nicht „ein zuverlässiger Bote“, sondern eine aufopferungsfähige Bötin, unsere Frau Häußer.

Wer bedenkt, wie unerbittlich streng die französischen Gewalthaber damals jede deutsch-patriotische Handlung straften, wer ferner bedenkt, daß Frau Häußer damals Mutter von zwei lieben Kindern war, die ihr das Leben doppelt theuer machten, und daß sie nicht etwa von irgendwelcher

Das Gärtnerhaus in Groß-Zschocher.

Begeisterung für den „gefeierten Dichter“ zu jenem Wagniß emporgehoben sein konnte, da sie von diesem Dichterruhm gar nichts gewußt, sondern blos und allein den „blessirten Officier“, den „braven jungen Mann“, den „Lützower in der Noth“ vor sich hatte, der wird es ihr doppelt hoch anrechnen, daß sie den Gang für ihn wagte. Sie verbarg beide Briefe in ihre Strümpfe und brachte sie glücklich zu Kunze. Wir glaubten es ihr, als sie hier ihrer Erzählung hinzufügte: „Wie ich da die Briefe los war, da können Sie denken, daß ich recht froh war.“

In seinem Bodenstübchen, „wo er den ganzen Tag schrieb“, verweilte Körner, nach der Aussage der Frau Häußer, 8–9 Tage. Nachdem sie die von Kunze besorgten Kleider und die Perrücke, durch welche die fernere Flucht Körner’s gesichert werden sollte, nach Groß-Zschocher gebracht, kam der Tag der Uebersiedelung desselben zu Dr. Wendler nach Leipzig. Am hellen Mittag verließ der Gärtner Häußer mit seinem verkleideten Gaste das Haus und führte ihn durch den Park, wiederum ohne das Dorf zu berühren, nach Schleußig, bis wohin er ihm auch die Kriegscasse (von mehr als tausend Thaler, wie Frau Häußer sagte) trug, die Körner gerettet hatte.

„Wie’s wieder ruhig war,“ erzählte Frau Häußer weiter, „kamen die Eltern Körner’s und besuchten uns. Mein seliger Mann mußte den Vater an die Eiche im Gehölz führen, aber die Mutter blieb bei mir, und ich sollte ihr von ihrem Sohne erzählen. Draußen an der Eiche gab Körner’s Vater meinem Mann den silbernen Becher, den ich durch alles Kreuz und Elend, das über mich kam, glücklich erhalten habe bis heute.“ Auch einige Bilder und die Gedichte Körner’s in ältester Ausgabe werden als Andenken der Eltern des Dichters von der Familie Häußer aufbewahrt.

Leider sucht der Verehrer Theodor Körner’s heute vergeblich nach der Eiche; sie ist sammt dem ganzen Walde verschwunden, es ist Ackerfeld aus dem Waldboden geworden, und selbst die Elster hat ihr altes Bett, das nun „das stille Wasser“ heißt, verlassen müssen und kann nicht mehr als Wegweiser für den dienen, der die ehemalige Stätte des Holzes „im Nesselwinkel“ und des Gehölzes „im Schönen“ sucht. Nur der Sohn und die Tochter der Frau Häußer sind im Stande, annähernd den Platz anzudeuten, wo die schöne Eiche emporragte und wo Theodor Körner, selbst dem Tode nah noch Dichter, in der schlimmsten Nacht seines Lebens lag. Diese Stelle soll jetzt durch einen Denkstein bezeichnet werden.

H.



Pariser Bilder und Geschichten.
Von Sigmund Kolisch.
Eine Stunde bei Michelet.

Am 13. Juni zurückkehrend, aus der Madeleinekirche, wo die Todtenfeier zu Ehren des Grafen Cavour stattgefunden hatte, begegnete ich auf dem Boulevard des Italiens vor dem Café Cardinal meinem Freund und Landsmann D., der langsam dahinschlendernd umherspähte, wie Jemand, der etwas sucht.

„Wohin des Weges?“ redete ich ihn an.

„Ich sehe mich nach einem Wagen um, der mich nach meiner „Erholung“ bringen soll.“

„Sie haben also Ihr Sanssouci wie ein Fürst?“

„Warum nicht?“

„Darf man wissen, wo Ihr Lustschloß steht?“

„Rue de l’Ouest Nr. 44, hart an dem Luxembourg-Garten.“

„Sehr empfehlend fürwahr!“

„Wenn Sie mitkommen wollen, so steht es Ihnen frei, und ich stehe dafür, daß auch Sie einige Befriedigung finden werden.“

„Ich nehme Ihre Bürgschaft an; wissen aber möchte ich doch, wohin Sie mich eigentlich bringen wollen.“

„Nun denn,“ entgegnete D., „zu Michelet,[1] wo ich, wie nirgends, die drückenden Sorgen abthue, die mir meine verwickelten Geschäfte verursachen, wo ich meinen Geist in eine Sphäre tauche, die reinigend und erfrischend zugleich wirkt, wo ich die Unerquicklichkeiten und Gemeinheiten vergesse, mit denen ich mich herumzuschlagen habe. Sie bedürfen zwar nicht in dem Maße, wie ich, der Luftveränderung; denn Sie, nachdem Sie der Sturm, wie mich, hierher verschlagen, blieben, trotz der harten Kämpfe, die Sie zu bestehen hatten, bei Ihren Büchern und Schriften, während ich es mit Bankiers, mit Commissionären, mit Fabrikanten und Kaufleuten, mit der türkischen Finanzkrise und dergleichen zu thun habe; allein Michelet ist ein politisch-literarischer Charakter von besonderem Interesse, und es ist eigentlich unrecht von Ihnen, daß Sie ihn nicht längst kennen zu lernen suchten. Sie haben vor einigen Jahren der verbreiteten „Gartenlaube“ Schilderungen französischer Berühmtheiten geliefert, und ich denke, daß in dieser Gallerie der berühmte Professor nicht hätte fehlen, daß er neben Béranger, Lamennais, George Sand, Thiers einen Platz hatte finden sollen.“

„Der Vorwurf ist vollkommen gegründet,“ versetzte ich, „doch ist der Fehler leicht gut zu machen. Ich folge Ihnen.“

Ein Wagen wurde genommen, und wir fuhren zu Herrn Michelet.

Der Mann, der so viele Kämpfe mit den „Schicksalsmächten“, mit Irrthum, Aberglauben und Unrecht bestanden, der gearbeitet, geforscht und gelehrt hat, an dessen Lebenswandel der eifrigste Widersacher keine Makel finden kann, dessen Ueberzeugung stets ein Fels war, von dem keine Brandung etwas abzulösen vermochte,

  1. WS: Hochkommasetzung sinngemäß korrigiert.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_408.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)