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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und es scheint, daß sie sich noch Rechnung auf ein gehöriges Abstandsgeld gemacht, sich darauf hin auch schon einen Fleischer zum Liebsten geangelt hatte, der sie um der schönen Thaler willen zu heirathen versprochen. Eines Abends indessen, als sie unter Drohungen den Amtsrath zu einer Zusammenkunft mit ihr bei der rothen Schenke veranlaßt, droht ihr dieser bei einem neuen Erpressungsversuche mit gerichtlicher Haft, der neue Liebste, der im Hause nur auf das Resultat der Unterredung gewartet, giebt ihr kurz gefaßt den Laufpaß, und sie stürzt mit Rache im Herzen dem Amtsrath nach. Der Fleischer aber hat sein Messer in ihrem Korbe aufbewahrt gehabt, ohne wieder, als er sie verlassen, daran zu denken – ja – Alles dies ist aber nun zu derselben Zeit geschehen, als der Fritz in jener Nacht nachgewiesenermaßen sich längst auf dem Heimwege von des Amtsraths Gute befunden hat –“

„Dortor, um Gotteswillen martern Sie uns nicht – mein Sohn kommt frei?!“ schrie Rothe aus, von seinem Sitze emporschnellend.

„Nun ja, und wenn Sie jetzt nach der Stadt fahren wollen, bringen Sie ihn möglicherweise gleich mit heim!“ erwiderte der Arzt, der erst jetzt den Kopf wandte, mit einer Bewegung in seinem Tone, die er vergeblich durch ein plötzliches, glückliches Lachen zu verdecken suchte – und: „Lisbeth – Doctor, sehen Sie nach der Frau!“ brach es aus des Vaters Munde, während er gleichzeitig zur Thür hinaus in den Hof stützte. Und von dort klang es im nächsten Momente in voller Kraft der Stimme: „Johann, die Pferde, den kleinen Wagen, rasch!“

Als aber der Doctor sich in einem leichten Schrecken nach der Frau gewandt, sah er, wie diese leichenblaß neben ihrem Stuhle stand und sichtliche Anstrengungen machte, sich daran festzuhalten. „Lisbeth, fassen Sie sich!“ rief er, rasch auf sie zutretend, „ich wollte ja mit meiner Nachricht recht vorsichtig sein!“ – sie aber streckte beide Arme, als vergingen ihr die Sinne, nach ihm aus. „Maiwald, Maiwald, das haben Sie gethan!“ flüsterte sie, dann fiel ihr Kopf haltlos an seine Brust.

Eine Secunde lang hielt der Alte den Blick in den sonnenhellen Himmel hinaus gerichtet, und ein wundersamer Strahl ging fast verklärend durch seine welken Züge, dann bettete er die Frau leise in den von ihrem Manne verlassenen Großvaterstuhl und rief nach frischem Wasser.




Der Stoff zu der vorliegenden einfachen Erzählung ist dem wirklichen Leben entnommen. Die „Meier-Lotte“, welche in einem verrufenen Haue der großen Stadt aufgegriffen ward und nach kurzen Versuchen zu leugnen ein ausführliches Geständniß ablegte, wurde unter Berücksichtigung der Aufregung, in welcher sie den Mord vollbracht und welche ihr nach ihrer eigenen Angabe für eine Zeit lang völlig den Verstand genommen, zu lebenslänglichem Zuchthause begnadigt, ein Umstand, welcher dem Doctor, der „Niemand an’s Beil hätte liefern mögen“, zur sichtlichen Erleichterung gereichte. Die „Amtsräthin“ hatte der Erbschaft zu Gunsten der durchgängig armen Verwandten des Ermordeten entsagt und sich damit unter den Klatschmäulern der beiden Dörfer einen ruhigen Weg nach Rothe’s Hause, in welchem sie nach länger als Jahresfrist als neue junge Frau einzog, gebahnt.

Heute, wo dies geschrieben wird, lebt von den Alten nur noch „Vater Rothe“ als rüstiger Greis; der Doctor starb kaum neun Monate nach dem Hingange seiner ersten Liebe ohne auffällige Krankheit; sein Andenken ist aber noch lebendig, soweit seine Wirksamkeit gereicht.




Menagerie-Bilder.
Nr. 6. Das Raubthierideal.


Das Modell.


So wird in der Naturgeschichte von Pöppig der Tiger genannt, und er verdient diesen Namen in der That, denn wenn der Löwe mehr den Eindruck des Großartigen, Gewaltigen macht, so ist es hingegen der Tiger, welcher das Gierige, nach Beute Spähende, und doch auch Eigenschaften des Kraftvollen und Gewandten am meisten in sich vereinigt. Nächst dem Löwen ist er es daher auch, welchen eingesperrt zu sehen das Publicum immer von Neuem interessirt. Selbst in Japan macht man gute Geschäfte mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_405.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)