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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

er fortkomme, so wolle er ihm den Weg mit den großen Karthaunen weisen!“

Vor diesem Ereigniß, das sich unauslöschlich in der Brust des Knaben Konrad Wiederhold (des späteren Commandanten von Hohentwiel, dessen wir in Nr. 36 der Gartenlaube 1862 gedachten) festgesetzt hat und diesem, nach eigenem Geständniß, ein steter Leitstern seiner Handlungen gewesen ist – stand Heinz von Lüder auf einem friedlicheren Posten. In Gemeinschaft mit Adam Krafft mußte er im Hessenlande umherreisen, das Kirchenwesen zu untersuchen und die evangelische Kirchenzucht herzustellen, wie dies auf der Kirchenversammlung zu Homberg im Jahre 1526 bestimmt war. Dabei traf es sich auch, daß Heinz von Lüder das Kloster zu Haina von den innewohnenden Mönchen säuberte. Die Aebte beschwerten sich bei dem kaiserlichen Reichskammergericht, so daß kaiserliche Beamte nach Haina kamen, um sich vom Stand der Dinge zu überzeugen. Mittlerweile war aus den Räumen des Betens und Faulenzens ein Zufluchtsort für Gebrechliche und Geistesschwache erstanden, und der zeitige „Abt“ hieß – Heinz von Lüder. Dieser, auf die Frage, weshalb er die Mönche aus ihrem Eigenthum vertrieben, schwieg und ließ die Thüren des Empfangszimmers öffnen. Da traten herein die Blödsinnigen, die Krüppel und Elenden. Die Kaiserlichen aber sahen sich beschämt und vertwundert an, als nun der Ehrenmann sie fragte: „Gnädige Herren, hier sind sie, die die Einkünfte der Abtei genießen; möget Ihr es vor Gott verantworten, daß diese wieder in’s Elend gestoßen werden?“ Mit Hochachtung schieden die Gesandten des Kaisers von der Anstalt, und gar bald erging von Seiten des Letzteren das Urtheil, daß die Mönche ihre Rechte am Kloster einbüßen müßten.

Damals grollte Carl V. dem Biedermanne noch nicht, wohl aber etliche Jahre später, nach der Eingangs erzählten ritterlichen Antwort. Da, als sich endlich Landgraf Philipp die Thüren des Gefängnisses öffneten, machte der Kaiser auch seinem Zorne gegen den Commandanten von Ziegenhain Luft und behielt sich vor, als eine Mitbedingung von Philipp’s Freiheit, daß dieser den Heinz von Lüder am Ziegenhainer Festungsthore aufhängen lasse. Herrlich löste der befreite Landgraf sein gegebenes Wort. An einer goldenen Kette, mit Polstern unter die Arme des Missethäters gelegt, ward Heinz von Lüder am Thore sanft in die Höhe gezogen und, nachdem er ein wenig gehangen, wieder herabgelassen. Die Kette aber ist sein Eigenthum geblieben, als ein Zeichen der Dankbarkeit seines Fürsten und ein Sinnbild seiner eigenen Treue, herrlich wie Gold im Feuer der Noth bewährt. –

Mein zweiter Junker von der Schwalm kann nicht mit Waffenthaten prunken oder sich rühmen, seinem Fürsten treu gewesen zu sein bis in den Tod. Doch war er treu sich selbst, treu seiner besseren Ueberzeugung und treu dem guten Rechte seines Volkes. Er heißt Bernhard v. Schwertzell, ist von „gutem Adel“, wie seine Thaten beweisen werden, und 1816 auf dem Schlosse der Freiherrn v. Schwertzell zu Willingshausen, zwei Stunden von Ziegenhain, geboren. In den „tollen Jahren“ kam er, den Keim des Todes in der Brust, aus Oesterreich, wo er als Lieutenant gedient, auf sein Heimathdorf zurück. Hier sah er bald, was dem Schwalmvolk, dessen Gleichgültigkeit an den Bewegungen der Zeit ihn erschreckte, vor Allem Noth that. Es war damals noch die schöne hoffnungsvolle Zeit des Frankfurter Parlamentes, als Bernhard v. Schwertzell – und dies ist seine ganze Heldenthat – von seinem Schmerzenslager aus das „Willingshäuser Wochenblättchen“ gründete, dessen Preis er (beiläufig gesagt), in richtiger Würdigung des Schwälmer Charakters, auf vierteljährlich einen Silbergroschen festsetzte. In volksthümlicher, d. h. den Schwälmern bis auf den letzten Buchstaben verständlicher Sprache erweckte er die Landbewohner aus dem hier und da noch süßen politischen Schlummer, zeichnete ihnen das Bild des Rechtes und suchte sie für gesetzliche Selbsthilfe zu begeistern. Wer die Schwälmer kennt, muß unwillkürlich rufen: „Eine schwierige Aufgabe!“ Aber der Mann mit dem dahinsiechenden Körper und dem frischen Geiste, der „Junker“ mit seinem warmen Herzen für das Volk, war der rechte Mann dazu. Er ruhte nicht eher, bis sein Wort auf der Schwalm die That geboren, und als sich am 29. April 1849 Nachmittags gegen fünf Uhr die von ihm gegründeten sechs Vereine zu dem von ihm unter unsäglichen körperlichen Leiden angestrebten „Schwalmbund“ vereinigten, da ruhte er für immer! Die Hoffnung eines Menschen aber, der ihm sein Leben und Streben durch gemeine Angriffe auch geistig zu verbittern gesucht hatte, die Hoffnung, daß „mit der nahe bevorstehenden Auflösung seines Körpers auch das Blättchen“ sterben werde, wie jener Gegner, ein angehender Geistlicher, in einer Erwiderung meinte, ging nicht in Erfüllung. Ein treuer Freund des Verblichenen setzte fort, was der unvergeßliche Todte begonnen, bis ihn – den armen israelitischen Lehrer von Merzhausen – das Willkürregiment eines Hassenpflug aus seinem doppelten Beruf und seinem Vaterlande vertrieb.

Bernhard v. Schwertzell starb, noch nicht ganz dreiunddreißig Jahre alt. Ein unabsehbarer Leichenzug, darunter der Bürgerverein von Ziegenhain und seine erst durch den Tod mit ihm versöhnten Verwandten, folgte dem Sarge des Frühvollendeten. Auch er ist einer von Denen, die mit der Hoffnung im Herzen gestorben sind, daß die Nacht des zerrissenen Deutschland vorüber und sein Morgenstern aufgegangen sei. Selig sind die Todten der Freiheit alle, die so gestorben sind, kämpfend und hoffend bis an’s Grab, das nach wenig Tagen auch die Freiheit verschlang!

J. B.



Blätter und Blüthen.

Der Vogel meines Freundes. Einer meiner älteren Freunde, welcher von einer Reise durch Südamerika zurückgekehrt war, lud mich zum Besuch ein, indem er hinzufügte, daß er mir allerlei merkwürdige Dinge, die er mitgebracht, zeigen könne. Als ich endlich seiner Aufforderung folgte und in sein Naturaliencabinet trat, fiel mein Auge zuerst auf einen ungeheuern Vogel, dessen ausgebreitete Flügel nicht weniger als sechszehn Fuß maßen und der am Plafond des Zimmers in fliegender Stellung aufgehängt war. Ich äußerte mein Erstaunen über diese Größe, und mein Freund erwiderte darauf lächelnd: „Ja, das ist ein prachtvoller Vogel, er hat mir aber auch mehr Angst und Gefahren verursacht, als die ganze übrige Sammlung.“

„Wie so?“ fragte ich.

„Ja, das war ein furchtbares Abenteuer,“ antwortete er, „und wenn Sie Alles angesehen haben, will ich Ihnen die Geschichte bei einem Glase Wein erzählen.“

Wir brauchten zwei Stunden, um Alles durchzusehen, dann begaben wir uns nach der Bibliothek meines Freundes, wo wir auf unsere beidereitige Gesundheit tranken und worauf mein Freund seine Erzählung begann.

„Als ich mich in La Paz, einer der blühendsten Städte Südamerikas am Andes-Gebirge, aufhielt, machten meine Freunde mir den Vorschlag, nach dem See Titicaca zu reisen, wo wir, wie sie sagten, äußerst romantische, fast unzugängliche Felsenklippen finden würden. Dies war mir sehr willkommen. Die Reise wurde sogleich beschlossen, und nachdem wir uns einen erfahrenen Führer verschafft und Alles, was zur Reise nöthig war, besorgt hatten, machten wir uns auf den Weg. La Paz liegt zwar in einem Thale, dieses befindet sich aber immer noch einige tausend Fuß über dem Meeresspiegel, und der See, nach welchem wir reisten, liegt 3–4000 Fuß über La Paz, sodaß wir uns bergaufwärts zu bewegen hatten. Die Reise war sogar nicht ohne Gefahren, da wir oft über enge, jähe Felsenpfade, zu deren Seiten uns furchtbare Abgründe angähnten, zu wandern hatten. Ein verfehlter Schritt konnte uns dort leicht den Tod bringen, und wir mußten so sorgsam als möglich gehen. Wenn wir Steine in die Abgründe schleuderten, so dauerte dies oft mehrere Minuten, bis uns das Echo aus der Tiefe verkündete, daß sie dort angelangt seien.

Endlich kamen wir nach den Ufern des Sees, der ein wildes, höchst malerisches Ansehen hatte. Ringsum war die Landschaft wild und zerklüftet, die tiefe Ruhe, welche darüber verbreitet war, gab ihr aber zugleich eine solche Harmonie, daß sie den Eindruck des Erhabenen machte. Es war schon Nachmittag, als wir dort ankamen, und da die Sonne bald darauf hinter die Schneekoppen der Westseite zu sinken begann, beschlossen wir, unser erstes Lager aufzuschlagen und unsere Forschungen bis zum nächsten Tage auszusetzen. Bald nachdem wir Halt gemacht und unser Führer Joseph unser frugales Mahl bereitete, lenkte er unsere Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand, der hinter einer zerklüfteten Klippe auf einer fernen Felsenspitze hervorragte. „Señores,“ sagte er, nachdem er gesehen, daß wir ihn in’s Auge gefaßt, „das ist das Nest eines Condor-Paares, das dort seit Jahren seine Jungen aufzieht, da es sicher ist, daß es dort Niemand erreichen kann, denn da kommt so bald Keiner hinauf.“ Er erzählte darauf, daß einige Bergbewohner es versucht hätten, aber dabei zu Schaden gekommen seien. Einmal soll Einer hinaufgekommen sein, aber der furchtbare Vogel habe ihn trotz seiner tapfern Gegenwehr über den Rand der Klippe gezogen und in den Abgrund geschleudert. „Sollte man den Vogel nicht tödten können?“ fragte ich Joseph. „Nein, Señor,“ erwiderte er mit großer Bestimmtheit. „Der Condor ist zu stark, und namentlich würde er jetzt zu fürchten sein, wo Junge im Neste sind, die er mit der größten Wuth vertheidigt.“

Je mehr unser Führer in dieser Weise dagegen sprach, desto mehr reizte uns der Angriff, und wir beschlossen, am nächsten Tage eine Klippe zu ersteigen, welche das Nest überragte, und von wo wir einen Blick auf den furchtbaren Vogel mußten werfen können.

Demgemäß machten wir uns am nächsten Morgen voll Lust auf den Weg. Nach mühsamem, erschöpfendem Emporkommen kamen wir endlich auf dem Gipfel der Klippe an und nahmen dort erst einige Erfrischungen zu uns, ehe wir weiter vorgingen. Nach dem Frühstück erklimmten wir mehrere hervorragende Punkte am Rande des Felsens, um einen Blick in das Nest zu gewinnen; da uns dies jedoch nicht gelang, so schlug ich vor, tiefer hinabzusteigen und an der Felsenkante

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