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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Eine unheimliche Seefahrt.

„Wann werden wir in Bremen sein?“ fragte ich Mr. Wilson, den ersten Mate des Dampfers, als er eben aus dem Maschinenraume auftauchte, wo er mit dem Oberingenieur eine längere Zwiesprache gehalten hatte.

„Kann’s nicht sagen; wenigstens bei diesem Curse niemals!“ war die kurze Antwort Wilson’s, der rasch nach dem Steuerhause ging und einige hastige Worte an die beiden Leute am Ruder richtete, welche dieselben mit Kopfschütteln beantworteten.

Diese brüsken Worte Wilson’s setzten mich einigermaßen in Erstaunen, da derselbe sonst immer sehr zuvorkommend war. Es mußte etwas vorgefallen sein, was ihn beunruhigte, auch hatte ich schon bemerkt, daß seit zwei Tagen die Schiffsofficiere – der Capitain war fast gar nicht zu sehen – die Köpfe zusammensteckten und leise miteinander flüsterten. Da ich aber im Seewesen keinesweges ganz unbewandert war, indem ich schon öfter die Tour über den Ocean gemacht hatte, und keinen Grund zu irgend einer Besorgniß entdecken konnte, so hatte ich über dieses sonderbare Benehmen bis dahin weiter nicht nachgedacht.

Wir hatten New-York vor dreizehn Tagen verlassen und näherten uns nun nach einer nicht übermäßig rauhen Passage der Mündung des englischen Canals, auch hofften wir am nächsten Morgen Land zu sehen und vielleicht noch in der Nacht die beiden bekannten Leuchtfeuer von Cap Lizard. Der Aufenthalt, welcher den Segelschiffen so häufig dadurch entsteht, daß sie an dieser Stelle auf steife Ostwinde stoßen, die ihnen die Einfahrt verwehren, kann bei einem Dampfschif nicht stattfinden, und so hofften denn alle Passagiere, das Ziel ihrer Bestimmung bald zu erreichen. Wie es auf den transatlantischen Fahrten dieser Linie die Sitte war, den letzten Abend vor dem Erblicken des Landes durch ein splendides Souper zu feiern und den an Bord so schnell geschlossenen Freundschaften eine Abschiedslibation zu widmen, so hatte auch unser vortrefflicher Stewart in dem großen Salon der Staatskajüte ein Mahl aufgetragen, das einem Hotel erster Classe Ehre gemacht hätte. Selbst die Damen, welche während der ganzen Reise an Seekrankheit gelitten und sich nur selten auf Deck gezeigt hatten, erschienen in geschmackvoller Toilette, als die silberne Schelle der Aufwärter den Anfang des Festes anzeigte. Die Herren standen nach amerikanischer Sitte hinter den Plätzen, welche sie gewöhnlich einzunehmen pflegten, und warteten, bis das schöne Geschlecht sich gesetzt hatte, ungeduldige Blicke nach dem obern Ende der Tafel werfend, wo der Capitain zu präsidiren gewohnt ist, wenn ihn nicht Berufsgeschäfte abhalten.

Statt seiner erschien der Schiffsarzt, sonst ein jovialer junger Mann, mit befangener Miene, und ich las in seinen Zügen, daß ihm Etwas schwere Sorgen machte. Indessen verlief das Mahl ziemlich heiter, wie es bei solchen Gelegenheiten der Fall zu sein pflegt, und die gewöhnlichen Toaste wurden munter und witzig beantwortet. Gegen zehn Uhr endlich erschien der Capitain im Salon, warf einen zerstreuten Blick über die Anwesenden und sagte in höflichem Tone: „Ebbe und Fluth warten auf Niemand, und eine lustige Tafelgesellschaft braucht es auch nicht zu thun. Erlauben die Damen und Herren, daß ich auf ihre Gesundheit trinke.“ Er trank, aber wie trank er, obgleich sein echauffirtes Wesen und seine blutunterlaufenen Augen deutlich zeigten, daß er des Guten schon mehr als zu viel genossen hatte! Die Hast, mit welcher er dem Schiffsjungen, der zu seiner Bedienung bereit stand, sein immer leeres Glas zum Füllen hinhielt und mit welcher er den starken Punsch hinuntergoß, war unnatürlich und hatte etwas Krankhaftes. Meine Augen begegneten sich mit denen des Doctors, welcher endlich von seinem Sitze aufstand und dem Capitain etwas in das Ohr flüsterte, ehe er auf das Deck ging.

„Verdammt will ich sein,“ schrie dieser, „wenn der Pflasterkasten das Recht hat, mir vorzuschreiben, wie viel ich trinken soll! In die Hölle mit ihm! Wenn der Pillendreher sich noch einmal so etwas herausnimmt, so schicke ich ihn zu den Feuerleuten. Hollah, Dick,“ sich an den Schiffsjungen wendend, „eine neue Bowle von meinem Santa-Cruz-Rum, und recht stark! Verdammter Junge, soll ich Dir Beine machen? Sie da, Mr. Ladenschwengel, Sie können ja singen, wie eine virginische Nachtigall, geben Sie uns doch eins von Ihren Liedern zum Besten, aber ein recht lustiges. He?“

Der Angeredete, das Muster eines Dandys, der in dem Seidenpalaste Stewart’s auf dem Broadway Lyoner Shawls den Damen anzuprobiren gewohnt war und im Besitz einer erträglichen Stimme allabendlich, wenn es das Wetter erlaubte, auf dem Promenadedeck zu seiner Guitarre sang, fuhr bei diesen rauhen Worten auf, als wenn ihn eine Tarantel gebissen hätte, während die Ladies erschrocken Anstalten machten, den Tisch und den Salon zu verlassen.

„Capitain, wenn Sie mich aus solche Weise auffordern,“ sagte der junge Kaufmann, „werde ich sicher nicht singen. Uebrigens wird Ihr Betragen den Credit des Schiffes und dieser Linie nicht vermehren.“ Mit diesen Worten entfernte er sich nebst einigen andern Passagieren. Fast wäre ich seinem Beispiele gefolgt, aber die Spannung zu erfahren, wie sich das seltsame Betragen des Capitains noch weiter entwickeln würde, hielt mich nebst einigen Bekannten, welche wohl der gleiche Wunsch beseelte, an der Tafel zurück.

„Wenn der Ladenschwengel nicht singen will, so mag er sich zu Davy Jones (Teufel) scheren,“ rief der Capitain, „ich aber will Euch zeigen, was so ein echtes Seemannslied ist. Hört!“ Und er sang:

„Ich lag mit starrem Aug’, so träumt’ ich diese Nacht,
Auf einem morschen Wrack im tiefen Meeresschacht.“

Hier konnte er nicht weiter, denn die überreizte Natur wollte ihre Rechte haben, auch schien es mir, als wenn bei seinem verschlossenen Wesen ihn Etwas zurückhalte, den Rest der grauenvollen Verse herauszubringen. Seine stieren Augen nahmen dabei einen unheimlichen Ausdruck an, den man nicht ganz auf Rechnung der Trunkenheit bringen konnte, und jeder Rest von Heiterkeit, der noch bei den wenigen Gästen am Tische vorwaltete, verschwand. Es war daher Allen erwünscht, daß der Capitain sich von Dick nach seinem Stateroom geleiten ließ, und somit das so unangenehm gestörte Fest ein Ende nahm.

Um vor Schlafengehen noch einmal frische Luft zu schöpfen, stieg ich auf das Deck hinauf, wo noch ein großer Theil der Passagiere auf- und abwandelte und sich lebhaft über die Vorfälle bei dem Abendessen unterhielt. Der erste und zweite Officier standen hinten am Steuerhause, in lebhafter Unterhaltung mit dem Doctor begriffen, der, so weit ich es bei dem Helldunkel der Nacht unterscheiden konnte, lebhaft gesticulirte. Bald wandte sich dieser ab und kam auf mich zu, als ich auf die Brüstung gelehnt den Myriaden von Funken nachsah, welche die mächtigen Schaufeln des Dampfers den dunkeln Wellen entlockten.

„Wir werden eine rauhe Nacht haben, Herr,“ sagte er, „und wir müssen dicht an der Küste sein. Ich wollte, wir führen mit halber Schnelligkeit.“

„Ei, weshalb das?“ erwiderte ich, „wir haben Alle Eile, nach Southampton zu kommen. Wir sind schon dreizehn Tage aus, und ich denke, wir müssen morgen die Kreidefelsen von England sehen.“

„Das glaube ich auch,“ unterbrach mich der Schiffsarzt, „aber ich fürchte, am unrechten Orte. Wissen Sie, daß wir aus dem Course sind und zwar zu weit nördlich? Wir hätten schon seit gestern Ost zum Südost ansteuern müssen, um die beiden Leuchtthürme von Cap Lizard auszumachen. Doch der Capitain hat Wilson streng befohlen, den alten Curs zu halten, trotz aller Einwendungen. Sagen Sie, was hielten Sie von dem Betragen des Capitains heute Abend? war es nicht auffallend?“

„Auffallend im höchsten Grade,“ erwiderte ich, „aber ich denke, er hat seit ein paar Tagen des Guten zu viel genossen. Fast sollte ich meinen, er hätte einen Anfall von Säuferwahnsinn.“

„Das wohl; es ist aber nicht das Delirium tremens allein. Mit dem wollte ich schon fertig werden. Es ist eine viel tiefere Seelenstörung bei ihm vorhanden. Seit er von seiner Frau geschieden ist, hat sein Geist trübe Perioden. Das Schlimmste ist, er weiß es selbst, und in diesem quälenden Bewußtsein trinkt er die stärksten Getränke, um sich zu betäuben. Sie werden sehen, in seinem Wahnsinn ist Methode. Ihnen und einigen verständigeren Passagieren mache ich diese traurige Mittheilung, damit Sie im Fall der Noth mit bei der Hand sind und auch Zeugniß ablegen können.“

Der zweite Mate, ein Deutscher von Geburt und ein äußerst entschlossener Mann, trat jetzt hinzu und sagte dem Doctor, der Capitain schlafe jetzt, und deshalb habe er im Einverständnis mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_393.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)