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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

– wir hatten uns Beide in einander getäuscht; warum sollen wir aber deshalb absichtlich und auffällig einander ausweichen?“ Sie indessen hatte wie ganz vernichtet durch seine Milde, die Hände vor das Gesicht geschlagen und so den Garten verlassen. Seit dieser Zeit hatte die wohl nirgends sichtlich und nur den Betheiligten fühlbar gewesene Spannung zwischen den beiden Familien sich gelegt; der Pfarrer hatte sich pensioniren lassen und war mit der alten Mutter zu dem Sohne gezogen; in dem Amtsnachfolger war eine unbetheiligte immer mehr ausgleichende Verbindung zwischen den jetzigen Nachbarn erwachsen, und als in einer Nacht Rothe den Doctor herausgepocht, damit dieser sein plötzlich erkranktes, einziges Söhnchen rette, als Maiwald bis zum Tagesgrauen nicht von dem Bette des Kindes gewichen war, hatte sich Seitens der jungen Eltern eine seltsam zarte Begegnungsweise gegen den Arzt, fast wie eine fortlaufende, stumme Abbitte, herausgebildet. Und so wäre das beiderseitige Verhältniß mit der Zeit vielleicht in eine alltägliche Bahn eingelaufen, wenn Maiwald nur daran gedacht hätte, sich selbst zu verheirathen. Auch nach dem Tode seiner Eltern lebte er mit Wirthschafterin und Knecht als einsamer Junggeselle auf seinem kleinen Besitzthum fort, ein überall willkommener und verehrter Gast, der unter einem nach und nach erwachenden glücklichen Humor alle weichen Stellen seines Innern zu bergen verstand; was aber sein Herz noch an besonderer Liebe barg, schien sich auf Elisabeths kleinen Sohn, welcher der einzige geblieben war, concentrirt zu haben, und Rothe ließ nie ein mißbilligendes Wort hören, wenn auch der Knabe oft Tage lang bei dem „Onkel am Berge“ sich aufhielt.

Das Alles war es, was jetzt nach zwanzig Jahren in der Seele des altgewordenen Arztes sich wieder belebt und ihm für eine kurze Zeit die Sorge um die Gegenwart fast aus der Seele gedrängt hatte.

Erst als plötzlich eine jammernde Stimme vor ihm laut wurde, riß er sich aus seinem Sinnen und fand sich seinem eigenen Häuschen gegenüber, wohin das Pferd ihn getragen; in der Thüröffnung aber stand die alte Wirthschafterin und empfing den Ankommenden mit gerungenen Händen. „Ach, Herr Doctor, Herr Doctor, wer hätte das jemals von dem Fritz denken sollen!“

„Denkt Sie es von ihm?“ fuhr der Alte in hörbarem Unmuthe auf.

„Ach, ich möchte ja nicht, aber der Herr Justitiar hat gesagt, wie der Flurschütze berichtet –“

„Daß der Flurschütz gerade so ein altes Weib ist, wie Sie.“ unterbrach Jener die Sprechende, sich aus dem Sattel schwingend, „und damit hat er Recht; sonst aber ist der Herr Justitiar gerade so wenig dabei gewesen, als das Verbrechen begangen wurde, als ich und Sie, und kann deshalb eben so wenig von jetzt noch völlig verborgenen Dingen wissen. Seinen Freunden aber redet man eher das Gute als das Schlechte nach,“ fuhr er fort, dem herbeieilenden Knechte den Zügel zuwerfend und sodann dicht an die Frau herantretend, „und wenn Sie etwas Besseres in der Sache thun will, als darüber zu jammern und zu klatschen, so strebe Sie danach, zu erfahren, wo der Amtsrath in letzter Nacht gewesen und wann er heimgegangen ist – es kann ja sonst Niemand im Dorfe hier oder drüben einen Schritt thun, ohne daß Ihre Gevatterinnen Buch und Rechnung darüber führen; jetzt könnte Sie damit das Leben eines unschuldigen Menschen retten, denn der Fritz ist unschuldig, das sage ich Ihnen!“

Er schritt an der sichtlich Verschüchterten vorüber nach dem Innern des Hauses, wo ihm plötzlich eine andere, aber halb kleinmüthige Stimme entgegenklang: „Herr Doctor, der Herr Justitiar möchte wünschen, daß Sie doch einmal nach der Frau Amtsräthin sähen, die ihm gar nicht gefiele –“

„Ah, Sie sind das, Flurschütze,“ war die barsche Entgegnung, „und so will ich Ihnen denn sagen, daß Sie mit Ihren unbefugten Reden gegen jedes alte Weib mir auch nicht gefallen, und wenn mir noch einmal etwas dergleichen in Dingen, die Sie nicht verstehen, zu Ohren kommt, so werde ich Sie dafür zu nehmen wissen. Im Uebrigen werde ich kommen, das mögen Sie melden!“

Er wollte mit finster zusammengezogenen Brauen an ihm vorüber nach seinem Zimmer schreiten, als die Haushälterin sich mit einem kurzen Husten wieder neben ihm bemerkbar machte. „Herr Doctor, wegen dessen, wo sich der Herr Amtsrath in der Nacht aufgehalten.“ begann sie halb zögernd, „so möchte ich nur sagen, daß das sicher nicht bei der Meier-Lotte – Sie wissen, mit der er es immer gehalten – gewesen ist; die hat jetzt einen Fleischer, der sie heirathen will –“

Dem Arzte schien ein derbes Wort über die negative Auskunft auf den Lippen zu schweben, aber von einem aufsteigenden Gedanken wieder zurückgedrängt zu werden. Das eine Wort „Fleischer“ hatte plötzlich die „Eigenthümlichkeit“ der von ihm untersuchten Todeswunde wieder vor seinen Geist gerufen und ihn an die Fleischermesser, wie sie von den Betreffenden bei ihren Geschäftsgängen über Land in einer starken Lederscheide geführt werden, erinnert. Schon im nächsten Augenblicke meinte er auch die völlige Unfruchtbarkeit des Gedankens erkannt zu haben. Was hätte einen Fleischer, selbst wenn er der Bräutigam von des Amtsraths früherer Liebsten war, zu einem Morde, der heimlich und unprovocirt geschehen, wie dies alle bis jetzt entdeckten Umstände andeuteten, treiben sollen, zumal nicht einmal eine Beraubung stattgefunden?“

„Schaffe Sie mir ein kräftiges Frühstück, da ich nicht weiß, ob ich heute noch einmal zum Essen kommen werde!“ sagte er, sich langsam nach seinem Zimmer wendend, „Jakob aber soll mir das Pferd in einer halben Stunde wieder bereit halten.

(Schluß folgt.)


Aus dem Norden.
Von Brehm.
VII. Ein Reisebild.[WS 1]

Ein thaufrischer Sommermorgen liegt über dem schönen Guldbrandsdalen,[1] und dahin geht die Fahrt durch das morgenfrische grüne Alpenthal. Zu beiden Seiten erheben sich schroff und steil die gewaltigen Berge; wild durcheinander gehäuft, oder über einander gebaut, liegt ein grauenvolles Gewirr von Felsblöcken und Steinen, welche die Höhe herabsandte an den beiden Rändern des Thales; aber silberglänzende Birken wuchern dazwischen hervor, und dunkle Föhren über ihnen scheinen sie zu schirmen vor den noch immer thätigen feindlichen Gewalten des Gebirges, welches schwarze Massen drohend über dem grünen Thale hängen läßt, – drohend auch über den einzelnen Höfen, die überall von dort aus in das Thal herunterschauen, wo der Mensch dem Gestein sein tägliches Brod abtrotzte mit dem Schweiße seiner Arbeit. Die grünen Rasendächer der holzbraunen Häuser wetteifern mit den saftigen Wiesen im Grunde, und heiter blicken die Wohnungen nieder, wie unbesorgt ob der furchtbaren Schwere der über ihnen hängenden Felsen, welche sie jeden Augenblick unter Trümmer begraben können. Allein trotz der freundlichen Gebäude würde das Thal dunkel erscheinen und die düsteren Farben vorherrschend werden, trügen die fröhlichen Kinder der Höhe nicht blendende Lichter auf. Auf allen Wänden liegen die silbernen Bänder der Gebirgsbäche, und rauschend und brausend, oder rieselnd und gleitend wandert das belebende Wasser seine tausend Wege zum Schmucke der Landschaft.

Es ist sommerlich kühl im Thale und die Wiesen dampfen noch, aber munteres Leben herrscht überall. Aus dem Walde tönen die Heerdenglocken; auf den Geröll- und Felswänden klettert das lustige Volk der Ziegen umher; im saftigen Grün zu beiden Seiten des Weges ruhen weidesatte Pferde. Schaaren von Elstern, die heiligen Vögel des Landes, begleiten das Gefährt lange Zeit und schwatzen mit dem Wasser um die Wette; mit Geschrei fliegt die Ringamsel von Stein zu Stein und warnt die ganze Vogelwelt vor dem Wanderer, worauf auch gleich ein ganzes Dutzend von Krammetsvögeln durch lautes Geknarr ihr zu erkennen giebt, daß man die Warnung verstanden; fröhliche Stahre durchsuchen im Geleit der Nebelkrähen Wiesen und Felder; Pieper umschaaren den Wagen, Goldammern und Bachstelzen weichen ihm vertrauend eben nur aus; das ewig regsame Volk der Meisen fliegt munter von

  1. Dieses berühmte norwegische Thal liegt im Stift Christiania und erstreckt sich durch das Christians-Amt von S.-O. nach N.-W. bis zum Romsdal im gleichnamigen Amte des Stifts Drontheim.

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