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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

über den Unfug, und er führte zur Strafe von nun an das Sterben in die Welt ein.

Ein wenig anders ist es bei den Grönländern gewesen. Der erste Mann, erzählt die grönländische Sage, hieß Kaliak und war ganz allein auf der Erde. Ihm ging’s gut, denn Fische und Seehunde hatte er vollauf zu essen, und Thran konnte er trinken nach Herzenslust. Er lebte auch viele tausend Jahre. Aber endlich bekam er Langeweile. Als er wieder im Winter, wo die Nacht vier Monate dauert, in seiner Höhle saß, sah er wehmüthig seinen Daumen an. „O Daumen,“ sagte er, „Du liebster von allen Fingern, ein Stück von Dir gäb’ ich darum, wenn ich nicht mehr allein in der Welt wäre!“ Kaum gesagt, so fing der Daumen an zu wachsen. Zuerst kam ein Kopf mit zwei niedlichen Aeuglein aus ihm hervor, dann sproßten auch zwei kleine Arme und Beine nach, und als das Ganze fertig war, da war es ein Mädchen so fein und zierlich, wie sich’s ein Grönländer nur wünschen mag. Seit der Zeit ist der Daumen um ein Glied kürzer als die andern Finger geblieben. Der Mann aber kroch jetzt zur Winterszeit gern in seine Höhle und langweilte sich nicht mehr. Als vollends das Weib anfing Kinder in die Welt zu setzen, da hatte der Mann eine große Freude. Die Freude aber dauerte nicht lang. Denn die Kinder zeigten einen recht gesunden Appetit, und jedesmal, wenn der Alte Hunger bekam, war die Schüssel schon leer gegessen. Der arme Kaliak wurde nun so mager wie ein Häring und versank in trübselige Gedanken. Das Weib aber sah ein, daß die Sachen so nicht fortgehen konnten. „Höre, Alterchen,“ sagte es, „mit uns ist’s aus. Die Kinder nehmen überhand, und es ist Zeit, daß wir ihnen Platz machen. Wir wollen jetzt einmal sterben!“ Da hatte denn der Mann auch nichts dagegen, und sie legten sich hin und starben. So ist nach der Sage der Grönländer der Tod in die Welt gekommen.

W. W.

Kunstketzereien. Nr. 2. Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze. Meine Künstlerwerke, seufzt der theatralische Künstler, entstehen im Augenblick und vergehen mit ihm! Die Nachwelt kann sie nicht sehen, genießen und bewundern.

Und dieses Malheur – angenommen, es wäre eins – träfe nur den Mimen? Zunächst wenigstens theilt er es mit dem Virtuosen, und außerdem mit dem allergrößten Theil der Erdbewohner. Ruhmwürdige Leistungen liefert doch wohl nicht allem der Schauspieler; große, nützliche, bewunderungswürdige Thaten haben im Laufe der Zeiten gar viele Menschen vollbracht. Wie viele davon sind denn aber sinnlich wiederholbar vor den Augen der Nachkommen? Daran denkt aber der Bühnenkünstler nicht; er hat die Werke der Dicht- und Tonkunst, der Sculptur, Malerei, Architektur im Auge, die bleiben und zeigen die Kunst ihrer Schöpfer den folgenden Generationen.

Mit großen Einschränkungen! Malerwerke, Leinwand und Farben sind nicht unsterblich; sie erbleichen oder verdunkeln mit der Zeit, und gehen früher oder später ganz zu Grunde. Von den Werken der alten Bildhauer sind wenige übrig geblieben, und die meisten davon nur verstümmelt. Von anderen kennt man wieder die Namen der Verfertiger nicht! Wo sind so viele großartige Wunder der Architektur hin, Paläste und Tempel, ja ganze Städte, wie Palmyra, Babylon mit seinen schwebenden Gärten, Theben mit seinen hundert Thoren hin? Wegrasirt von der Erde sind sie ganz und gar, oder liegen in Trümmern verstreut da, als traurige Prediger von der Vergänglichkeit aller irdischen Größe. Allen diesen großen Künstlern früherer Zeiten ist es ergangen, wie es den theatralischen ergeht, ihre Werke sind nicht auf die Nachwelt gekommen. Schriften der Dichter, Denker, Componisten erhalten sich, besonders seit Erfindung der Buchdruckerkunst und des Notenstichs, länger, möglicherweise in alle Ewigkeit hinein. Aber wahrlich für die meisten Autoren meist mehr zum Nachtheil als zum Vortheil!

Für eine Unzahl von Dichtern, Schriftstellern, Musikern, Malern wäre es sicherlich ein Glück gewesen, wenn ihre Werke sie nicht überlebt hätten. Durchblättert die Kunst- und Literaturgeschichten, durchstöbert die Bibliotheken und Kunstarchive, welch eine Unmasse nachgelassener Werke wimmelt euch entgegen! Keiner wahrscheinlich von allen diesen Autoren, der nicht mit der süßen Ueberzeugung gearbeitet hätte, ein Product für die Bewunderung aller Zeiten geliefert zu haben. Bekümmert sich die Nachwelt darum? Und wenn es hier und da einmal einem Nachkommen einfällt, den Nachlaß eines Altvordern zu betrachten, was findet er oft? Verwundert ruft er aus: Wie, dieses geschmacklose, schwache, langweilige Ding hat seinen Zeitgenossen gefallen und dessen Verfertiger berühmt gemacht? Unter zehntausend erhaltenen Werken ist vielleicht eines, das einen relativen, und unter hunderttausend erst eines, das einen bleibenden Werth für alle Zeiten hat. Ach, die Nachwelt! Wie lange ist Klopstock todt? 59 Jahre erst. Wer liest seinen „Messias“ noch?

Aber sind solche Geister wirklich nichts gewesen? Mögen ihre Werke späteren Generationen wenig oder gar nicht mehr munden, ihr Verdienst wird deshalb um nichts geschmälert; sie genügten ihren Zeitgenossen, und bedurften und besaßen zur Hervorbringung ihrer Werke für den Standpunkt und Geschmack ihrer Zeit dieselben großen Fähigkeiten, welche die größten Geister späterer Epochen zu verwenden hatten. Ihren Ruhm haben sie sich mit Recht erworben, und mit Recht lebt ihr Name in der Geschichte fort.

Und nun ist es Zeit, an den Nachsatz in Schiller’s Spruch zu erinnern:

Denn wer den Besten seiner Zeit genug
Gethan, der hat gelebt für alle Zeiten.

Was will der Mime sich also ausnahmsweise beklagen. Die Geschichte seiner Leistungen und sein Name leben fort, das ist der Kranz, den die Nachwelt flicht. Roscius starb 61 Jahre vor Christus. Die Kunstgebilde dieses großen Mimen sind mit ihm verschwunden, aber die Vortrefflichkeit derselben und sein Ruhm leben fort in der Geschichte: er ist unsterblich. Eben so wenig werden sich ein Garrik, Talma, Schröder, Ekhof, Iffland, Ludwig Devrient, so wie ihre ebenbürtigen weiblichen Collegen über die versagten Kränze der Nachwelt beklagen, wenn sie da, wo sie jetzt sind, noch Nachrichten von der Erde empfangen können.


Wie wurde Theodor Körner von Leipzig aus gerettet? Die Biographien von Theodor Körner, welche dem Verfasser der nachstehenden Erzählung bekannt sind, erwähnen nur im Allgemeinen, daß derselbe von Leipzig aus durch treue Freunde nach Carlsbad gebracht worden sei. Ein Beweis, daß über das Wie noch nichts in Erfahrung gebracht worden ist. Jetzt nach funfzig Jahren erregt aber Alles, was Theodor Körner betrifft, da sein Todestag nahe ist, ein besonderes Interesse, und so glaube ich, daß diese einfache Erzählung von ihm einigen Beifall finden wird.

Es war am 28. Juni 1813 Vormittags,[1] an einem schönen, warmen Tage, als ich, damals ein junger Mann und Besitzer eines literarischen Geschäfts in Chemnitz, zu einer befreundeten Dame gerufen wurde. Sie theilte mir mit, daß ihrem Manne, welcher aber verreist sei, von einem Freunde in Leipzig ein preußischer Officier, Namens Körner, der in dem Ueberfall bei Kitzen verwundet worden, empfohlen wäre, um ihn sicher nach Carlsbad zu bringen. Sie bat mich um Rath, wie dies auszuführen wäre, und erwähnte, daß er sich in Carlsbad unter dem Schutze der Herzogin von Kurland und ihrer Schwester, der Frau von der Recke, welche dort verweilten und mit seinem elterlichen Hause befreundet wären, begeben wolle. Obgleich eine Reise bis an die Grenze nicht ohne Gefahr war, da französische Marodeurs umherstreiften, so entschloß ich mich doch, ihn durch meine Begleitung sicher nach Annaberg, der größeren Strecke des Weges, zu bringen und dazu Extrapost in meinem Namen zu bestellen und dort das Erforderliche zu seiner weitern sichern Reise zu besorgen, welches meine Freundin mit Dank annahm.

Im Nebenzimmer fand ich einen großen, schlanken Mann von edler Haltung und Gesichtsbildung in dunkler Kleidung, welcher von einem geschickten Wundarzt aus der Nachbarschaft verbunden wurde. Er hatte bei dem Ueberfall drei Hiebwunden an der linken Seite des Kopfes bekommen, wovon eine ziemlich tief war. Es war Theodor Körner, der Dichter und beliebte dramatische Schriftsteller, jetzt Officier und Adjutant im Lützowschen Freicorps oder der schwarzen Legion, wie es damals genannt wurde. Er war mit einer Perrücke versehen, theils zum Schutz der Wunden, theils um sich unkenntlich zu machen. Er war von Leipzig über Frohburg in einem offenen unscheinbaren Wagen bis vor Borna, einem Dorfe eine Stunde vor Chemnitz, gefahren, dort abgestiegen und zu Fuße in die Stadt gegangen. Ich sagte ihm, was ich mit meiner Freundin über seine Weiterbeförderung verabredet hätte, und empfahl mich dann, um das Erforderliche in meinem Geschäft zu besorgen und die Extrapost zu bestellen. Nach Tische, nachdem er zu mir gekommen, die Postchaise vorgefahren war und meine Frau uns mit Kirschen zur Labung versehen hatte, fuhren wir ab. Unterwegs unterhielten wir uns sehr angenehm. Er erzählte mir von seinem Leben und seiner Familie, auch sprachen wir über Literatur und seine theatralischen Schriften, die bereits Epoche gemacht hatten. Auf der Hälfte des Weges, vor Ehrenfriedersdorf, machten wir Halt, um sowohl uns zu restauriren, als auch die Pferde füttern zu lassen, da es eine Station von vier starken deutschen Meilen war und dazumal noch keine Chaussee existirte. Nach einiger Zeit trat ein sächsischer Gensd’arm ein, der, da er eine Extrapost vor der Thüre traf und zwei noble Herren, die sich mit Kaffee regalirten, in der Stube fand, nicht nach unseren Pässen fragte, die wir auch nicht hatten. Bald darauf ging es weiter, und wir kamen ohne Gefährde glücklich nach Annaberg und fuhren nach dem Posthause, wo ich gleich wieder rasche Pferde als Extrapost nach Carlsbad bestellte. Während dies besorgt wurde, gingen wir zu einem Kaufmanne, an den Körner von dem Chemnitzer Hause durch ein mitgebrachtes Schreiben empfohlen war. Dieser Herr unterhielt sich mit ihm und empfahl ihm, sobald er die Grenze passirt sei, sich der österreichischen Behörde zu erkennen zu geben. Wir begaben uns dann nach der Post zurück, wo Alles bereit war. Körner dankte mir mit herzlichen Worten für Alles, was ich für ihn gethan hätte, wir schüttelten und druckten uns die Hände, und nach innigen Wünschen einer glücklichen Beendigung seiner Reise unter Gottes Schutz stieg er in den Wagen und fuhr davon. Bald darauf kehrte auch ich mit der Chemnitzer Postchaise, welche ich dort behalten hatte, nach Hause zurück, wo ich in der Nacht um zwei Uhr eintraf.

Vier Jahre nachher, im Sommer 1817, machte ich mit meiner Frau eine Reise in meine alte Heimath und blieb auf der Rückreise in Berlin bei Verwandten einige Tage. Hier beehrte mich der Geheime Oberregierungsrath Körner, Theodor Körner’s Vater, mit seinem Besuche, da er meine Anwesenheit durch meine Verwandten, mit denen er freundschaftlich bekannt war, erfahren hatte. Er dankte mir mit herzlichen Worten und Thränen in den Augen für den großen Dienst, den ich seinem verstorbenen Sohne geleistet hätte, und empfahl sich mir und meiner Frau.

W. St.

Berichtigung. Wir erklären hiermit in Folge preßpolizeilicher Anordnung und dem Verlangen des Herrn Theodor Schwarz in Güstrow gemäß, daß sein Name in dem Artikel: „Gottfried Kinkel’s Befreiung“ in Nr. 7–10 der Gartenlaube vom Jahre 1863 ohne seine Zustimmung, welche einzuholen wir keine Veranlassung zu haben glaubten, genannt ist.

D. Red. d. Gartenl.

Kleiner Briefkasten.

Eine Freundin der Kinderwelt wünscht eine Kleinkinder-Bewahranstalt in einem thüringischen Dorfe zu begründen, dessen Bewohner größtentheils unbemittelte Leute sind, die um Lohn auf den Feldern, in den Forsten und Scheunen arbeiten, ihre kleinen Kinder dann meistens sich selbst überlassen oder den älteren Geschwistern zur Beaufsichtigung übergeben müssen, ein Umstand, der schon manches Unglück veranlaßt hat. Wer für diese Stiftung sein Scherflein beitragen will, dem erbietet sich die Redaction der Gartenlaube gern zur Vermittlung der Gaben an die edle Kinderfreundin.

  1. An demselben Tage fand auch die denkwürdige Unterhaltung zwischen Napoleon I. und dem Minister von Metternich im Marcolini’schen Palais zu Dresden statt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_384.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)