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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Frau[1] Federball, ließ den kleinen Richard auf dem Knie reiten und ging auf den Kieswegen so fest und zuversichtlich einher, daß sich jeder Fußtritt abdrückte, ein ganzer Mann der Freiheit und Sittlichkeit in Wissenschaft und Leben.

Aber das Universitäts-Katheder ward ihm zu eng. Er schuf sich 1837 die eigenste, mächtigste Wirksamkeit: die halleschen Jahrbücher. Die Jahrgänge 1837–42 und das in Leipzig unter dem Titel „Deutsche Jahrbücher“ fortgesetzte Bruchstück sind und bleiben die ewig siegreiche Schlacht bei Leipzig in Wissenschaft der Philosophie. Wer je in seinem Dünkel Miene machen sollte, über die unfruchtbare Philosophie die Nase zu rümpfen, der greife nach diesen Jahrbüchern. Preußen verbot endlich diese Jahrbücher. Ruge flüchtete nach Sachsen, aber auch hier wurde das Januarheft 1843 weggenommen und dem Verleger O. Wigand weiterer Druck verboten. Die zweite Kammer der Volksvertreter bestätigte das Verbot mit 54 gegen 6 Stimmen.

Ruge suchte sich nun eine Freistätte für Preßfreiheit außerhalb Deutschlands, in Paris. Hier dachte er mit Karl Marx und den Franzosen in „deutsch-französischen Jahrbüchern“ zusammen zu wirken, aber Ersterer zeigt, daß er kein Mensch und kein Mann der Wissenschaft, sondern giftiger Communist ist, Letztere verstehen gar nichts von deutscher Wissenschaft und können nicht mitarbeiten. Die deutsch-französischen Jahrbücher befinden sich jetzt im 5. und 6. Bande der gesammelten Schriften von Ruge und verkündeten 1844 ganz sicher die republikanische Revolution von 1848 in Frankreich, die constitutionelle in Deutschland voraus.

In Paris gescheitert, versucht er’s 1846 mit Julius Fröbel in Zürich, als Verlagsbuchhändler (literarisches Comptoir, Herwegh’sche Gedichte) weiter zu wirken. Auch als solcher verboten, fängt er 1847 das Verlags-Bureau in Leipzig an. Diesem verdanken wir die Veröffentlichung seiner bis dahin „sämmtlichen Werke“ in 10 Theilen mit den übersetzten „Briefen von Junius“, diesem ewig classischen Werke des echten Manneszornes in constitutionellen Staatsverhältnissen. Es sind seitdem noch 14 Werke hinzugekommen und zwei unter der Presse oder Feder. Wir können hier leider auf eine Würdigung derselben nicht eingehen und beschränken uns blos auf Erwähnung der nach unserer Meinung werthvollsten: „Das Komische“, erste wirklich philosophische Lösung dieses Begriffs und „verwickelten Processes“, „die Loge des Humanismus“, „Friedrich Schiller’s Leben“ (in St. Louis gedruckt und bei amerikanischen Schillerfeiern vorgetragen), „Uebertragung von Buckle’s Geschichte der Civilisation“ und „Aus früherer Zeit“, die in zwei Bänden erschienene und wahrscheinlich in zwei bis drei folgenden vollendete Darstellung und Kritik seines eigenen Lebens und Wirkens und unserer letzten sechzig Jahre. Mancherlei Dichtungen, Dramen, Novellen u. s. w. von Ruge sind zu kalt-classisch gerathen, als daß sie auf unsern wieder sentimental verdorbenen Geschmack hätten bedeutend wirken können. Mehrere, wie „die neue Welt“ (Trauerspiel) etc. kenne ich noch nicht, andere sind noch ungedruckt.

Den März 1848 erlebte Ruge in Leipzig, wo er besonders mit Nobert Blum verkehrt hatte. Der Minister Oberländer, der die deutschen Jahrbücher gegen Regierung und Kammer-Majorität vertheidigt hatte, bildete damals keinen feindlichen Gegensatz zum Ruge’schen Standpunkte.

Breslau wählte ihn für die deutsche Reichs-Versammlung nach Frankfurt. Hier verlangte Ruge mit seiner Partei: „Centralgewalt aus unserer Mitte gewählt, Unterordnung aller Fürsten unter diese Centralgewalt, also Einheit auf dem Boden der Freiheit“. Gagern’s „kühner Griff“ und das deutsche Parlament selbst versuchten’s mit Einheit ohne Freiheit und schufen jene verhängnißvolle Reichsverweserei mit unverantwortlicher Centralgewalt und ohne Verbindlichkeit gegen die Beschlüsse des Parlaments. Ruge hielt dies für Selbstabdankung der National-Versammlung, schied aus und nahm in Berlin die in Leipzig gegründete Reform wieder auf, weil nach seiner Ueberzeugung nun Alles auf Preußen und nichts mehr auf Frankfurt ankam. In Frankfurt hatte sich die Volksvertretung selbst umgebracht.

Die „Reform“, mit dem Privateigenthum Ruge’s, 60,000 Thlr., begründet, gelang und ergab, wie von Sachverständigen und durch den Absatz nachgewiesen war, jährlich einen anständigen Gewinn, als General von Wrangel mit seinen Truppen in Berlin einzog, die Nationalversammlung auflöste und die „Reform“ verbot. Da Ruge am Morgen nach dem Verbote die Zeitung trotzdem wie üblich erscheinen ließ, wurde die Druckerei geschlossen und er selbst mußte Berlin verlassen. Spätere Reclamationen um Rückerstattung seines Eigenthums blieben auch unter der „neuen Aera“ unbeantwortet. Ruge hat diese Angelegenheit und Correspondenz mit dem Ministerio der neuen Aera in einer englisch geschriebenen Broschüre dem Volke seiner zweiten Heimath, als gesetzlich englischer Bürger, zur Beurtheilung zugänglich gemacht.

Ruge, um seine Existenzmittel gebracht und heimathlos, begab sich nach Leipzig, dann mit der badenschen Gesandtschaft nach Paris.

In Folge der Niederlage Ledru Rollin’s am 13. Juni ward er auch von da vertrieben. Nach dem Siege der Contre-Revolution in ganz Europa, und in Leipzig durch Veruntreuung seines Verlagsgeschäfts (sein Commis B. verkaufte es für seine eigene Tasche), in Berlin durch Schließung seiner Druckerei aller seiner Habe beraubt, suchte und fand er eine Zuflucht in England. In London wollte ihm nichts gelingen. So siedelte er sich 1850 in Brighton am Meere, Frankreich gegenüber, in dem aristokratischen Vororte Londons an, wo die gute Gesellschaft im Herbst und Winter jedesmal bis zur Parlaments-Eröffnung an der Meeresküste entlang wohnt, fährt, reitet und sich amüsirt. Hier schuf er sich durch harte Arbeit und eiserne Ausdauer, durch die Kraft und das Ansehen seines Wissens und seiner starken, geraden, edelmännlichen Persönlichkeit auf fremdem Boden, durch fremde Menschen, in fremder Sprache eine neue Welt und Wirksamkeit. Durch öffentlichen und Privatunterricht erwarb er so viel, daß er die Seinigen anständig ernähren und seine Kinder würdig erziehen und versorgen kann. Er verdiente aber mehr, viel mehr, die aufrichtigste Hochachtung und Liebe seiner englischen Mitbürger. Da wird man selten eine edle Familie in Brighton finden, die nicht warm würde, sobald man von Ruge spricht.

In Deutschland braucht er sich nichts mehr der Art zu erwerben: er gehört zu den wenigen Männern der Zeit, die auch die bittersten Feinde, wenn sie ehrlich und gebildet genug dazu sind, unbedingt achten müssen.

Das ist das nothwendigste Außenwerk zum Leben Ruge’s. Er selbst liefert uns in seinen Erinnerungen „Aus früherer Zeit“ das lebendig Innere und den wahren Zusammenhang zu dem äußerlichen Rahmen. Er giebt die Wahrheit und den innersten Sinn seiner Erlebnisse und seiner Zeit wieder. Das wird ein wichtiges Werk, da diese Zeit so reich und anziehend ist, da sie unsere Zeit ist, in der wir Alle wurzeln, aus der wir die Lebenskraft für unsere Zukunft und das Werk der Befreiung ziehen, für welche er arbeitete, kämpfte, opferte und litt, wie Wenige.

Ruge vermuthet, daß er in England sterben werde, und hat sich für seinen Grabstein folgenden Zuruf an die Heimath gedichtet:

„Menschen ließ ich zurück und der Heimath freundliche Fluren,
Doch nicht den Stolz und den Muth, welcher die Menschen befreit;
Und es bewegt kein Hauch die gehässige Wolke der Knechtschaft,
Welche des Volkes Gemüth wider die Freien empört
Und die Vertrieb’nen an’s Ufer der gastlichen Fremde gebannt hält,
Bis sie der Tod umarmt, treu bei der Fahne des Rechts.“

Wir hoffen, daß er noch in seinem, in unserm Deutschland leben werde. Er ist erst 60 Jahre alt und noch in voller Mannes- und Lebenskraft. Sollte aber endlich auch sein Leib in englischer Erde begraben werden, was er gethan und erstrebt, lebt und wirkt unsterblich in unserm Deutschland.

H. B.

  1. Die erste Frau war ihm nach kurzem Glück durch den Tod entrissen worden. Er vermählte sich 1834 mit einer Freundin der Verstorbenen, einer Dresdnerin, seiner jetzigen Frau, der Mutter seiner zwei Söhne und zwei Töchter. Der älteste Sohn ist praktischer Arzt in Berlin, der zweite studirt als Ingenieur in Zürich. Die jüngste Tochter ist erst dreizehn Jahre alt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_382.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)