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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Hurrah und Halloh bei uns, einige Unordnung beim Feinde. „Jetzt gieb mir aber die fünf Rubel sogleich. Man kann nicht wissen, ob nicht bald Gleiches Dir oder mir begegnet!“ sagte lachend der Junge.

„Du hast Recht! Da sind sie!“ erwiderte der Officier und legte das Geld in des Jungen Hand. – Bald hatte unser Feuer kräftig auf den Feind gewirkt. Seine Reihen lichteten sich. Man denke sich seinen Pulverrauch von einem leichten Luftzug gegen den einen Flügel unserer Waldstellung getragen und den Rauch von unserem Feuer in gleichlaufender Richtung in den Wald hinein, unsere Sensenmänner gegen jene von Feindesrauch umhüllte Waldecke gezogen, gesammelt, mit einigen Kraftworten ermuntert und plötzlich aus dem Walde hervor mit lautem Geschrei und gehobenen Sensen schräg gegen den entblößten feindlichen Flügel anstürmend. Kaum hört der Feind das Geschrei, kaum sieht er die breiten Klingen aus dem Rauche herausglänzen, so ergreift ihn unbezwingliche Furcht, wendet ihn zu unwiderstehlicher Flucht, und ehe unsere Sturmläufer ihn erreichen können, ist seine Gefechtslinie verschwunden und liegen nur noch Todte und Verwundete auf dem Felde. –

Bei aller persönlichen Tapferkeit unseres Obersten brachte es doch seine Aengstlichkeit und Unsicherheit als Führer dazu, daß wir uns nach Kurzem wieder an die Grenze zurückgedrängt befanden. Wir lagerten einige hundert Schritte vor einem in tiefem, steilrandigem Bette fließenden, die Grenze bildenden Bache, welchen unsere wohlbeladenen Wagen, so wie das Bett war, nicht hätten durchfahren können. Nach allen Nachrichten rückte der Feind, uns von allen Seiten umfassend, gegen uns vor. Ich drang in den Oberst, den Bach zu überbrücken oder durchfahrbar zu machen, um uns einen Rückzug zu sichern. Er wies dies mit leisen Andeutungen von Feigheit gegen mich ab. Ich schwieg und wurde um so wachsamer. Es wurde Nacht. In einem Dorfe, etwa eine halbe Stunde von einem unserer Flügel seitwärts gelegen, fingen Hunde zu bellen an; ich glaubte auch in gleicher Richtung Hufschläge zu hören und bemerkte es einem Cameraden. Hierauf längere Zeit Stille, dann ein leises Pfeifen seitwärts des entgegengesetzten Flügels. Gleiches Pfeifen von einzelnen anderen Stellen in einzelnen, gemessenen, aufeinander folgenden, in einem großen Halbkreis um uns bis zum Dorfe sich ziehenden Tönen. Ein Zeichen mit Trompetenstößen in diesem Dorfe. Wir waren offenbar umringt! Ich und mein Camerad gingen zum Oberst, meldeten, was wir gehört, und drangen in ihn, das Nöthige für den Rückzng, namentlich die Ueberschreitung des Baches anzuordnen. Er verlor den Kopf, sagte, er befehle nichts mehr, ich solle machen, was ich für gut finde. Ich eilte zum ältesten Hauptmann, auch einem Officier von 1831, und drang in ihn, den Befehl zu übernehmen. Auch er wollte nicht. So that denn ich es. Sofort sorgte ich, so gut wie eben möglich, für beste Ausführung des Vorpostendienstes, ließ eine Truppe unter den Waffen stehend zur Abweisung eines Angriffs im Lager und sammelte die Uebrigen mit Säbeln und allen irgend wie für Erdarbeiten tauglichen Gegenständen am Bach hinter der Mitte des Lagers.

Es war ungefähr Mitternacht und eine dunkle Nacht. Mit jenen Werkzeugen, mit den Händen, ich, mich bis zum Uebermenschlichen anstrengend, voran, rissen wir die steilen Ränder des Baches ein, ebneten und belegten eine Abfahrt vom russischen, eine Auffahrt vom entgegengesetzten Ufer. In mehreren Stunden war die Arbeit vollbracht; wir waren unangefochten geblieben. Ich ließ unsere nur zu lange Wagenreihe hinüberführen, die Mannschaft, welche gearbeitet, dann die Lagerwache, endlich die eingezogene Postenkette nachrücken. Wir waren Alle glücklich auf nichtrussischem Boden angelangt.

Hier sammelte ich die Truppe und gab, weil der Oberst sich jedes Commando’s enthalten wollte, die nöthigen Befehle, um längs der Grenze möglichst verborgen hinzuziehen und an einer andern Stelle wieder das Polenland zu betreten. Die Mannschaft blieb einige Augenblicke stumm, und ich wiederholte meinen Befehl. Plötzlich rief Einer: „Wir sind nicht mehr auf dem Boden des Königreichs, wir haben nicht mehr zu gehorchen, und wir werden auch nicht gehorchen!“

Lärmend und schreiend erscholl aus den nächsten Rotten der Beifall mehrerer seiner Cameraden. Niemand widersprach ihm. Niemand gehorchte mir. Ich zog meinen Revolver und rief: „Den Ersten, der nicht gehorcht, schieße ich nieder!“ Da fällten sich viele Bajonnete gegen mich. Etwa funfzehn Edelleute standen bei Seite und hatten stillschweigend dem Auftritte zugesehen. „Ihr seht, Cameraden,“ sprach ich zu ihnen, „was da geschieht. Ich ertheile Befehle, um unsern Zug anderswo fortzusetzen. Die Mannschaft gehorcht mir nicht, droht mir mit Gewalt. Ich rufe Euch als Zeugen dieses Auftritts auf. Ich kann die Mannschaft nicht mehr führen. Nun helft mir retten, was zu retten ist.“ Einer von ihnen hatte seine Briczka mit zwei trefflichen Pferden da. Er läßt sie bespannen. Wir sechzehn Edelleute nehmen von dem Waffengepäckwagen so viele von den besten Gewehren, als immer möglich, und verpacken sie auf die Briczka. Die andern sehen unthätig zu und gehen allmählich und in stärkern Trupps auseinander. „Ich werde diese Waffen bis zu besserer Gelegenheit in sichern Versteck bringen,“ künde ich laut vor der Abfahrt an, besteige die Briczka mit dem Eigenthümer und so vielen von seinen und meinen nächsten Freunden, als möglich, sage den übrigen Edelleuten Lebewohl auf Wiedersehen und lasse in rascher Fahrt uns einige Meilen weiter in ein sicheres Versteck in einen Wald nahe der Grenze fahren, vergrabe dort die Gewehre mit meiner Gefährten Hülfe und kehre auf meines Vaters Gut zurück, mache von dort vom Vorgefallenen höhern Ortes Meldung und erwarte fernere Befehle.

Während ich eines Abends vor der Hütte eines unserer Bauern stand, lud ein Beamter der Landesregierung mich ein, ihm zum höhern Beamten zu folgen. Ich that dies. Letzterer empfing mich sichtbar verlegen, doch sehr höflich, gab mir auf’s Gastlichste Speise und Trank und rückte endlich, anscheinlich mit schwerem Herzen, mit der Anzeige heraus, daß er mich verhaften müsse. Da ich mich blos im Besitz einer nichtunterzeichneten Abschrift eines Tagesbefehls wußte, und einer andern Schrift, der man alle mögliche Deutung geben konnten, so fügte ich mich geduldig. Noch bin ich in Untersuchung.

Langiewicz halte ich, wie wohl die meisten Polen, für unsern besten Führer. An seiner Rechtschaffenheit, Tapferkeit und seinen Kenntnissen zweifelt Niemand. Er hat sich aber auch als im Felde durchaus fähig gezeigt, und seine Schritte waren stets von Erfolg begleitet, bis der unselige, eitle und gänzlich untaugliche Mieroslawski mittelst des damals noch immer lockenden Klangs seines Namens, Langiewicz vom Kampfplatz verdrängte. Ungeachtet seine Dictatur nur auf ein gewisses Gebiet beschränkt und ungeachtet Langiewicz vom Comité erst dann zum Dictator ernannt war, als Mieroslawski die ihm übergebenen Truppen selbst verlassen und somit seinen Posten freiwillig geräumt hatte, rannte derselbe nun wie ein Rasender in Langiewicz’s Lager und zu allen Gefechten vom 12. bis 20. März und schrie unaufhörlich den Führern und Truppen zu: „Langiewicz ist ein Verräther! Keinen Gehorsam dem Verräther! Gehorcht ihm nicht!“ So konnte Langiewicz nichts mehr thun, so wurde er im eigentlichen Sinne des Worts vertrieben. Er entfernte sich, um nicht die Zwietracht zum blutigen Ausbruch kommen zu lassen, aus den edelmüthigsten Absichten und zwar höchst wahrscheinlich um mehr im Osten die Grenze wieder zu überschreiten und zu sicherern Truppen zu stoßen. Durch sein Abtreten ist er in den Augen meiner Landsleute nur noch höher gestiegen. Daß er dem Aufstand wieder zueilen wird, sobald er kann, ist mein fester Glaube. Seine Grundsätze theilen die Meisten von uns aus Ueberzeugung. So entschieden und unbedingt wir die Unabhängigkeit von Rußland wollen, so wenig denken wir an die Ausdehnung des Aufstandes gegen andere Regierungen. Wenn auch die meinige mich verhaftet hat, mich vor Gericht stellt, so sage ich doch: Welche großartige Rolle könnte sie heute für Polens Befreiung spielen, wenn sie mit Waffengewalt ihm zu Hülfe kommen, die Russen aus ganz Polen vertreiben, Polen eine selbstständige, blos durch Bündniß mit ihr verbundene Verfassung gestatten würde! Sie wäre nach solchen Thaten die gepriesenste Großmacht Europa’s. Doch dazu fehlt ihr der nöthige Schwung. Polen wird einst frei werden, das sagt uns allen ein innerstes Gefühl. Wie, das weiß Gott allein!


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