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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

um seinen Mund sich bald ein sinnendes, trauriges Lächeln legte, bald wie eine Erinnerung ein Zug lachenden Humors über sein ganzes Gesicht zuckte, bald seine Stirn sich wie in tiefer Sorge bewölkte.

Der junge Mann neben ihm schien nur einem einzigen Ideengange nachzuhängen, blickte entweder starr in’s Weite, oder mit finster zusammengezogenen Brauen auf den Sattelknopf vor sich; aber wie ihm seines Begleiters Schweigen fast erwünscht zu sein schien, so ließ sich auch an dem Doctor kaum eine Beachtung der schweigsamen Stimmung seines Gesellschafters wahrnehmen. Erst als Beide die volle Höhe unweit des Eingangs zum Walde erreicht, warf der Alte einen raschen, scharfen Blick über die ganze Umgebung, zügelte dann plötzlich sein Pferd zu langsamerem Gange, daß der Andere wie unwillkürlich aufsah, und sagte dann mit dem vollen Tone warmer Zuneigung. „Fritz, mein Junge, laß uns einmal wie in alten Zeiten reden – was thust Du noch da drüben, wo ich Dich soeben herausgeholt habe?“

Ein rascher Farbenwechsel ging über des jungen Mannes Gesicht. „Was soll ich anders thun, Doctor,“ sagte er, sich augenscheinlich zu einem Tone von Verwunderung zwingend, „als einen einfachen Besuch machen? Sind die Anna und ich nicht Nachbarkinder gewesen von Jugend auf?“

„Nenne mich doch Onkel, Fritz, wie Du’s auch in den letzten Jahren noch manchmal gethan,“ erwiderte der Andere ruhig. „Du sprichst dann vielleicht aufrichtiger und vertrauungsvoller zu mir. Es ist mir gerade so, als müßtest Du einen guten Freund jetzt recht nöthig haben!“ Das Auge des Sprechers blitzte so forschend zu seinem Begleiter hinüber, daß dieser wie unwillkürlich den Blick senkte. „Es wird Dir wahrscheinlich schwer, mein Junge, das rechte Wort gegen einen alten Menschen, wie ich bin, zu treffen,“ fuhr jener nach einer kurzen Pause mit einem leichten Kopfnicken fort, „und weißt Du, ich habe auch zuletzt Deine Bekenntnisse gar nicht nöthig. Du siehst die Frau Amtsräthin gerade mit denselben Augen an, wie früher die Anna als Mädchen, da steckt Alles darin – hast Du Dich denn aber wohl schon einmal gefragt, was Du mit Deinen fortdauernden Besuchen anrichten kannst? Hast Du denn schon ein einziges Mal Dich über Deine eignen still begehrlichen Gedanken erhoben und an die Lage des armen jungen Weibes gedacht, das wahrlich alle seine Kraft nöthig hat, um den Muth zu einer getreuen Pflichterfüllung nicht zu verlieren, und nicht erst neu hervorgerufener Kämpfe bedarf, um ihre Stärke zu erproben? Wir kennen uns, Fritz, und ich weiß ja wohl, daß nichts vorbedacht Unrechtes hinter Deinen Wegen steckt, aber jeder besonnene Mensch fragt sich doch bei seinem Handeln: wohin kann das zuletzt führen? Willst Du, wenn einmal die Rederei der Leute Dich zum Einstellen Deiner offenen Gänge zwingt und Du dann vielleicht nicht mehr Herr einer verbotenen Leidenschaft in Dir bist, auf heimlichen Wegen ein armes Wesen ruiniren, das möglicherweise nicht die Kraft zum Widerstande Dir gegenüber hätte?“

Rothe hob langsam den Kopf und begegnete mit einem stillen, dunklen Blicke dem eindringlichen Auge des alten Arztes. „Meinen Sie nicht, Onkel,“ erwiderte er in eigenthümlich tiefem Klange seiner Stimme, „daß ganz sonderbare Verhältnisse stattgefunden haben müssen, wenn ein junges, schönes Mädchen, das nichts von Sucht nach Reichthum oder nach einer besondern Stellung gewußt, sich einem Menschen zum Weibe gegeben, der außer seinem Gelde kaum mehr als den Ruf eines alten Sünders aufzuweisen hat? und meinen Sie nicht, daß solche besondere Verhältnisse auch eine ganz andere Betrachtung der Dinge, als wie sie im gewöhnlichen Leben gilt, zulassen könnten?“

Der Doctor hielt plötzlich sein Pferd an und sah seinem jungen Begleiter, der wie unwillkürlich seinem Beispiele gefolgt war, starr in das Gesicht. „So weit also schon?“ stieß er hervor, während sich seine ganze Stirn in eine Sorgenwolke hüllte. „Klar vorbedacht also!“ Er schüttelte kurz und energisch den Kopf, während er seinem Pferde wieder den Zügel ließ, und mehrere Minuten lang verfolgte er wortlos, die zusammengezogenen Augen gerade in’s Weite gerichtet, die Straße. „Willst Du mir wohl etwas von Deiner besondern Betrachtung der Dinge sagen?“ unterbrach er dann, den Kopf unzufrieden herumwerfend, das Schweigen, „weißt Du vielleicht etwas Anderes, als daß hier eine rechtsgültige Ehe besteht, glücklich oder unglücklich, kommt dabei gar nicht in Rechnung, die durch sich selbst jede Hoffnung für einen Dritten ausschließt und deren Betrachtung von einem andern Standpunkte als dem des gewöhnlichen Laufs der Dinge zu nichts als zum Verbrechen führen kann?“

Ein tiefer Schatten ging über das Gesicht des jungen Mannes. „Wir wollen die Sache fallen lassen, Doctor!“ versetzte er, kalt gerade ausblickend, und der Alte nickte wie in stillem Aerger.

„Konnte mir das schon denken,“ sagte er, „es ist aber noch immer ein schlimmes Zeichen gewesen, Fritz, wenn eine Sache die gerade Wahrheit nicht hat vertragen können!“

Vom Walde her war soeben ein junges Bauernweib, einen Handkorb am Arme, auf die Straße heraus getreten, und über Rothe’s Gesicht schoß bei ihrem Erblicken ein Strahl von Genugthuung, während dennoch seine Lippen sich verächtlich kräuselten. Es war eine kräftige, hochgewachsene Gestalt mit stechenden schwarzen Augen, und der herausfordernde Blick mit welchem sie die herankommenden Reiter musterte, paßte ganz zu einer eigenthümlichen Selbstständigkeit und Freiheit, welche ihren Gang und ihre Bewegungen bezeichneten. „Kennen Sie die Person dort, Doctor?“ fragte der junge Mann halblaut.

Der Alte blickte seitwärts, als wolle er von der Begegnung nicht die geringste Notiz nehmen, durch seine Züge aber ging es wie eine halbunterdrückte Verlegenheit. In der nächsten Minute hatten Beide die Frau passirt und bogen in den Wald ein. „Ja, Doctor,“ begann jetzt Rothe, „das war die eigentliche Frau Amtsräthin, wenn auch nicht in rechtmäßiger Ehe, und soll noch heute sich ganz bestimmter Rechte erfreuen. Das arme Opfer aber, welches der alte Sünder sich als Krankenpflegerin, als Wärterin für seinen abgenutzten Körper gekauft, soll nicht einmal das Recht haben, einen Jugendfreund zu empfangen! – Gut, Doctor,“ fuhr er wie in aufsteigender Erregung fort, „ich will Ihrer Anschauungsweise der Dinge folgen, ich werde Anna nur noch ein einziges Mal sehen, aber sagen Sie mir, der Sie diesen Menschen genauer kennen müssen, als er sich selbst: auf wie viele Jahre kann es ein solcher gemißbrauchter, in allen Fugen loser Lebensmechanismus noch bringen? – Warten Sie einen Augenblick, damit Sie mich nicht wieder verurtheilen,“ setzte er rasch hinzu, als des Arztes Augenbrauen sich zusammenzogen und dieser einen Ansatz zum Sprechen machte. „Sie wissen Zweierlei noch nicht, und dieses sage ich allein dem guten Freunde, der Sie mir haben sein wollen. Als ich hier wegging,“ fuhr er langsamer fort, „wußte ich nicht, daß sie, deren Herz ich mir so gern erobert, wenn ich nicht ein feiger Tropf gewesen wäre, schon längst an mir gehangen. Drei Nächte lang hat sie geweint, daß ich ohne das rechte Wort von ihr gegangen war, und hat gemeint, sie habe in mir sich selbst betrogen. So etwas mag schon im Leben passiren und ohne besondern Schaden vernarben, wenn nur nicht hinterdrein, wo es zu spät ist, eine Stunde kommt, die klares Licht bringt und Beiden ihr selbstgeschaffenes Elend erkennen läßt. Als Sie aber heute auf des Amtsraths Gute anlangten, Doctor, da traten Sie mitten in eine solche Stunde, da wußten wir Beide, woran wir mit einander waren, da hatte die halbe Verzweiflung über ein ganzes verscherztes Lebensglück unsere Seelen gefaßt, da wußte ich aber auch und hatte es ausgesprochen, daß ein Mensch um eines einzigen versäumten Wortes willen nicht zeitlebens elend sein darf. So, Doctor, und nun reden Sie, wenn Sie mir noch etwas zu sagen haben – verlangen Sie von mir, ich soll noch fünf Jahr warten, und ich will warten, wenn Sie sicher sind, daß sie dann frei ist – ich spreche sie noch heute Abend, und sie wird geduldig ausharren wie ich selbst; sagen Sie mir aber nichts mehr von dieser rechtsgültigen Ehe, die jede Hoffnung vernichtet; sie kommt mir vor, wie die Verurtheilung eines unschuldigen Menschen, der um eines verspäteten Zeugen willen verdammt bleiben muß, da einmal das Urtheil gesprochen worden!“

Der alte Arzt blickte starr in die Bäume vor sich, ohne zu antworten; aber Rothe schien auch mehr um seiner eigenen Erleichterung willen gesprochen, als eine Gegenäußerung erwartet zu haben. Schweigend und finster verfolgte der Letztere neben seinem Begleiter die Straße, bis nach kurzer Zeit der Wald zu beiden Seiten zurücktrat, im Grunde ein langgestrecktes, freundliches Dorf sichtbar ward und der Weg sich theilte. Hier hielt der Alte sein Pferd an, wandle langsam den Kopf nach dem jungen Manne und reichte ihm die Hand. „Fritz,“ sagte er mit einem vollen Ausdruck der Sorge, „laß den Teufel nicht Herr werden über dein klares Gewissen! Wer eines Andern Eigenthum begehrt, ist auch nur einen Schritt vom Diebstahl entfernt, und wer eines Menschen Tod zur

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