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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

bevölkerten Districten ein neues Leben zu beginnen. Er ist dort allerdings nicht der Gefahr ausgesetzt, von betrügerischen Pflanzern hintergangen und übervortheilt zu werden. Der englische Stationshalter giebt ihm den festen bestimmten Preis für seine Arbeit – etwa 24 Pfund Sterling jährlich und seine Ration an Mehl, Thee und Zucker, aber er wird sich trotzdem elend und unglücklich fühlen und die Stunde segnen, wo er jenen Ort wieder verlassen kann.

Australien ist auch kein Ziel für unsere deutschen Auswanderer, denen besonders daran liegt, sich mit geringen Mitteln ein kleines eigenes Besitzthum zu gründen. Das billigste Land dort, das von der Regierung abgegeben wird, kostet 1 Pfund Sterling, nicht ganz 7 Thlr. der Acker, und für den Preis sind nur große Strecken zu haben. Wo das Land irgend etwas werth ist, wird es auf das Vier-, Sechs- und Zehnfache hinaufgeschraubt, und der Deutsche bezahlt dort für ein paar Acker sehr mittelmäßigen und wasserarmen Boden den nämlichen Preis, wofür er in irgend einem Theil des südlichen Amerikas eine schöne fruchtbare Besitzung kaufen könnte – das noch gar nicht gerechnet, daß er in Australien am anderen Ende der Welt sitzt und wenigstens fünf Monate gebraucht, nur um an Ort und Stelle zu kommen.

Wer auswandern will, mag sich irgend einen Staat im südlichen Theil von Südamerika aussuchen, Chile, La Plata, Uruguay, Süd-Brasilien, ja selbst die Hochebenen um Ibarra und Quito in Ecuador würde ich für meine Person Australien vorziehen. Aber zehn und zwanzig Mal mögen es sich Alle überlegen, ehe sie hier in Deutschland einen Contract unterzeichnen, der sie irgend einem Pflanzer in Brasilien als Arbeiter überliefert.




Freuden der Mikroskopie.

Verschiedene Mittheilungen in den Berliner Zeitungen über das neue Engell’sche Schul- und Salon-Mikroskop und die neueste Sammlung mikroskopischer Präparate von Kalk-, Kiesel- und Chitin-Gebilden der niederen Seethiere hatten vor einiger Zeit lebhaftes Interesse erregt. Es ging daraus hervor, daß das neue Mikroskop ebenso populär wie das Stereoskop

Seewalze. (Synapta)

werden müsse, ja dasselbe noch übertreffen werde, da es namentlich zu Schul- und Unterrichtszwecken benutzt werden könne. Wir kamen bald in den Besitz des Instruments und der neuen Präparaten-Sammlung, und hier erschloß sich uns ein solcher Reichthum von uns bisher unbekannten zierlichen Gebilden und wunderbaren Organismen der niederen Seethiere, daß wir uns veranlaßt sahen, mit einem gründlichen Kenner und Forscher über das Wesen und die Lebensweise jener Thiere in eine ausführlichere Correspondenz zu treten, aus der wir unseren Lesern das Interessanteste in diesen Blättern mittheilen werden.

Das neue Mikroskop, in der Form eines kurzen Fernrohrs, mit breitem Fußgestell, enthält in dem letzteren einen beweglichen sphärischen Spiegel, zur Beleuchtung opaker Gegenstände. Zwischen dem Spiegel und dem innern vorspringenden Rande wird die Glasplatte, welche in der Mitte das mikroskopische Präparat trägt, leicht mittelst einer verborgenen Spiralfeder eingeklemmt. Man schiebt dann das Mikroskoprohr möglichst nahe an die Glasplatte und rückt das Präparat selbst genau über die Mitte der Objektiv-Linse. Dann hält man das Instrument wie ein Opernglas vor das Auge, richtet es gegen das Fenster- oder Lampenlicht, und schiebt oder dreht nun, wie beim Fernglase, das Rohr in die für das Auge passende Stellung, bis das Präparat klar und deutlich hervortritt. Dann kann das Mikroskop in größeren Kreisen von Hand zu Hand gehen, und Jeder von seinem Platze aus an der Besichtigung theilnehmen, während der Vortrag oder die Unterhaltung ungestört ihren Fortgang hat.

Somit wird nun das Mikroskop aus den Zimmern der Gelehrten auch in die Schulen und in die geselligen und Familien-Kreise verpflanzt werden, um so mehr, als schon Kinder von sechs bis acht Jahren sich auf den Gebrauch bald einüben und der Preis der Mikroskope bei der einfacheren Einrichtung bedeutend billiger als bisher gestellt werden kann. Ueberdies kann man das Mikroskop leicht in der Tasche mit sich tragen.

Das neue Instrument ist hauptsächlich zur Besichtigung fertiger mikroskopischer Präparate bestimmt. Soll dasselbe aber nicht nur zur Befriedigung augenblicklicher Neugier, sondern zur wirklichen Aneignung und Verbreitung gründlicher naturhistorischer Kenntnisse dienen, so muß man sich zugleich in den Besitz systematisch und wissenschaftlich geordneter Sammlungen fertiger Präparate setzen.

Bis jetzt ist das mikroskopische Institut von Engell u. Comp. das einzige, welches solche Sammlungen aus allen Classen des Thier- und Pflanzenreiches mit beschreibenden Verzeichnissen und Broschüren zum Verkauf herausgegeben hat.[1]

Die neueste Sammlung von Kalk- und Kiesel-Gebilden niederer Seethiere ist es, die uns hier näher beschäftigen soll. Wir kannten die Polypen, Seesterne, Seewalzen, Bryozoen und ähnliche Thiere früher nur aus Zeichnungen oder in getrockneten und zusammengeschrumpften Exemplaren. Seit einigen Jahren werden uns dieselben lebend in den schönen Aquarien der zoologischen Gärten in Paris und London gezeigt, aber hier, in den mikroskopischen Präparaten tritt uns erst die wunderbare Mannigfaltigkeit von krystallhellen Organismen, von Saugfüßchen und Greifzangen, von Ankern und Rädern, von Sternen und Ornamenten vor das Auge, die uns eine ganz neue Welt von zierlichen und farbigen Gebilden aufschließen. Doch zur Sache.

Erster Brief.
W., den 12. März 1863

Sie wünschen von uns Näheres über die Synapten zu erfahren, welche sich der Anker schon längst vor Erfindung der Schifffahrt bedienten, und über die Chirodoten, welche Tausende von krystallenen Locomotivrädern auf einmal in Bewegung setzen. – Wir ersuchen Sie, uns an das Inselgestade von Varignano in dem Meerbusen von Spezzia zu begleiten. Lagern wir uns dort auf eine der Felsenplatten, die aus dem ruhigen Becken des Meeres hervorragen, dessen sandiger Boden von Algen und Florideen bedeckt ist. Da wimmelt es von Seesternen, Seeigeln und trägen Seewalzen, die langsam tastend ihre Saugfüßchen und Tentaclen ausstrecken. Eine prächtige Seeanemone entfaltet in schimmernder

  1. Die Herren Schäffer und Budenberg in Buckau bei Magdeburg haben den Generatdebit für die Sammlungen des Instituts von Engell u. Comp. und zugleich das Patent und den alleinigen Debit der Engell’sche Schul- und Salon-Mikroskope.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_364.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)