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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

werden können. Das Unding des deutschen Bundes kann dabei natürlich nicht in Betracht kommen.

Ich will gar nicht leugnen, daß solche Procerieverträge in sehr vielen Fällen zum Segen und Gedeihen des Auswanderers ausschlagen können, und daß er, wenn er es mit einem rechtlichen Brodherrn zu thun bekommt, selbst vollständig mittellos sein Vaterland verlassen und sich in einem anderen Welttheile eine gesicherte Existenz gründen kann. Aber wer bietet ihm hier die Sicherheit, daß er es mit einem redlichen Manne zu thun bekommt? wer kann ihm in einem solchem Fall, wo er auf eigene Hand einen Privatcontract abschließt, garantiren, daß er nicht auf Schritt und Tritt betrogen wird, während er durch seine Familie schon an den Fleck gebunden und machtlos der Willkür seines Brodherrn preisgegeben ist?

Er darf sich auch die Verhältnisse des dortigen Landes selbst nicht einmal nur annähernd so denken wie die unsrigen. Er weiß noch nicht, was es heißt, vierzehn Tagereisen weit im Inneren eines wilden Landes zu sitzen, dessen Sprache er nicht einmal spricht, dessen Regierung ihn nicht schützen kann, sobald er selber freiwillig einen Privatcontract unterzeichnet hat, selbst wenn die dortigen Richter und Pflanzer nicht eigene Interessen hätten und eng befreundet wären und einander, eines deutschen Sclaven wegen, wahrlich Nichts zu Leide thäten.

Die Versprechungen hier klingen allerdings verlockend genug. Es liegt schon darin ein eigener Reiz für den armen Mann, daß er sich dort Kaffee und Zucker – hier oft unerreichbare Luxusgegenstände für ihn – selber bauen kann. Andere Lockmittel kommen dazu, Vieh und Hühner, ein eigen Hans und eigen Land, und mit dem Ziel vor Augen hält er alles Andere für Kinderspiel. – Er kann das auch in der That in fremden Welttheilen Alles erreichen, aber er muß es nur vernünftig anfangen und sich von vorn herein nicht selber die Hände binden, sonst darf er sich nachher auch nicht beklagen, wenn er sich und seine Familie dem Unglück preisgiebt.

Vor Allem möchte ich aber auch die deutschen Regierungen besonders darauf aufmerksam machen, daß sie das Verfahren nicht dulden, das durch die Agenten gegen die armen unwissenden Auswanderer angewandt wird, hinsichtlich der Unterzeichnung eines solchen Contracts.

Man läßt sie nämlich nicht etwa in ihrer eigenen Heimath einen solchen Contract unterschreiben, wo es ihnen noch möglich wäre zurückzutreten, wenn ihnen die einzelnen Bedingungen nicht gefallen. – Nein, das geschieht erst in der Hafenstadt. Der Auswanderer[WS 1] muß daheim erst sein geringes Besitzthum, was er vielleicht noch hatte, sein weniges Hausgeräth verkauft und seine übrigen Sachen verpackt und nach dem Hafen geschickt, wie mit dem letzten zusammengerafften Geld seine eigene Passage dorthin bezahlt haben – dann erst wird ihm der Contract dort vorgelegt, und er muß ihn jetzt unterschreiben, was ihm auch darin zugemuthet wird, denn er kann nicht mehr zurück. Die Brücke ist hinter ihm abgebrochen und er rettungslos den Händen derer überantwortet, die seine Beförderung übernommen haben.

Viel Unheil könnte von den deutschen Auswanderern auch abgewandt werden, wenn sich die deutschen Regierungen nur wenigstens dahin vereinigen wollten, in den Haupt-Hafenplätzen einen einzigen, von ihnen gemeinsam besoldeten und unabhängig gestellten Mann zu halten, der die Auswanderung überwachte und besonders diese Contracte controlirte. Die Regierungen fremder und überseeischer Länder könnten dann auch leicht dahin vermocht werden, mit diesen einzelnen Generalbevollmächtigten in Verbindung zu treten und sie mit allen den auf die dortige Einwanderung bezüglichen Gesetzen und Verordnungen, Erleichterungen und Begünstigungen bekannt zu machen.

Fremde Regierungen haben nämlich stets ein wirkliches Interesse an der deutschen Einwanderung und wünschen selber, daß es den deutschen Einwanderern in ihrem Lande gut gehe, damit sie mehr und mehr von ihren Verwandten und Freunden nachziehen mögen. Uebervortheilungen und Betrügereien gehen nie von den Regierungen aus – mir ist wenigstens kein einziges Beispiel bekannt – sondern immer nur von Privatpersonen und Agenten, die den Auswanderer als Werkzeug betrachten, um sich selber zu bereichern. Gegen solche Privatspeculationen brauchen derartige Leute deshalb auch nur geschützt zu werden, und man kann sie ihrem Schicksal und eigenen Fleiß dann ziemlich ruhig überlassen.

In den meisten Hafenstädten, besonders in Hamburg und Bremen, ist indessen ein Nachweisungsbureau der Auswanderer-Behörde errichtet worden, worin den Auswanderern unentgeltliche Auskunft über Alles ertheilt wird, was sie in Betreff der Auswanderung selber zu wissen wünschen. Für Hamburg befindet sich dies Nachweisungsbureau auf dem Bahnhof der Berlin-Hamburger-Eisenbahn und an der Landungsbrücke der Harburger Dampfschiffe, und in Bremen, wenn ich nicht irre, ebenfalls auf dem Bahnhofe.

Dort sind Beamte zum Schutz und Rath der Auswanderer den ganzen Tag stationirt; die ewige Klage aber ist, daß sie so wenig in Anspruch genommen werden, und entweder wissen die Auswanderer nicht, daß sie dort Leute treffen, die sich ihrer uneigennützig annehmen, oder – sie sind auch wohl von anderer Seite, aus leicht zu errathenden Gründen, vor solchen Bureaux gewarnt worden.

Im Interesse der Auswanderer liegt es nun ganz besonders, sie auf diese Nachweisungsbureaux in den deutschen Hafenstädten aufmerksam zu machen und ihnen wieder und wieder zuzurufen, derartige Plätze aufzusuchen. Sie erfahren dort nicht allein, wo sie am besten und billigsten logiren können und zu welchem Preis, sondern auch was die Bedürfnisse kosten, die sie auf der Seereise brauchen, was sie für den Transport ihres Gepäcks zu zahlen haben etc. etc. Außerdem werden den Auswanderern nicht allein gedruckte Rathschläge für ihr Verhalten bei der Ankunft an überseeischen Landungsplätzen gegeben, sondern die Beamten sind ihnen auch zur raschen Erledigung etwaiger Beschwerden behülflich. Wünschenswerth wäre es, wenn sich unsere deutschen „Gerichtsschreiber“ und andere Unterbeamte, die es besonders auf dem Land und in kleinen Städten mit den Auswanderern zu thun haben, der Sache ein wenig annähmen und die Abreisenden auf diese Nachweisungsbureaux ernstlich aufmerksam machten. Es ist ja doch das Einzige, was sie ihren bisherigen Landeskindern mitgeben können: einen wirklich guten Rath.

Ganz genau das Gegenstück zu diesen Procerieverträgen bilden in neuerer Zeit einige Ankündigungen in kleinen Städten, die zur Auswanderung nach Australien mit vollkommen freier Passage und ohne weitere Verbindlichkeit einer irgend zu leistenden Arbeit auffordern. Mit der „vollkommen freien Passage“ ist es nun allerdings nicht so ganz richtig, denn 5 Thaler Handgeld für den Agenten und andere Spesen fallen allerdings noch davon ab, wie außerdem die Reise bis zum Hafenplatz und die Einrichtung an Bord, was sich, der Angabe nach, auf circa 25 Dollars per Person beläuft, aber selbst damit bleibt die Verlockung noch eine große für den armen Mann, der sich hier in Sorgen und Noth herumquält und der plötzlich eine Gelegenheit geboten bekommt, verhältnismäßig sehr billig nach einem fernen Welttheil auszuwandern und damit der Sorgen daheim frei und ledig zu werden. Und doch möchte ich allen denen, die hier auch nur noch die Möglichkeit haben, sich zu erhalten, abrathen, selbst unter solchen Bedingungen nach Australien zu gehen.

Ich will ihnen einfach sagen weshalb. Australien ist seit der Entdeckung des Goldes das Ziel von Tausenden von Auswanderern gewesen, und noch jetzt suchen es Viele auf und befinden sich wohl dort. Weshalb aber bietet man da noch deutschen Arbeitern freie Passage? – Weil die Stationshalter dort an einzelnen abgelegenen Stellen in Busch und Wildniß keine Arbeiter freiwillig bekommen können, und nun zu diesem Mittel ihre Zuflucht nehmen. Der Einwanderer hat, dort angekommen, keine Verpflichtung weiter, als sich selber am Leben zu erhalten, aber um das zu thun, muß er Arbeit suchen, und an der Stelle, wo er gelandet wird, findet er die nur bei den dortigen Stationshaltern. Fort von da kann er nicht wieder ohne Mittel. Eine Fußwanderung in jenem Welttheil, aus einem District in den andern liegt außer jeder Möglichkeit, die Schiffe nehmen ihn nicht wieder mit fort, und er muß also dort gerade aushalten und Schäfer oder Hüttenwächter werden.

Oft und oft habe ich schon das elende Leben dieser Art Leute geschildert, zu denen der Deutsche nun einmal vor allen anderen Nationen gar nicht paßt, und bringt er gar Familie mit, so möchte die Frau im einsamen „Busch“ drinnen mit den Kindern gar verzweifeln. Aber es bleibt ihm, wie gesagt, nichts Anderes übrig, und er ist gezwungen, eine solche Stellung für sich und die Seinen anzunehmen und darin auszuhalten, bis er sich selber nach Jahren genug verdient hat, von dort wieder fortzukommen und in

  1. Vorlage: Auswandererer
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_363.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)